D A N T E E R W A C H T
II 2 0 1 6 - V 2 0 1 9
S C A R D A N E L L I
die übersteigung
mit haller und sebald ins urgestein
stein um steinwort
wo das licht sich bricht
an der myriadeniris von kristallen
stein um steinwort hinabgesunken auch du
zu den schultern aus schnee
furka fuorcla pass und joch
sind namen der übergänge
sind namen der übersteigung
entlehne dich der zeichenlosen weisse
den schneegestöbern der stille ohne spur
den starren konglomeraten uralt aufgetürmt
zu riesenhaufen zu gebirgen
gebirge wie gottfossile ohne namen
wo gletscherzungen lecken
lecken die grammatik aus granit
festungen für harschen hinterhalt von furien
von lasterhaften geistern
die höhe ist kein idyll
da bist nur du du einziger leib du winziger
du wild pochender hier im kalk hier im spalt
von nacktheit und feuchte umklammert
hochgekrümmt über den unendlichen willen hinaus
den menschenwillen zur müdigkeit zum schlaf
steig also auf in deinem monolog aus wachem
widerwillen und murmle dein schürfendes
schlurfendes scharrendes brüchiges mantra
schmerzensschrittmantra
die übersteigung ist nie eine beruhigung
oder eine fuge der hoffnung
auch nicht weicher elementarer lippenrand
wo einsilbig wegweisend das eine zum anderen führt
übersteigung ist windwaage zwischen lust
erfüllung und gefahr und keuchendem exzess
furka fuorcla pass und joch
sind immerzu die schwelle die gedankenwölbung
konvexe konkave stirnen der erde
umgekippte himmelshöhle die gebiert chimären
aus dem sturz des jenseits
aus ödnis harten materials
aus aderrinnsalen aus dem röcheln der moränen
übersteigung ist die silbersilbe tod
alpenbabylonische keilschrift felsklaffend
verwehte schneeblendungen
aus welchen dich schattenkrallen matte hörner
finstere aare packen zerren greifen
wortbrüchig senkrecht in den aufsturz schleudern
in die strahlung einer irren gipfelfremde
eines stahldrahtkreuzes
und die fusseisen klirren im steigetanz
furka fuorcla pass und joch wollen fermaten sein
für deine sterbenszeit dein steineisleben deine unruhe
zwischen graten rippen rissen schluchten schrunden
brüchen stufen platten verschneidungen kluften
überhängen türmen nadeln bändern kaminen
rollen steine kristallstaub saugen dich winde
an jene schulter aus schnee
in höhlen liegen knochen toter kreaturen
steinbock gemse adler dohle maus und spinne
murenmonster gletscherflöhe undsofort
die übersteigung aber löscht alles erinnern
an menschentäler kirchenglocken hundegebell
du bist die unumkehrbarkeit
du machst nicht kehrt
du bläst das orphische alphorn
eurydikes herzschlag poltert atemlos ins tal
stein um steinwort
ganz in hautnähe einer leere eines kälteschwindels
todesoffen masslos in der nähe eines fauchens
unvermutet eines grollens gähnens grautaub
donnerschlagend dohlenflügelschwarz
und eisnadeln azurblaues ballett gleisend
wie kurzer kosmischer jubel
furka fuorcla pass und joch
sind auch die umgedrehten gipfel
eines unsichtbaren luftgebirges
sind windsattel für die nebelreiter
dein auge wird nass und blind
im labyrinth ihrer gefrörnisschleier
und abermals hinabgesunken du
zu den schultern aus schnee
zur schöpfung des erschöpften
wahnträumend jetzt übersteigt dich
wie eine äusserste erinnerung
es übersteigt dich dein embryo im moos
schlafwimmernder findling flechtenfontanelle
unbefleckte tränenquelle alpenrosenbett
und droben nachthimmelviolett dämmert
osiris osiris der letzte todesgott
im sternbild aller toten
geräusche einer weltfurcht auch
und schemen der kosmischen angst
und niemand der dich hören sehen fühlen will
und dann der ganze ungeheure raum
und du mit einem mal ein urmensch
mechanischer träger trunkener troglodyt
endlich von allem ich von allem wort befreit
den grossen tod das grosse unbekannte
zu betreten vor aller lebensgewesenheit
du also nichts als stumpfe witterung
und irrtumslose fährte und entseelter trieb
galaktisch murrend und mümmelnd monoman
gondwanaallein seit jahrmillionen
nackte puppe die ihr fell sucht im geröll
versunkener epochen
ein echohohn inmitten aller übersteigungen
du also bist der ungeheure raum
bist urmensch höhlenhirn und ungeheurer raum
bist steinwort steinwurf schneeschmerz windruf
sternensturz blaugefingert felsgeädert
flüchtig flüsternd fernste stirn im firn
hinab o hinab hinein ins abendlicht
entsteige entsteige den übergängen
furka fuorcla pass und joch
o überstiegener
pass away pass away pass away
II.2o16 scardanelli
van hoddis erinnert sich
an ludwig meidner
wieder steige ich nackt in die flut
mein hut hängt an der tür
ich bin im wahn zuhause
jemand schlurft und senkt die lider
aus meinem mund wächst ein geschwür
es kränkt mich furcht um furcht
ein raum voll augen die rollen die welt
das blut das geld die rollen den held
doch alle steine fliessen ins reine
das ist ihre heilige kür
saugen im traum kosmische tiere an mir
bin ich im wahn zuhause
rauscht ins nichts die grosse sause
mein allwort ragt jenseits des lichts
und heisst ENT ZWEI
was entziffert meine hand
ich zähle und zittere vor der wand
die ist aus gas
nackt ging mir mein gott entzwei
kehre ich heim
mythischer thron
kein tod
kein hohn
du lu
einerlei
II.2o16 scardanelli
es steigt der tod aus meinem mund
ein fremder stern
ein blutiges gebilde
ach wenn er ein anderer wär
und milde
ein goldenes zimmer am meer
II.2016 scardanelli
zukunft denken heisst
von jeher den tod denken
gegenwart denken heisst
immerzu die angst denken
vergangenheit denken heisst
jenem langen traum verfallen
der angst und tod gebiert
die besänftigung
hinausgetreten über die schwelle
in ungeheures silberschwarz
seh ich den grossen wagen
senkrecht hängen im himmel
die deichsel abwärts erstarrt
wie in kosmischem sturz
seh ich den bambusstrauch
jadegrün inmitten des winters
den jungen pfirsichbaum
der in der krümmung verharrt
wie mühte er sich einen sommer lang
unter der last aller frucht
garten der nacht
der hinnimmt das schweigen des alls
die geduld der gestirne und unseren tod
das geheimnis aus wesen und material
. . .
auch ich rufe herauf die uralte angst
ersticke das sinnlose schluchzen
auch ich sage meinen tod
in den garten in die zeit meines raumes
und bin ein tier des dunkels und der trauer
auch mein auge das sah und suchte
drängt die träne ins aussen
salziges rinnsal in die leere finsternis
o leichter nebel des atems
zwischen pfirsich und bambus
atem der steigt in unsichtbares
unter dem strahlen des grossen wagens
in der regung des herzens
in der fülle aus unendlichkeit
bist auch du
die einmalige vertikale der nacht
inmitten der sanftheit eines wirbels
aus schnee aus schnee
II.2o16 scardanelli
das neutrale
dichtung ist reine eschatologie
auch du namlos entnommen
namlos entkommen
wie ahnung einer blüte
wie asche einer schönheit
wird deine stimme unauffindbar sein
jenseits deines gestorbenen leibes
wird deine schrift
die letzte spur deiner stimme sein
die diesem stern verbleibt
wie todeszeichen also
dem mund und den händen entglitten
sind deine worte dann
gedankeninseln der unendlichkeit
oder nur verhängnis und
mysterium der lebenszeit
wird deine stimme denn
der materie ganz entsagen
und zugeschwiegen dann dem leeren raum
jenseits deiner blutbahn
jenseits dieses steins im all
wird deine stimme unauffindbar sein
befruchtet dein sterben denn
den äusseren kosmischen staub
wie zyklischer wille aus liebe wahnsinn angst
den keim und dämon des nichts befruchtet
. . .
