FILM ABSPIELEN :

 

fukushima

fukushima OmU (english)

fukushima OmU (japanese)

 

Die Gedichtverfilmung fukushima wurde 2016 beim ZEBRA POETRY FILM FESTIVAL eingeladen und lief im Deutschen Wettbewerb.

 

Booklet als PDF

Japanese Translation of the poem as PDF

LOG LINE Das Gedicht fukushima, geschrieben von Scardanelli unmittelbar nach dem Desaster, März 2011, besteht aus drei Gedankenteilen: einer politischen und einer religiösen Betrachtung, die einen metaphysischen Kern verklammern. Die dritte, religiöse Betrachtung kann als kathartische conclusio, als Zukunftsvision gelesen werden. Die filmische Komposition aus Bild und Ton, Stimme und Tanz, versteht sich als Gedenken an den hohen Mut Japans. STATEMENT Das Desaster hier als Eingleisung zweier Katastrophen. Die Welt ist plötzlich nicht nur durch eine Naturkatastrophe, sondern auch durch menschengemachte Katastrophe und die maßlose Überschätzung des Menschen aus dem Gleichgewicht geraten. Die Katastrophe reinigt das Gehirn. Es scheint ganz so, als wollte die Natur uns etwas lehren. Das Gedicht fukushima, die Antwort des Dichters auf ein öffentliches Erzählinteresse, mag zunächst für manche schwer zugänglich sein - mich eingeschlossen - zudem das Gedicht metaphysische und theologische Dimensionen evoziert und es lag mir als Regisseur daran, die eigene Lektüre und das Verständnis des Textes über die Rezeption eines Anderen, eines Fremden, eines nahe Betroffenen und der Wirkung auf diesen zu ergründen und zu dokumentieren. Entstanden ist eine reduzierte, fast kontemplative Dokumentation, die minimal, auch in der Vermeidung eines Überreizes, einer Überdeckung oder Überlagerung und im Verdecken keine Notwendigkeit erkennt. Illustrieren ist nicht dasselbe wie Verstehen. Es gibt die Reflexion über das Gesicht und den Körper, der die Wirkung des Textes in einem Akt - beinahe ein Tanz - übersetzt. Und der Rest ist, sich selbst zu betrachten. Und zwar möglichst örtlich. Dafür braucht man aber ein Gesicht, an das man ranfahren kann. Dafür stand die Japanerin Yuko Matsuyama. Da gibt es eine stoische Ruhe, die insofern als eine Folge tief verankerter solidarischer Strukturen verstanden werden kann, in denen niemand seinen Vorteil auf Kosten anderer sucht, sondern rücksichtsvoll agiert. In dieser Haltung ist dann auch wieder das Universelle zu erkennen. Von diesen geschichtlichen Traditionen handeln die aktuellen Katastrophen auch. Dann ist auch die geniale Philosophie der Japaner: es gibt keine Maske. Es gibt keine Maske, die etwas verdeckt. Sondern wir selbst sind die Maske, weil wir nichts anderes haben, als diese Maske. Und dahinter ist die absolute Leere. Die Maske ist deshalb da, weil sonst nichts da ist. Das ist der japanische Sinn der Maske. Und nicht der europäische und der möglichen von Persona, also die Verdeckung des Ichs, die Tarnung, das Verschwinden, die Anonymität, wo durch die Augen der Maske die Eigenen sind, doch mit denen ich die Welt betrachte. Es ist völlig anti-psychologisch. Die japanische Maske ist die Darstellung der notwendigen Dämonen, die wir sind. Und dahinter ist nichts. /an fukushima aufersteht aus ionenglut wieder und wieder unauslöschlich das gammastrahlenlamm propheten stumm mit flügeln aus blei steigen in die sarkophage in die zerfetzten kammern himmelsblau und sind nicht mehr von dieser welt es füllt sie sekündlich ein weisser ein fremder unfassbarer tod buchstabe graphem brennstab graphit in einem plutoniumozean leuchtet unsichtbar ein hunderttausendjahreslicht die sonne zu besiegen die schwarzwelle des meeres das alles leben verschlang auf dem letzten bildschirm flimmert angstvoll das gesicht eines japanischen kaisers sterblicher als cäsium schweigen und leises weinen dann wieder schweigen die scherben der erde fügen sich nicht . . . nun bleibt neben sinn und eigensinn willensentschieden und ihrem widerpart im wechsel aller augenblicke nun bleibt ganz ausserhalb von lust und schmerz jeglichem menschen nur eine handvoll tage schwindend gering schon deshalb zwingend schwer bei allem unendlich möglich gezählten und zählbaren bei allem endlich unmöglich gesagten und unsagbaren eine handvoll tage also für die stille der körper für das in laut und gedanke gespaltene jetzt für jenes strahlen unauslöschlich unsehbar und grausam metamorph für allen wurf und entwurf aus ziffer formel und vokabel aus werk und kraft ins ungeheuerliche nun bleiben mit jener handvoll tage die geistesform vielleicht und ahnungen des raumes um sich der jeglichem übersinn fremden der ohnegleichen abwesenden elemente der worttrennenden erdtextur zu erinnern zu entsinnen sich ihrer unvordenklichen verwandlungen zu entsinnen zu erinnern des paradieses vielleicht jenes para dies – über den tagen sein als licht und wesen dem wesentlichen entnommen und entgangen einem heim das sich nun als geheimnis sterbensirdisch als schweigesilbe tod einmalig je und je in einer handvoll tage dem raum entzieht und jenem namlos anderen . . . unter schneewirbel wolke nichts schreit stumm das gammastrahlenlamm es bleiben neben dem unsäglich endenden der von letztmöglichem atem enthüllten leere bleiben vielleicht kosmischer seelenkern und kernbeseelter kosmos der name eines gottes isotop III.2o11 scardanelli