auch du zuinnerst anfangslos
auch du namlos entnommen
namlos entkommen
wie ahnung einer blüte
wie asche einer schönheit
auch du entnabelt in ein meer aus nichtsein
entnabelt ins absolut neutrale
II.2o16 scardanelli
rückseite der scherbe
diese besessenheit des wissens
diese herrschaft des verbrechens
dieser wahnsinn der unsterblichkeit
haben sich unseres lebens
unseres von jahrhunderten der furcht
geschwächten seins bemächtigt
während die seele
jener unverletzbare raum des todes
nur noch ein schaudern der kunst
einen ritus des obszönen
ein schluchzen der urnen
ein phantasma der religion hervorruft
inmitten pornographischer paradiese
inmitten der hirne aus kitsch und katastrophe
inmitten der galaktischen psychose der menschheit
II.2o16 scardanelli
das absurde
zieht nicht unmerklich
und immerzu jeder mensch
einen anderen menschen in den tod
oder ist der tod jener haifisch
der unermüdlich und stumm
den ozean unserer gedanken durchschwimmt
seine unaufhörlichkeit zu sättigen
mit den leibern unserer sterblichkeit
die angst am ausgang jenes ozeans
ist nichts als dein ersticken
inmitten schwarzer unvordenklichkeit
II.2o16 scardanelli
mutmassungen über die zeit
der mord aller welten stillt
das unaufhörliche verlangen der gewalt
jede vergangenheit ist auch das gerücht
eines geträumten kadavers
das phantasma von einem ozean gelebter tode
jede vergangenheit ist vorgestellter wahn
von allem davor im nachhinein
gäbe es denn gewesenes ereignis
ohne das geplünderte raubgut der worte
ohne den zwang der ungelebten täuschung
ohne die ergebenheit ins grausame
jede vergangenheit ist auch ein haufen
weicher windungen
ein blutgestilltes blindes hirn
das seiner selbstverschlingung beiwohnt
in der schädelknochenhöhle
jede zukunft ist auch vorläufige doppelung
jenes geträumten kadavers
der das gerücht der vergangenheit war
als spiegelten sich lebenstode in todesleben
als setzten maschinen den urknall fort
als fiele jedes ich auf sein ich zurück
unbemerkt von sich selbst
im nochnicht aller zukunft
als wäre jegliche moderne
der letzte karneval aller vollendung
die erste erinnerung jenes nochnicht
als wäre menschsein die fahrt aller
wirklichkeiten durch die eine wirklichkeit
in der jeder gedanke ein schemen ist
vom fleisch aller geburt
vom rasenden sinnstaub
vom glutkern des gottes isotop
vom erinnern des vergessens
vom bestatten alles gewesenen selbst
damit das verschwinden nicht verschwände
das auslöschen nicht ausgelöscht würde
damit kein morgen ein splitter wäre
aus allen schon zersplitterten morgen
jenes kadavers geträumt und gedoppelt
der uns den verwesungsgestank versüsste
aller geträumten gedoppelten paradiese
und erste schlange wurde erste parabel
wurde erster string wurde erste welle der gravitation
erste lust wurde erstes gottvergessen
und erstes von jeher wurde erstes immerzu
wie zukünftig vergangenes sich rächt
an jeglicher vergangenen zukunft
der urschrei vom sein im nichtsein sich rächt
am schweigen vom nichtsein im sein
gäbe es denn wirkliches werden
ohne das geplünderte raubgut der welt
ohne die ergebung in furcht und gier
o fontanelle des irrsinns
o jordan aus blut zwischen ereignis und erkenntnis
in der unmöglichen möglichkeit
die das rasende dazwischen und
das reglose nichts der gegenwart erzwingt
kürzer als atem dünner als ersticken
lidschlag und offenes auge des jetzt
das immerzu die unendliche unwiderrufliche
täuschung des raumes vollzieht
als pausenlos sich selbst gebärendes
mordendes pornographisches kataklystisches
metastatisches mosaik von der
galaktischen schimäre aller gedächtnisse
inmitten der flackernden sternendiscokugeln
des unaufhörlichen verlangens der gewalt
wo das leben seine sekundenparty gibt
inmitten der unfassbarkeit des einen todes
der keine zukunft keine vergängnis kennt
keine doppelung jener geträumten kadaver
jener verwesten paradiese
jener vergötterten planeten
und kein verlangen kennt
nach der fontanelle deines irrsinns
nach dem raubzug deiner worte
nach der selbstverschlingung deines hirns
kürzer als atem dünner als ersticken
unaufhaltsam augenblicklich absolut
III.2o16 scardanelli
magien des mosaiks
wieder und wieder fällt die schrift
weisshändig zurück
an das gedächtnis des nichts
asche gewordene vokabel
die ein wind fortnimmt für immer
abschied der nichts ist als ein zittern
über der welle aus sand
wind der nichts ist als atem der toten
der atem des toten ganzen
wem aber gehört dein anderes wesen an
jenseits von allem ausserhalb
was ist es
. . .
das buch
und die hand die das buch hielt
versiegelt vom auge jenes traums
der allein du gewesen sein wirst
buchstaben dir zueigen
wie blicke aus der nervatur des blattes
und oben sterngeknüpft ein himmelsteppich
steingewordene vokabeln
tode des lebens aus dem botenstoff staub
gehörtest du denn
der von gottheit zu gottheit entzifferten
der von silbe zu silbe beglaubigten erde an
bergung verwandlung schöpfung
aus der weisse des äussersten augenblicks
aus dem ersten jenseitswort
ist die ethik des unendlichen morgens
IV.2o16 scardanelli
das zerbrechen
ein weltgedanke zukünftig vielleicht
lautet die mächtigen erlösen
aus mordwahn und dem unaufhörlichen
verlangen der gewalt
die mächtigen zu erlösen wird das schwerste sein
auch vergangenheit und ihr erinnern
sind gross und geschlossen
wie gedankenzeit wie geisteskrankheit
die angst die kosmische wandlose angst
ist aber das grosse andere
was für ein leidender soll ich denn sein
wer soll aus meinen augen lesen
allabgewandte menschabgefallene
unkenntlich mir selbst
einsamer als gott
und kann nicht mehr ans sterben denken
und immerzu in der verschlossenheit
tief in meinem leibversteck
murmle ich für mich
ein tanz im gehen jetzt im stehen
ganz zuletzt völlig hinweg
IV.2o16 scardanelli
menetekel
letheströmend
mein winziges schwindendes
raumschiffchen der seele
ich werde sterben
unkenntlich wie geisteskraft
eines gefällten baumes
unmerklich wie sinkendes laub im moos
mit der zerbrochnen nervatur der schrift
ich werde sterben
ein zufall zystisch zerstört
und eine knochenwelke mehr
auf dem haufen aller gewesenheit
aller gewalt und ihrer begehr
im windschlag der zyklischen zeit
was habe ich denn geheilt in der kürze
was gerettet oder verwandelt bewahrt
die welt entglitt mir unverzeihlich
ich minderte kaum eine not
denn die feier des lebens kennt kein gedächtnis
der wahn vom unaufhörlichen will keinen tod
mein nichtsein ist namlos und ohne erbarmen
wie dasein namlos und ohne erbarmen war
der seele raumschiffchen
mein schwindendes winziges
letheströmend
IV.2o16 scardanelli
inversionen
alles bleibt sagbar
bleibt verfügbar dem entsetzen
zu denken ist die nervatur
vom blattwerk der erkenntnis
inmitten der sinnlossaat aus weltenwut
zu denken ist ein leben
wie rücknahme eines geständnisses
stimmlos ins unsägliche verebbt
zu denken ist die zeit des lichts
wie abwesende ahnung aller augen
in der blendung ihrer tode
zu denken ist der schwarze raum
wie abtritt aller menschenfinsternis
blutleere stirnen unverstandener verstand
zu denken ist die erde
wie einmaliger seelengeistesstein
allanhängende glutfrucht tränenblau
in der verwandlung ihrer unvordenklichkeit
zu denken ist ein mund
wie vollkommen gelöschter äusserster schrei
in der verschlingung unendlicher vermutung
IV.2o16 scardanelli
short cut
welten
camouflagen des grausamen
welten wie photographien des missbrauchten todes
jedoch hat schönheit der erde
hat gastliches wunder der elemente
mich zu tränen gerührt
ein anflug von unsterblichem sogar
sinnenschwebend manches mal
. . .
und vermeinte zu ehren zu begehren
liebe
schwindende
lichtbefreit
. . .
ich vermisse nichts
ich möchte der menschheit nie mehr begegnen
IV.2o16 scardanelli
die erlösung
einmal am ende
all das blut die schreie die fragen
einmal ausgelöscht von einer antwort
die entspringt dem ungeheuren nichtsein
kann keine antwort sein
gigantische stille allenfalls
in der ein mund voll brennender silben
sich selbst verschlingt
und das gedächtnis der leere
einmal am ende
alle geduld und alle angst
vorüber die schläge die liebe das leid die zeit
der ganze weltwahn der erkenntnis
die erde aber blieb
die erde ist das meisterwerk
24.o4.2o16 scardanelli
die neigung
der baum neigt seine krone
der mensch beugt seine wörter
ich neige zum alleingang
weil mich die mehrzahl zerstört
ich neige zum verschweigen
weil es nicht mehr wichtig ist
ich neige zum unauffindbaren
weil mich jegliche suche verwirrt
ich neige zum urteil
weil es keinen anteil verlangt
ich neige zum tod
weil er der ursprung des gedankens ist
meine vokabeln sind innere rinnsale
das meer der äusseren sprache kennen sie nicht
ich neige zum leeren raum
denn ich atme ohne grund
das meiste gedachte ist ein geständnis
das andere ist ein gefälle
ich neige zum anderen ich neige zum fall
die liebe ist keine neigung
die liebe richtet mich auf
dichten aber heisst verschliessen
weil der raum sich der zeit verschliesst
ich neige zum äussersten
weil es keiner äusserung mehr bedarf
. . .
nachsatz
am eingang des sterbens am vorsatz des todes
unbeugsam und ungebrochen jene worte zu finden
für schlichtheit reinheit wunder erbarmen
jene gesten der ruhe jene blüten des morgens
für das licht aller kreatur die der zukunft vertraut
die sich neigt und dennoch besteht
V.2o16 scardanelli
enthebung und antinomie
grauen und same warst du
und vollkommen verneint
inmitten der neutralen frucht der finsternis
war nur ein wille
jenseits des verlangens
und war der wille des je einen todes
deines von jeher fernsten todes
war also nur der wille deines todes
hautnah ein schatten über deiner
weltgewussten wortstäubenden sterbensspur
war alle feuchte deiner zunge
wie ein keim aus dem ungrund
zitternd gezwungen in die mundleere
zu stammeln dein obwohl jeglichen herzschlags
lichtjährig in der kürzung des seins
dein sinnspalt glutkalt dein leib
die blutübertragene frage
war über der namensurne mensch
nur dieser wille schwerelos entnabelt
tod dein einziges leblosatom
die seelensilbe allbrüchig allisoliert
allentblösst an welcher sich die lust bricht
und die leere
und immerzu das selbst
dem eigenen augenblick entgegengesetzt
fiel dir alle verwerfung zu
spiegel des anderen und nein und widernein
und allverwehung dieses sternensandes
dieser atemdüne wie deutungslos fernste materie
echos vom schlaf deiner erschöpfung
wandernde vokabeln
wahnirdische ideen verbrannt
auf dem altar des geheiligten maschinenmülls
auch schneeschöne rinnsale des kosmischen traums
erregung und gewalt aus ja und widerja
inmitten der versagung der verformung
der metastasen deines hirns
verzweigung der dendriten die trugen
die früchte der unvordenklichkeit
war nur ein wille
ausserhalb von grauen und von same
und war der reine wille deines todes
vor aller geburt
erinnerungslos wie äusserster raum
doch plötzlich nahe hinter dir
war der wille des todes
nichts als deine welle der unendlichkeit
verneinte gischt und fassungslos
ein weisser punkt in fassungsloser finsternis
du unstillbar gestillt
du nacktheit nichtsentstellt
du gedankenende ewiges
du niegewesensein
V.2016 scardanelli
der orkan
das paradies war reine unvordenkliche gefangenschaft
substanz jenseits von schmerz und lust
vollkommene ausschliesslichkeit
die freiheit danach war reine einsamkeit im aussen
im diesseits der gespaltenen erkenntnis
war erster trieb in ungeheuerer gedankenzeit
und diese freiheit schliesst den untergang mit ein
doch den staub nahmen wir mit vom paradies
den himmelsstaub den erdenstaub den weltenstaub
galaktisch isotopisch dreckig und metamorph
staub war und blieb unser immerzu greifbarer
unser einziger äusserster philosophischer stoff
. . .
und nun zum thema
der orkan ist ein kosmischer thriller
aufwirbelnd den staub den hautfetzenleib
berstendes spritzendes knochenmark
orkan ist sphärisches gebell
gejaule zwischen ohr und hund
os oris canis canis
orkan ist rasende leere wie orkus überm ozean
und mittendrin dein stilles auge
. . .
nun erlauben sie mir folgende korrektur
im anfang war niemand
im anfang war niemandes anfang
war unerhörtes von niemandem hörbares
und niemand sprach es werde es werde es werde
im anfang war kein wort kein grund
war ausser niemandes wort und niemandes grund
nur vage ballung eines ungrundes
etwas wie entnahme entzweiung vermengung
ein schmieren schleifen toben implodieren
namlose anfangslose unruhe höchster erregung
und mittendrin dein stilles auge
das immerzu aus seinem jetzt die geistesvorwart
und die seelenrückwart in die zwingende
beugung der worte versetzt
. . .
in der mitte also in der stille deines auges
in der mitte war das wort
und war dein anfangsloses wort
und ganz bestimmt von einer stimme
die die deine war von jeher und einmalig
zwischen leben und tod war dein gesicht
dein antlitz im blut im beben gegenwärtig
und im morgenrot dein windwirbelndes gesicht
das sich neigt und ringt und atem holt
von unten vom staubwort vom sagbaren ding herauf
und bringt unüberhörbar alle finsternis ins licht
. . .
dichtung ist gottheit des gedankenortes
wo sich das mosaik astraler silben bricht
und erste finsternis im ersten licht
dichtung ist steinsilbenglut
ein crash der sphären rasende protonenwut
und heiligkeit und strahlung
wie trinität und trinitit
kosmische glut verschmelzung ballung
aus sand und feuer ein stein aus galaxis und glas
strahl und staub entnommen dem anfangslosen
dem äussersten orkan dem geschleuderten all
. . .
die elemente dann erweckten deine stimme
temperaturen deiner sinne
den faustkeil und die urterz
kehlen zum firmament tönende
kehlenwellen bringen die masken zum klingen
masken die unser ganzes fleisch
und nackte seele nackter geist und
glut und kälte aller sinne sind
persona personare personare persona
. . .
die tugenden sind aber nicht vorhanden
sind keine elemente
sie sind zu erringen aus uns selbst
aus der lust und dem schmerz
aus der freiheit jenseits des paradieses
der gedanke und das handwerk der ethik
der gedanke und das handwerk der ethik
und mitten im gedicht fällt mir ein
das menschengehirn ist nichts
als chronik qual und motor aus unwohlsein
da fällt es schwer an jenes nackte tier zu glauben
das die menschheit wurde und geistesblut
aus angst aus wut aus neid aus hinterhalt
ein saugendes schändliches tier aus verlangen
und dauernder gewalt inmitten seiner
unaufhörlichen gedankenwunde
sieg und satan und sage und seitan
globus glaube gugelhupf
doch zwischen eden und ende kein buchstabe zuviel
. . .
wir sollten also klänge hören
beim lesen von gedichten
persona personare sie erinnern sich
wir sollten symphonien hören
ludwig van und franz und robert
gustav jean sergej und dmitri
sappho sarah billie diamanda
namen der noten der geisteskraft und der vision
wir sollten flügel rauschen hören
über steinwegen steinplaneten
den steinway aus obsidian
über der trinität über dem trinitit
heilig und strahlend allemal und licht und stein
vom äussersten des äusseren
sphärische harmonien untemperierte allemal
fürs unwohlsein der menschlichen gehirne
o grosser singsang aller kreatur
doch zwischen eden und ende kein buchstabe zuviel
anstimmen anstimmen
ich bitte sehr darum
was ist denn ein gedicht ohne den götterklang
was will schon ein gesang wie meiner
wenn nicht die symphonie der welten sein
die unendliche
ein adagio jenseits der moleküle
ein finale jenseits des nichts
symphonie die dämmernd verfällt
den rhythmen des kosmischen schwanengesangs
. . .
ich danke sehr nein danke
ich wollte meinerseits niemals geboren sein
ohne akkorde und vokabeln
ohne den keim des fiebers und der heiligkeit
ein stilles auge ein tierloses tier ist mir zuwenig
zwischen ohr und hund
os oris canis canis cannabis kabale kabbalistik
oder zwischen orkus und ozean
auch wenn alles ersonnene sinnhafte freskenfinstere
nur überwindung war und wahn ekstase echo
rausch verzerrung schützengraben schrebergarten
überwindung einer gottheit phrenetisch metastatisch
überwindung der gottheit von aussen
und jenseits des äussersten aussen
deine bluthaftende haut zellinnen zellinnen
es müsste schon ein engel sein
glühend und sphärisch wie ein komet
aus trinitit und trinität
und nicht ein übler dummkopf
der mir zeitgenössisch sagt hör uff
hör uff mit dem jeheule
was solln sinistre prophetien
schnauze ick will blöde sterben
nein nein ich bitte sehr darum
denken anstatt klagen
denken anstatt klagen und dies inmitten des infernos
es soll die not sich wenden
in der mitte des gedankens deines mundes
deiner galaktischen gliaglitzernden leere
schwarzes hirn der atemlosen hoffnung
denn sengendes leben ist überall
sengendes leben und feige und abhold dem tod
dessen reines feuer es doch war und bleibt
und asche von jeher
planetenstaub urwirbelnd aus eisigen feuern
und abgekehrt verrückt versengt chaotisch
wahnsinnig von jener freiheit
die der gefangenschaft des paradieses folgte
und ihr vollkommen entkam
und sengendes leben ist wahnsinn
inmitten der stille deines auges
das die gegenwart ist
dein unumkehrbares jetzt
. . .