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LOG LINE Das Gedicht fukushima, geschrieben von Scardanelli unmittelbar nach dem Desaster, März 2011, besteht aus drei Gedankenteilen: einer politischen und einer religiösen Betrachtung, die einen metaphysischen Kern verklammern. Die dritte, religiöse Betrachtung kann als kathartische conclusio, als Zukunftsvision gelesen werden. Die filmische Komposition aus Bild und Ton, Stimme und Tanz, versteht sich als Gedenken an den hohen Mut Japans. STATEMENT Das Desaster hier als Eingleisung zweier Katastrophen. Die Welt ist plötzlich nicht nur durch eine Naturkatastrophe, sondern auch durch menschengemachte Katastrophe und die maßlose Überschätzung des Menschen aus dem Gleichgewicht geraten. Die Katastrophe reinigt das Gehirn. Es scheint ganz so, als wollte die Natur uns etwas lehren. Das Gedicht fukushima, die Antwort des Dichters auf ein öffentliches Erzählinteresse, mag zunächst für manche schwer zugänglich sein - mich eingeschlossen - zudem das Gedicht metaphysische und theologische Dimensionen evoziert und es lag mir als Regisseur daran, die eigene Lektüre und das Verständnis des Textes über die Rezeption eines Anderen, eines Fremden, eines nahe Betroffenen und der Wirkung auf diesen zu ergründen und zu dokumentieren. Entstanden ist eine reduzierte, fast kontemplative Dokumentation, die minimal, auch in der Vermeidung eines Überreizes, einer Überdeckung oder Überlagerung und im Verdecken keine Notwendigkeit erkennt. Illustrieren ist nicht dasselbe wie Verstehen. Es gibt die Reflexion über das Gesicht und den Körper, der die Wirkung des Textes in einem Akt - beinahe ein Tanz - übersetzt. Und der Rest ist, sich selbst zu betrachten. Und zwar möglichst örtlich. Dafür braucht man aber ein Gesicht, an das man ranfahren kann. Dafür stand die Japanerin Yuko Matsuyama. Da gibt es eine stoische Ruhe, die insofern als eine Folge tief verankerter solidarischer Strukturen verstanden werden kann, in denen niemand seinen Vorteil auf Kosten anderer sucht, sondern rücksichtsvoll agiert. In dieser Haltung ist dann auch wieder das Universelle zu erkennen. Von diesen geschichtlichen Traditionen handeln die aktuellen Katastrophen auch. Dann ist auch die geniale Philosophie der Japaner: es gibt keine Maske. Es gibt keine Maske, die etwas verdeckt. Sondern wir selbst sind die Maske, weil wir nichts anderes haben, als diese Maske. Und dahinter ist die absolute Leere. Die Maske ist deshalb da, weil sonst nichts da ist. Das ist der japanische Sinn der Maske. Und nicht der europäische und der möglichen von Persona, also die Verdeckung des Ichs, die Tarnung, das Verschwinden, die Anonymität, wo durch die Augen der Maske die Eigenen sind, doch mit denen ich die Welt betrachte. Es ist völlig anti-psychologisch. Die japanische Maske ist die Darstellung der notwendigen Dämonen, die wir sind. Und dahinter ist nichts. /an fukushima aufersteht aus ionenglut wieder und wieder unauslöschlich das gammastrahlenlamm propheten stumm mit flügeln aus blei steigen in die sarkophage in die zerfetzten kammern himmelsblau und sind nicht mehr von dieser welt es füllt sie sekündlich ein weisser ein fremder unfassbarer tod buchstabe graphem brennstab graphit in einem plutoniumozean leuchtet unsichtbar ein hunderttausendjahreslicht die sonne zu besiegen die schwarzwelle des meeres das alles leben verschlang auf dem letzten bildschirm flimmert angstvoll das gesicht eines japanischen kaisers sterblicher als cäsium schweigen und leises weinen dann wieder schweigen die scherben der erde fügen sich nicht . . . nun bleibt neben sinn und eigensinn willensentschieden und ihrem widerpart im wechsel aller augenblicke nun bleibt ganz ausserhalb von lust und schmerz jeglichem menschen nur eine handvoll tage schwindend gering schon deshalb zwingend schwer bei allem unendlich möglich gezählten und zählbaren bei allem endlich unmöglich gesagten und unsagbaren eine handvoll tage also für die stille der körper für das in laut und gedanke gespaltene jetzt für jenes strahlen unauslöschlich unsehbar und grausam metamorph für allen wurf und entwurf aus ziffer formel und vokabel aus werk und kraft ins ungeheuerliche nun bleiben mit jener handvoll tage die geistesform vielleicht und ahnungen des raumes um sich der jeglichem übersinn fremden der ohnegleichen abwesenden elemente der worttrennenden erdtextur zu erinnern zu entsinnen sich ihrer unvordenklichen verwandlungen zu entsinnen zu erinnern des paradieses vielleicht jenes para dies – über den tagen sein als licht und wesen dem wesentlichen entnommen und entgangen einem heim das sich nun als geheimnis sterbensirdisch als schweigesilbe tod einmalig je und je in einer handvoll tage dem raum entzieht und jenem namlos anderen . . . unter schneewirbel wolke nichts schreit stumm das gammastrahlenlamm es bleiben neben dem unsäglich endenden der von letztmöglichem atem enthüllten leere bleiben vielleicht kosmischer seelenkern und kernbeseelter kosmos der name eines gottes isotop III.2o11 scardanelli