dichten aber heisst gegenwarten
gegen warten gegen warten
vertikales gedicht
ein stachel des lebens lang genug
ins vakuum des todes einzudringen
und wir und wir und wir erinnern uns
erinnern uns erinnern uns unwiederholbar
allein durch wiederholung
wir sind unwiederholbare wiederholungen
doch zwischen eden und ende kein buchstabe zuviel
und lied und leid sind eine silbe der vollkommenheit
und arche und rache sind es auch
. . .
dann leiser und leiser jener orkan
ein sphärisches gebell zwischen ohr und hund
ein orkus überm ozean
und mittendrin dein stilles auge wie gesagt
und staub der erste stoff der letzte
die ganze philosophie deines gehirns
phantome aus traum und dreck und geld und kot
. . .
im anfang war niemand war unerhörtes
. . .
im ende war jeder war unhörbares überall
und jeder sprach vergehe vergehe vergehe
denn im ende war alles wort war aller grund
war ausser allem wort und allem grund
nur streuung panische ruhe aus neuron und nichts
schwindendes echo
ein letzter schmerz allgross
und dann erschöpfte einsamkeit
der tod als rezidiv
. . .
V. - VI.2o16 scardanelli
versus - welle der finsternis
du zögertest zögertest in der dämmerung
als sich vor dir das grosse tor der angst erhob
und war vom schatten des alls erbaut
abfiel von dir die hülle deines namens
zerfiel in der umkehr des uralten traums
nackt trat aus dir die zitternde gestalt
und trat vor die schwelle des tors
war glimmendes eis und verbarg
ihr antlitz wie ein einziges weisses auge
von jeher der finstertnis gegenüber
die der schemen des unendlichen war
grausames begehren von ausserhalb
nach innen gesogen nach innen
dein atemwirbel meerestief
der staubsäulen aufwarf wie vokabeln
der vollendeten endlichkeit
es war die stille aus ungeheuerem raum
vollkommenes erstes anwesen
und war die geburt des nichts
ein anwesen das dich rief und rief
du aber zögertest und zögertest
einmalig in der tagundnachtgleiche
das tor aber wuchs und wuchs
jenseits aller namen ins unsäglich offene
und mit ihm wuchs zitternd
deine nackte gestalt empor
und die welle der finsternis rollte
rollte über das unermessliche hinaus
den lichttod den sternentod einzunehmen
das schluchzen deiner seele von einst
zu überwölben die kataklysmen aus staub
und die welle der finsternis zögerte nicht
sie zögerte nicht
in der enthüllung deines abwesens
in der verbergung jener scham
deines unendlichen verschwindens
VI.2o16 scardanelli
der wille von aussen
war denn verbergung
wie ein engelsschleier galaktisch
und weltabhanden
und wann denn gnade
die ein jemals hält
nah deiner staubgestalt
war denn erbarmen
vom todesmund im todesmund
fern der gewalt ins offene
vollkommen in die leere
war denn notwendigkeit
für deine kraft für deine schwere
unendlich in der rücknahme
von jener hand die deine war
. . .
höre ins reine schreib ins verweste
unverwandt und rar
stimm an was dich von jeher sah
die finsternis jenseits des lichts
wahre die erste geste
in der ganzen bergung deines nichts
VII.2o16 scardanelli
kleider
wir verfielen früh
verfielen vor unseren kleidern
im dunkel der schränke aufgehängt
und unser leben war ein fremdes
einziges erwachen im tod
der der vollkommen andere war
und wir wie inseln im nichtsein
inseln aus denen ahnungen
atemzüge der nacht emporstiegen
gebet und gedanke aus der tiefsee des todes
wie schneewirbel inmitten des sommers
und fernste schleier der himmelsstrassen
wir aber verfielen
verfielen früh
während lautlos im dunkel der schränke
unsere kleider hingen und reglos
in der menschenleere
als warteten sie auf unsere rückkehr
hülle und gestalt des verschwindens
und wir überwältigt zuvor
überwältigt zu lebzeiten von hoffnung
archipele ausserirdisch und schön
allumhangen in der steigenden flut
jener unvordenklichen meere
und wir unumkehrbare
unbekleidet inmitten des nichts
schemen des alls fetzen aus schrei und blut
an den erlöschenden sternen aufgehängt
. . .
VII.2o16 scardanelli
der garten
kaum reicht meine hand hin
die weisse der seite zu füllen
die einzige
mit dem unendlichen alphabet
mit dem sterbensleib
der der ganze gedanke ist
einmal zu sein
kaum reichte mein leben hin
zu lieben jenen nebel jenen leib
denn liebe war immerzu das andere auge
das unendlich sah
doch niemand konnte mehr sein
als er je war im angesicht des anderen
. . .
was aber ist der garten
die hummeln im lavendel
die falter im rosmarin
der kirschbaum voller früchte
alles schiesst ins kraut auf seine art
lebt bebt und vergeht
ich finde mich damit ab
dass welt mich nicht mehr interessiert
katzen umschmeicheln mich stumm
die mücken wollen mein blut
ich habe zu lange gefleht
unter dem fuss des walnussbaums
will ich begraben sein
um anzustimmen das reich der bäume
und himmelskreisender vögel
um zu dichten was die gestorbenen
nicht mehr zu dichten imstande sind
was mir menschheit zur lebzeit verschwieg
und dass vielleicht schönheit und dank
und freude heranreichten
an das nichts aller tode
begraben will ich werden
wenn die farben am schönsten sind
und atem wie kosmischer jubel
jenseits der tage dunkelnden mundes
inmitten des paradieses
und einmal von jeher befreit
von allem menschengedenken
VII.2o16 scardanelli
früchte
die worte sammeln sich
auf dem gedankenfeld
und niemals umgekehrt
die worte aber fügen sich ein
leuchtend wie seltene früchte
und scheinen auf im dickicht
der gedanken
mühsame ernte allemal
inmitten des mystischen halls
inmitten der jenseitsepistel
schwarze johannisbeeren
sind meine gedichte
abglanz vom samt der silberdistel
ein bitterstoff der seele
das en-sof meiner kabbala
am wundrand aus gedächtnis und schnee
dunkelnder saft blutbeere der vokabel
zeitlebens geronnen
raumgewonnen
dorn und nabel
mein tod
VI.2o16 scardanelli
nachmittag eines fauns
alleinsein das ist einfach schauen und
es dabei bewenden lassen
alleinsein ist ein zustand der enttäuschung
wir denken unaufhörlich an andere leben
an orte von freunden und wollen
dass sie in erscheinung treten
aber nichts rührt sich
in der fermate aus gewohnheit und bedauern
in diesem matten mürrischen triumph
etwas lässt uns abdanken etwas tut uns leid
alleinsein ist ein aufenthalt am tisch
altes laster aus vagheit rache verschonung
ungehaltene dialoge unbewegliches ich
harmlose larve die sich unbehaglich denkt
die sich in stummheit selbst verliert
im vorwurf von abwesendem
in müdem überdruss aus eigensinn
flüchtig schweres und bedeutungsloses
verschafft sich platz wie schlaf
der sich dem schlaf verweigert
und nahe welten sanfter geräusche
isolierte rufe wirre töne menschheitsraunen
umhüllen das alleinsein
meditationen einer amsel im staub
drinnen der tisch draussen dämmernde dächer
ach gleichgültige mechanik des lebens
die uns beleidigt uns nicht beachtet
alleinsein ist ein zustand der enttäuschung
alleinsein heisst tee zu trinken
unter ausschluss des universums
im grunde eine angenehme zeit
VIII.2o16 scardanelli
wahnwesen
tod ist nicht der äusserste gedanke
tod ist abschied vom äussersten gedanken
um nimmermehr zu hören
jenen eigenen fremden letzten ruf
war eine silbe noch
war denn ein raum
zwischen blut und engel
leergefühlter staubkristall
gütig und klug wollt ich gewesen sein
spurlos im steingeschmeiss
am saum des letzten meeres
am hohen rand des schnees
hautentkleidet vom schweigen der nacht
die nur das unvollendete will und birgt
sinnerfüllt vom erdenrausch uralter liebe
die dennoch der lichtwunde erliegt
wenn aufsteigt jetzt das grausame
brechende schmerzgeschwulst
über der stimmhöhle markweich stumm
und ins unendlich blutlose wächst
werde ich selbst es sein
der mich allein geleitet
in die einmalige allsekunde
sternenlidgeschlossen dem gedankengott
den eigenen gottesleib zu opfern
hingeworfen unsäglich dem nichts
jenseits der äussersten finsternis
staubkristall leergefühlter
zwischen engel und blut
war denn ein raum war eine silbe noch
um nimmermehr zu hören
jenen letzten fremden eigenen ruf
VIII.2o16 scardanelli
wahnwesen II
Und kommen muß zum heilgen Ort das Wilde
Von Enden fern, und blindbetastend übt den Wahn
Am Göttlichen und trift daran ein Schiksaal.
( Hölderlin )
ichumwürgter
sternausgeschlossener wortleib
gedankenentstirnt
steinlichternd ins brandfinstere
darüber spurlos erahnt dein nichts
unabweisbar unsäglichkeitshohl
die augenhöhle des alls
jenseitsschlieren noch
blindumwürgt
wie weisses blutfadiges quallenwütiges
im sog himmelsenthäutet nach aussen
ichgestillt zeitentatmet
hinter der sternenfurcht
gottesnarbenlichtjahre
hinter der schuldiggesprochenen weltstunde
wahnraumerwartet
steigt die schwarzsonnengefrörnis
aus deinem nach innen geröchelten rest
todesrest metastasensilbig
von jeher und immerzu
erbrichst du die stumme riesige
zystische splittergalaxie
dein nach aussen gestülptes magmaherz
mitgerissen vom unaufhörlichkeitsnichts
entleerte stille irgendwann
nirgendwo nirgendwann
staublos spurlos
entlöst
VIII.2o16 scardanelli
der fluch
alles wird dem menschen zur verlockung
zum verlangen und reizt sein ganzes blut
auch das letzte übel aller übel
entkommt seinen sinnen nicht
unaufhörliche verlockung
unaufhörliches verlangen
geopfert und geschuldet
dem äussersten gott eines schweigens
dem unersättlichen hunger der silbe tod
ein malwerk innerster zerstörung
spaltet zelle und atom
zertrümmert alle augenblicke
entfacht die lust des mordes
die tränen der liebe den schrei aller geburt
. . .
etwas sagt mir
wir werden dafür bezahlen
für jeden atemzug dem himmel geraubt
für jedes machwerk der erde entrissen
für jedes erschlagene insekt
für jedes verratene element
für jede gedemütigte seele die verglühte
im wahn ihres kosmischen lichts
es rollt es schlingt ein zeitenstrom
das blutgeld der jahrtausende
und mündet in die finsternis
jenseits der schwerkraft
wo umhüllt von den schimären furcht gewalt
sich ein titan erhebt
jenseits des gedankens jenseits des raums
unvordenklich unbesiegbar
der titan des nichts
IX.2o16 scardanelli
triptychon eines glücklichen tages
I
die verschliessung
blutend mit der wunde am fuss
betrat ich den raum des toten
und stand vor seinem antlitz
ein schweigen höhnisch fast
in der verweigerung des leibes
ballte reglos die luft
als die erste sekunde der ewigkeit verrann
in der leere des raums dämmerte ein dämon
der forderte mein geständnis
der wies mein ganzes leben zurück
wie einen blinden ausserirdischen traum
unsägliches ersticken drängte mich zur umkehr
da sah ich das blut am boden
rubine wie dunkelnde augen des jenseits
böse glänzend wie ein vorwurf des mordes
was aber liess mich unweigerlich denken
dies sei nie mein blut gewesen
sondern von jeher das blut des toten
und ich die ungeheure fülle seiner abwesenheit
die sich von nun an immerzu
in mir vollendete
. . .
II
geographische lieder
die erde sagt adieu
trauriges ende nach soviel todesträumen
soviel schimären der angst
ziehn sich die elemente zurück
die ausgerissne flora
es schliesst sich das auge des ratlosen tiers
die menschheit winkt zum abschied
also raus aus dem all
raus aus allem gedankenleben
die menschheit hat es nicht geschafft
o schöne metastasenwelt
o blindes vergnügen o feste aller gärten
wer heute nicht an krebs stirbt ist ein verräter
o herzkrepierer mensch
ein wahn ein trieb inmitten des rasenden nichts
was fiel uns noch ein
ausser maschinen morden goldenen götzen
was hinterliessen wir auf dem weg allen fleisches
flecken flecken flecken
wir hinterliessen flecken
überall wo wir waren
hinterliessen wir flecken
wie ansichten der einzigen zeit
später als wir die erde verlassen hatten
und versunken in ihr unsere welten
und landkarten der worte
da konnte man sie immer noch sehen
die flecken
die flecken und ferner und ferner
und waren nie etwas anderes gewesen
als unsere vollkommene leere
. . .
III
diesseits der finsternis
sage nicht tod sage vollendung
das ist womöglich zu einfach
und dennoch will ich es einmal fordern
es finde ein jeder mit seiner stimme
mit seiner vokabel mit seiner hand
das angebot der liebe
die uralten dinge der erde
das geheimnis des gedankens
die güte und den klang
es finde ein jeder den tod des anderen
und seinen eigenen tod
dies könnte doch
jener unaufhörliche auftrag sein
der die schönheit und
die form der endlichkeit bewahrte
die von jeher das unsagbare verwandelt
weltausserhalb
weltausserhalb und dennoch
diesseits der äussersten finsternis
am anfang am ende eines glücklichen tages
sage nicht tod sage vollendung
VIII.2o16 scardanelli
das geständnis
das grosse gejammer war immer
das gejammer des zu recht verurteilten
bankrott bankrott bankrott
das ist das wort das mich am besten
ganz und gar beschreibt
wäre ich mensch genug gewesen
hätte auch ich einen auftrag erfüllt
und alle vergangenheit der welt
meiner zukunft zugeschrieben
selbst ein mörder kämpft um sein gefühl
um seine sichtung der verwirkten zeit
ich aber bin bankrott
bankrott wie der totale entzug allen alls
ich vermag nicht einmal mehr zu sagen
was denken soll und ist
ich konnte überhaupt nie denken
und dichtung wie die meine
konnte niemandem behagen
kein trost kein einvernehmen kein lob
und niemals innige zurkenntnisnahme
der traum eines lächerlichen menschen
ja das ist es wohl
das muss man ablehnen das ist zuviel
das kann niemandem behagen
verbrauchte eschatologie gezüchteter autismus
kindische furcht und nachgelogene platituden
ich hatte keinen auftrag keinen stil kein wissen
ich war bankrott und bin es heute mehr denn je
bankrott das ist eine hässliche leere
jenseits aller grosszügigkeit aller empathie
saat aus dummheit und erschöpfung
die schande des glücklosen scheiterns
o schönes wahres lachen der menschen
o unverstellte freie heiterkeit
o kluges mutiges leben in der nähe
in der ferne der anderen
in der nähe und ferne alles anderen
ich aber bin das nie mehr angenehme
herz aus hass in einem hässlichen raum
den habe ich selbst heruntergemacht
dort berührt mich niemand
dort berührt mich nichts
blütenschöne erde aber ertrug mich nur
weil sie mich niemals kannte
weil sie mein wesen mein sinnloses lob nicht braucht
auch die elemente verschonen mich nur
weil ich ihnen nichts anhaben kann
ich gehöre nicht in ihr geheimnis
auch wenn ich teilhabe und teilnahme heuchelte
meine worte verschwinden in lautloser luft
ich halte die hand in den fluss
der teilnahmslos mir entgleitet in kosmischer kühle
ich schüre ein kleines feuer o zitterndes licht
am rand irgendeines fleckchens erde
wo niemand hörte die abfällige stimme meines hirns
und läse mein tagwerk aus tränen und asche
bankrott das heisst nicht wissen was liebe war
wie lieben ging und logos und eros hymnisch vereint
ich faselte predigte fluchte irgendwas dunkles daher
ich trotzte ich rotzte weil ich nichts zu sagen hatte
ein manischer subalterner demiurg
angewidert von den bluffs meiner schaustellerei
bankrott das heisst kläglichen neid zu tarnen
mit pathos tod und bitternis
jenen neid auf geisteskraft und selbstverständlickeit
bankrott heisst kröte sagen wenn man goethe meint
ich verriet sogar den eigenen namen
ich löschte ihn aus
wie feigheit eines fiktiven mörders
den helden den gott auslöscht in hysterischem traum
und als ich noch mein eigener name war
stieg ich von gipfel zu gipfel
ich jubelte forderte und beglückte
aber ein ich zu besitzen schien mir ein frevel
mein ich zu vernichten aber war hybris
und war das ganze verbrechen
und selbst der schmerz
dieser einzige kosmische keim
zog sich von mir zurück
noch hinter meine kleingeschriebene silbe tod
was für eine scham was für ein hohn für eine kälte
was für eine stummheit jetzt
denn bankrott ist nichts als stummheit
und menschen kümmerten sich um mich
um mich der sich nie kümmerte
was für ein wesen bin ich geworden
ich will es deuten in folgendem bild
ich nahm mir grundlos irgendeine büchse
öffnete sie in blinder gier
ich löffelte manisch etwas ekelhaftes formloses aus
und dieses geräusch dieses geschepper eines löffels
war mein ganzes leben mein zeitwerk
mein ekel meine dauernde gier
da unten also kreiste ich
da unten kreise ich
und einmal umschlich wie krankeit des alters
ein katzenähnliches tier das hohle blech
meiner gewohnheit und verschwand
wie ein schemen meines entseelten lebens
da unten also kreiste ich
da unten kreise ich
die menschen sind immer noch höflich
sie wenden sich ab von mir
mit vornehmer geste mit rechtem willen
zur rechten zeit
denn ich erfülle sie nicht
denn ich erfüllte sie nie
ich erfülle mich nicht
erfüllte mich nie
ich kreise und kreise da unten
und kann nicht verschwinden
ich kann nicht verschwinden
solange mich noch
diese eine unendliche maske der angst
vor jenem urteil bewahrt
welches das unsägliche eröffnet
IX.2o16 scardanelli
begegnung mit der spinne
für philippe jaccottet
reglos schweigsam im schutz der gewohnten wand
lausche ich und lausche
auf dass ein gedanke in erscheinung träte
zitternd tastend wie metamorphosen jenes lichts
das den blendungen der gegenwart widersteht
den furien der niedertracht
dem wind der alles schöne zerfetzt
lausche ich und lausche auf dass sich bewahrheite
die stille struktur der dinge unter dem himmelsatem
den involutionen meiner herzinsel
zyklisch durchströmt von bluttrommelrhythmen
hautumspannt mein einziger leib
mein erster einmaliger kontinent
genügsam bin ich geworden
und webe mein wortnetz in die leere
die mich immer gewähren liess
die mich kleidete mit den silberstreifen der nacht
leere die meinen leib nie verriet
die vorsicht meiner blindertasteten stimme
einmal dankte ich jemandem den ich nicht kannte
dankte ihm für sein werk der blüte und weisheit
dankte also jenem anderen der mich nicht kannte
der mir dennoch schrieb aus grignan
aus den feldern voll lavendel und alter und tod
wir entzifferten uns und ich sah dem verschwinden
der schneesilben zu und der botschaft einer
vielgliedrigen hand die auskunft gab über die wärme
über die kälte und jene verwobenen silben
die das unvordenkliche streiften
wir hörten also einmal voneinander
in der weltsekunde des gedichts
ein jeder am rand seiner zeit mit den seidenlinien
vom geheimnis der erde vom raum ihrer geduld
von der sternenblüte die im unsäglichen blüht
aus diesem erinnern kehr ich zurück
reglos und schweigsam
genügsam geworden im schutz der gewohnten wand
und erkenne mit einemmal
die spinne vor meinem fenster tut es mir gleich
und mehr noch
ich bin diese spinne und sie ist mein gedanke
mein silbennetz wie dünnstes glas
zwischen nichts und nichts gepresst
wo sich göttliche geometrie entspinnt
die splitterte und übrigbliebe dann allein
ein rad aus feinsten rissen
und mehr noch
die spinne ist es von der ich dieses gedicht habe
metamorphose im schutz der gewohnten wand
und reglos und schweigsam
zögernd in der finsternis aus unermesslichem
nehmen wir beide wieder den faden auf
IX.2o16 scardanelli
überlegungen am fluss lethe
I
blutrot die welle der gegenwart
diese welt und ihre polis zu bekehren
wäre ein falsches versprechen
niemand hat die menschheit zu bekehren
deine inneren vokabeln zu bekehren
soll dein ganzes handwerk sein
zu öffnen die welle des raums
die ethik vom unendlichen gedanken
und ist nicht der verrat der eigenen stimme
das erste und einzige übel
und ist nicht jenes heile dich selbst
die erste und einzige erkenntnis
daran zu scheitern war genug
das heilige ist aber auch das neutrale
das wedernoch oder die ahnung eines sterns
der leuchtete unsichtbar im hellen licht
des tages
und namlos und sanft dein leib
am ufer der lethe
wie ein auftrag von drüben von der todesruhe
ist das heilige die ordnung und hülle
die enthüllung unvordenklicher harmonie
II
wieder und wieder befiel mich
ein schemen des nichts
die ungeheure schwäche der sinnlosen kreatur
ohne demut ohne gnade
überkommt mich der wahnsinn
und ist allmächtig von jeher
ich aber war wieder jener uralte dünne ton
skeleton
inmitten der unendlichkeit des todes
und tonloser zuletzt ein fetzen atem
ein faden blut
zeitentrissen unweigerlich
und zugesprochen wieder und wieder
dem unfassbaren saum des nichts
III
einmalig und unwiederholbar
verbraucht sich die freude am leben
stumm hinunter von spleen zu spleen
steige ich in den uralten mund der nacht
die quellen der liebe verrinnen
nichts hält
ein verrat aus dem raum
schlägt mir den atem ins gesicht
fernes heilloses licht
die kurze glut der welt
als wollte wie erhellt und abermals
etwas von vorn beginnen
doch das bin nicht mehr ich
IV
ich suche eine landschaft
die dem tod entspricht
schwarzlicht gedicht
was erleuchtete dein dunkelfeld
wahnahnend klafft im widerspruch
von todeswort und lebensort
der von jeher unendliche bruch
und dennoch
jenseits aller vokabel
dieses strahlen mit einemmal
diese gelassenheit der schöpfung
ein sonntag des begeisterten seins
die ganze offenbarung dieses sterns
die selbstverständlichkeit des wunders
. . .
ich finde eine landschaft
die dem tod entspricht
IX.2o16 scardanelli
fragment über die blume
dichten heisst zukunft heilen
blume
deren höchste eröffnung
immer in das wunder der blüte mündet
die blume ist reine erscheinung die
auch wenn sie nur für eine nacht erstrahlte
jene stille jenes licht jene farbe
jenes angebot der heilung entäussert
auf dass ihre vielfalt sich verwandelte
in deinen gedanken
von der unendlichkeit des geschöpften raumes
von jenen dingen der erde also
die wie geheime zeichen
eines anderen empfindens sind
ganz jenseits von blut und geburt
von besessenheit grausamkeit und verlangen
von jener kreatur also die wir sind
zwischen schrei und nichts
sich verwandelte in deinen gedanken
vom innehalten der zeit
die im angesicht der blume nichts als
eine zärtliche neigung eine grazile geduld ist
botschafterin einer ewigkeit des augenblicks
in der annahme der blume ahnen
und erkennen wir ein gedächtnis der farbe
von frühester frühe vom anbeginn
einer beruhigung vom ursprung des schönen
einen blühenden schemen von jenem
traumbild eines ersten gartens
wie umschlossen von der unaufhörlichkeit
unserer sinne
jedenfalls war die blume niemals betroffen
von jener erkenntnis von jenem baum
von jener frucht des lebens und des todes
die uns für immer des paradieses verwiesen
auch ist die blume eine entgegnung des sonnenlichts
sie ist ein licht was uns irdischen angehört
und nicht der glut der gestirne
ihre stille ihr fast unsichtbares wachsen
ihre zyklische wiederkehr
ihr todabweisender schein den sie innen trägt
ihr wille zur entfaltung dessen
was wir als schönheit farbe freude form
oder beruhigung anschauen und empfangen
sind womöglich deshalb so eindringlich
weil die blume fern unserer körper und seelen
das angebot von der abwesenheit des todes
entblättert und verströmt
flaum und aura duft und medizin
einer beruhigung der rohen kosmischen erde
die abwesenheit des todes also und jenes fiebers
das immer unsere lust und unser leid
unser wurf und unsere verworfenheit war
ihr blütenstaub gestaltet öffnet vermehrt
und überträgt wie menschliche vokabeln
im buch geeint unsere geistesfrucht
gestalten öffnen vermehren und übertragen
die blume stellt sich dar entblösst entwirft
entfaltet sich in willenlosem wedernoch
in der botschaft vom wesen ohne tod
vom metamorphischen material der elemente
von der farbe als pure gabe und empfängnis
vom stummen gesang der luft
blume
schatten und saft und flamme und nervatur
neben der dichte des steins
neben den göttlichen flügeln des grüns
neben dem unsterblichen lächeln der quellen
die unseren durst nach vollkommenheit stillen
wir bedauern das verschwinden der blume
wie ein bildnis vom abgang unserer herzen
bedauern das verschwinden dieses fächers
unserer sinne dieser duldenden dauer
ausserhalb aller schmerzen und aller angst
wir besingen ihre wiederkehr
die unsere gedankenzeit illuminiert
und erinnert und überdauert
deren höchste eröffnung
immer in das wunder der blüte mündet
X.2o16 scardanelli
stammbaum
die glatze vom urgrossvater
die kräuterlehre von der urgrossmutter
das gefährdete herz vom grossvater
von der grossmutter den tumor im mund
vom vater den predigerton und das aussehen
von der mutter den eigensinn und die angst
das klavierspiel vom bruder
die vier kinder von einer frau
die liebe von einer anderen frau
von der erde eine handvoll gedichte
von der erkenntnis die kraft des göttlichen
was aber hab ich von mir
von mir hab ich das ich und die arroganz
von mir hab ich die armut
von mir hab ich meinen tod
und das staunen über die dinge des alls
was aber ist jener stammbaum wenn nicht
der gefällte gestürzte verkehrte baumstamm
und jenes ich die fallende fruchtlose frucht
ungeniessbar am boden bereits
und eingerollt die blätter meiner vokabeln
vom wind der weltwut verweht
dann endlich die diskretion der pilze
die in aller stille den rest erledigen
humus für das nichts
X.2o16 scardanelli
die dämmerung
hohe fenchelstaude zur welke geneigt
silberstäubend dennoch
vor aufgang des winters
seltene farbe die im schweben verharrte
in der dauer der vorfinsternis
verwandelter atem der bliebe
über den traum vom erblühen hinaus
zärtliches feuer von woher
fächer im raum der botenstoffe
die fielen wie erinnertes augenlicht
vom strahlen des paradieses herüber
dämmerung aus der sich ein gelb löste
dein schemen der seele
als gehörte die poesie keinem schicksal an
vokabeln der luft die allem tod entgingen
zu ahnen jenen moment
einer gleichmut aus unendlichem
eines ausserhalb der schöpfung
dämmerung schimärisch
unsagbar dein wesen
zwischen leere und nichts
X.2o16 scardanelli
die schwärze
nachts
als wolken grau entflammt
sich öffneten für einen augenblick des alls
sah ich den mond wie nie zuvor
heller und heller werdend
als käme alle weisse der sphären
wie ein leuchtender wahn aus ihm
erkannte ich ein schattenaquarell
auf der gewölbten lichthaut
ein hund aus den tiefen des raums
ein sanftes tier eingerollt in den schlaf
seiner unendlichkeit
es schien diese blendung dieses bildnis
allein für mich zu sein
und ausserhalb von aller zeit wusste ich
es würde undeutbar bleiben
für immer
X.2o16 scardanelli
wie aus windfernen
ein flehen ein dennoch ein etwas
als erfüllte mich manchmal ein trost
der da käme wie milde ahnung
aus unsagbar unsäglichem
und auch ich würde eingehen
in jene finsternis die so anders wäre
als kalter todesraum
und mehr noch in sinkender dämmerung
selbst ein anteil sein und schemen
jener finsternis die zu lebzeiten
meine schöpfung erleuchtete
die die kraft meiner seelen
meiner vokabelspur war
meiner stimme ins
dunkel des tages
. . .
wie aus windfernen
mein trauminnerster leib
wie altes vertrauen von einst
und die blüten neigten die nacht
als wären farbe und schatten geatmet
und jenes geheimnis meiner angst ginge
von jeher den räumen der lichtjahre voraus
o finsternis von stille geschwärzt
ein etwas ein dennoch ein flehen
feinstes samenkorn
wie aus windfernen entnommen
entkommen
der grausamkeit vollkommener galaxie
XI.2o16 scardanelli
dante erwacht
sind sie gegangen
alle
sind denn alle gegangen von diesem stern
wie wesen des endes
und endend verwest
gegangen sind alle
erlegen dem atem dem atom
der metaphysik von mikroben
den seuchen verratener sprache
erloschen die menschheit
gemurmel und raunen von jahrmillionen
verebbt wie wellen von weltwirren
von künstlichen nächten aus seufzern
und neonpupillen
erhoben und gestürzt von dichtung und krieg
die dauernden tode aller menschenseelen
dichtung und krieg
diese unaufhörlichen glutgebärenden magnetismen
des ganzen seins im nichts
. . .
FULL STOP
. . .
sie aber
die anderen wesen
werden noch dasein
zaubrisch und streng wild und ernst
sie werden noch dasein
die fliegenden im nachhinein
und meerüber schneeüber blutüber sinnüber
boten der schwebung ruhe und ahnung
einer schwarzhauchenden gottheit
mit erdabgeworfenen mänteln
wolkenschlagende luftleiber vielleicht
sie werden noch dasein
die zugvögel auf steigendem lichtkurs
die unbeirrbaren mit den polargesängen
zu finden den ort aller geburt
den ersten keim der dem nichts vorausging
die quellen jenes grüns vom galaktischen urland
und rettende labsal von jeher
hohe grazile vokabeln der himmelsluft
nackte trägerinnen schamanischer zeichen
mystischer sphärenfedern
ein allgerichtetes singen
ein rauschen sirrender finsternisse
liturgien der lichtjahre
über den leeren pyramiden von gizeh
den stummen glocken von rom
dem marmorzersprengten moses
dem säulenstumpf von palmyra
der staubschrift der sandträne
der erstickenssilbe der ersten scherbe von hammadi
über dem letzten buch aus silikon
und über deiner haut
entkleidet und dann überdeckt
von fetzen aus runen aus pergament und aus titan
schädelscherben abgebrochen
vom hals der menschheit
vom kitsch aller gespiegelter welten
nanosplitter partikel von mutationen
waffen und asche und schreie verglüht
unter der welle aus kosmischem staub
. . .
FULL STOP
. . .
und warst nicht auch du voller gewalt
und unverstand und mundfäulnissen
und erbarmungslos geistesverwaist
und ohne auftrag in der lauten sklaverei
dauernder gegenwart
und unter die schatten verbannt
von maschinenfurien drohnenjagden
niedergerissen von metropolenfiebern
wie nach unten geschichteter gebetsstein
deiner missbrauchten zeit im all
begattend ein mordendes natterngezücht
das ungeheuer des endlichen schönen menschen
oder die rampe einer wannseekonferenz
begattend begötternd den wieder und wieder entflammten
garten aus eden und asche rasse und kreuzesmord
o ungestillte hungerträume
brotfossilien bakterienphiolen
o goldene masken des todes überall
und blendung und verlangen deiner angst
nach den foltern blutströmender leiber
den grausamen narbensälen nervenkatakomben
unsterblichkeitschimären
kosmischen fötenbränden strahlensystemisch
den stummen embryonenfluten
entlang den nabelschläuchen den knotennetzen
einer irrgeschrieenen entzündungsendlichkeit
kot und knochen und raumschiffe astraler opferaltäre
kadaver der gedanken elliptischer müll
wie träume deines verwesten schweigens
zum grund von ozeanen gesunken
aas und frass für anemonenheere
monster und monstranz seltenster erden
. . .
FULL STOP
. . .
sind sie gegangen
alle
sind denn alle gegangen von diesem stern
wie wesen des endes
und endend verwest
was aber hiesse es denn
einen menschen zu finden
der vernähme wie urvergangenes
wie tonarchaisches
wie universen von tränensymphonien
wie ahnende vor allen sonnen entfaltete
urnacht urnacht urnacht
vernähme noch die botschaft der blüte im raum
den ersten einmaligen gesang
vom jenseitsvertrauen der zeigerlosen zeit
vom herzmagma jenseits des keils und der schrift
den keim der elemente
und samen aller tode
das urteil der farbe aus sich selbst
den thron des ungedachten galaktischen neurons
und er
wie die zugvögel auf steigendem lichtkurs
verwandelnd das brandende stöhnen der ganzen welt
das wahnsinnige requiem der sterne
schon ausserhalb der verfinsterung aller sprachen
verwandelnd
ZU WAS ZU WAS ZU WAS
. . .
. . .
und kehrte noch einmal zurück
wortvoraus allvoraus flügelvoraus
mit jenem ersten gedanken
es könnte der baum noch dasein
ungeheuer und wurzelnd noch immer im nichts
der baum inmitten der leere des paradieses
es könnten noch dasein
kerne vom leben vom tod
und botenstoffe blumendüfte
geheime rinnsale allerfrischende
von der unendlichkeit zuinnerst
edenelegisch und unverlassen
und brächte mit göttlichen gesten
brächte heim nach jahrmillionen
nach einer sekunde eines je gelebten lebens
die ewigkeitsfrucht äusserster erkenntnis
innersten mutes
wie eine unvordenkliche silbe der schöpfung
und heilung öffnete ins unzerstörbare
die bejahung der wandlosen nacht
. . .
FULL STOP
. . .
denn
erblindet am glutstaub der kometenwirbel
an fernstem eis von feuergedanken entzündet
schützte ihn mit atemflügeln
getragen allein von todinnerstem tod
von ahnungsakkorden raumhin traumhin
allkühlend allemal
es schützte ihn
DER WINDFÄCHER DES HEILIGEN WORTES
und zarteste blumen der milchstrassen
wie sanfteste wälder von mauersteinkraut
schweigend mit sternweissen blütenkronen
arabidopsis halleri
heilten giftwandelnd und heiterwiegend
heilten aller sterbenszungen metallischen mord
. . .
was hiesse es also
zu finden einen solchen menschen
oder anders gefragt
wer würde es wagen in diesem äussersten sinn
in diesem strom jenseits der endlichen
sonnenwunde und zweifelnder geste
einer hand aus fleisch und wut
einer von antwort detonierten moderne
jenes heilige jene träne des unaufhörlichen auges
abzutun
abzutun als blossen göttlichen spleen
zu höhnen wiederum mit dem sterbensgelächter
dem fratzengrinsen dem ichgeheul
zu höhnen jenem windfächer des wortes
jenem eisvulkan jenem meeresschnee einer vokabel
meerüber schneeüber blutüber sinnüber
. . .
FULL STOP
. . .
oder wäre auch jener mensch
den zu finden einer sich vorstellte
wäre also auch er
wieder nichts als ein stürzender engel
von zu weit von zu nahe gekommen
ins irrgestöber entäussert und erinnert
hoffnungschimärisch
ein kreisender stotternder wahngott
der zuhielte im rausch fremdester schemen
wie enthäutet und ohne organe gehöhlt
zuhielte
auf die wundkruste dieses sterns
auf das niemals und das immerzueinmal seiner selbst
und für immer entsagt
mit der noch niemals gerufenen
zu niemandes dasein berufenen formel
LIEBE LIEBE LIEBE
. . .
FULL STOP
. . .
. . .
und zerschellte namlos als ein letzter
ein letzter ein letzter ungeboren
wie tonloses lachen eines rasenden rachens
ungeboren von jeher und unentzifferbar
zerschellte als ein erster ein letzter
unerhört an seinem nichts
I. 2o17 scardanelli
celan
zu singen jenen einen schrei
mir träumte ich rettete einen menschen
hinab und abgestossen von sich selbst
schwarzströmend randüber
pont mirabeau
zum ausgelöschten hin
er trug schon die asche im namen
die asche und die amsel
antschel antschel
trank aus dem klagekristall nachthebräisch
trank das absolut böse hinunter
mordsein und zeitgewalt würgten ihn
wie äussersten wahn
die mundmeute riss immerzu
an seinem gehäuteten stern
die hundmeute deutschhündisch
er trank magmablut aus seinem feuerspalt
sich zu fügen dem wundmesser der seele
schneeweisse diodenschläfe
wo alles jenseits sich aufbäumt
wo stummgewürgt die geschichte
die ganze menschheit verlässt
er stiess sich hinab stiess sich ab
vom steinscheitel der brücke
wurde sein leib ein rohes weltennichts
brutal genug sich zu ertränken
ein mythopath ein orphisches gegentier
das warst du also auch
was blieb war hoher bukowinischer gesang
schmale gebetsgerippe steindicht
heilig und unerhört wuchs engelsgross
ein weisses blatt und blühte seltsam
und war der rücken seines todes
leuchtend gewölbt über den fluss
leuchtend unentwegt
dem unentwegt unsäglichen
mir träumte ich rettete einen menschen
zu singen jenen einen schrei
I.2o17 scardanelli
anrufung des dichters
kein gott ist gross
hölderlin nach 18o jahren
singen sie mehr denn je
die hymnen vom mord
entfesselt ist der weltdämon
der bürgerkrieg der welt
die bestie der nationen
die rasse geld und hunger frisst
hölderlin
es rollt etwas grosses dunkles
auf diese menschheit zu
die kehlen dürsten umsonst
nach heiligen quellen
die bettlerschalen sind leer
kein strom geht mehr im trockenen
hölderlin
es wächst ins ungeheure die gefahr
die unaufhörliche begierde
es schwindet unter foltern feuern fluten
das rettende auch
und schuldlos getränkt sind die klippen
von kaltem gedankenblut
vom berstenden golem geschichte
hölderlin
was aber sollen wir
uns selbst als ebenbild gottes
aus dem tod zu ziehen
ist es das was wir sollen
sind wir es selbst oder etwas am leben
das uns von jeher zugrunde richtet
was für ein geistesgift überall
weltlos beginnt erst schrieb orsolya kalasz
dennoch sing ich meine fetzenhymne
während meine wortspur meine sterbensstimme
im kümmerlichen schnee des morgens verläuft
singe ich unter der geduldigen krone
des walnussbaums inmitten dieser seltsam
geschwärzten welt
inmitten dieses seltsam geschwärzten lebens
dennoch also
hölderlin 18o jahre später
sing ich meine fetzenhymne
zerstöre kein gedankenall
der mensch ist auch ein himmelskörper
zerstöre kein gedankenall
der mensch ist auch ein himmelskörper
ZERSTÖRE KEIN GEDANKENALL
DER MENSCH IST AUCH EIN HIMMELSKÖRPER
II.2o17 scardanelli
präludium für einen roman
es tröstete aber dennoch
in der weltverheerung
die seltene kreatur sein ganzes denken
. . .
eines sonntagmorgens
im aufgang des dritten jahrtausends
sass er auf der holzbank vor dem haus aus lehm
als wäre er fünfzig jahre dort gesessen
gewohnheit und auslöschung
entstellten ihm gleichsam das herz
und er schaute über die kirchturmspitze
wo anschlug die reglose zeit
schaute zum himmel hinauf
der ihn so seltsam schwächte und etwas
wie lautlose leere erfüllte alles um ihn
was er aber vermisste
inmitten der wölbung des raumes
waren die berge am ende der horizonte
jene uralte ruhe der gipfel aus kindheit und schnee
jener traum einer schlafenden jungfrau
jene kraft der schönheit vom sehnsuchtsgrund herauf
die wohl das bild seiner erinnerung
das licht der liebe und die ganze form
seiner vergangenheit gewesen waren
und es war ihm
als sei alle beschreibung des lebens dahin
als hätte es jenes weltall nie gegeben
als hätte man ihm über nacht wie ein wahn
die geschichte der menschheit genommen
als fehlte ihm von nun an
ein fundament des unendlichen
und nicht einmal
uraltes vertrauen der bäume um ihn
tanne weide kirsche walnuss
hätten ihn zu trösten zu retten vermocht
in der unaufhörlichkeit des jetzt
. . .
zögernd stieg die sonne empor
der tag entfaltete ungeklärt ins fassungslose
seine winterkälte
ein vakuum milchiger farben im all
ein abgrund unsichtbar und grell
öffnete menschenfern und ohne mitleid
das auge der ihrer freude beraubten schöpfung
. . .
es tröstete aber dennoch
in der weltverheerung
die seltene kreatur sein ganzes denken
als wäre der tod eine nostalgie
und jegliche blume hielte
ihr ewiges versprechen
er aber hörte auf zu schreiben
wo immer sein leben begann
II.2o17 scardanelli
fruchtbares dunkel
noch ein paar sonnentage
können dem tod auch nicht schaden
erlaubte sich sterbend
einer zu sagen im spott
. . .
zu legen sind aber nicht
wurzellos die blumen
auf die gräber der toten
sondern vom tod
sollen durchdrungen sein
alle blüten der blumen am morgen
um deine anschauung der erde zu werden
denn könnte nicht jedes erwachen
auch ein unendliches sein
II.2o17 scardanelli
kabbalistik
die rose war glücklich
auch wenn die liebe
manch hässlichen laut gebar
schön soll deine rückkehr sein
ist liebend den sterbenden
sterbend den liebenden
zuzuflüstern
zweihundertundzwölf ist wahr
2 1 2 ist die anzahl deiner knochen
sie verändert sich nie
unendlich genügsam soll sein
dein endliches verlangen
wer wird heute kochen
ich halte es mit den katzen
sie schlafen und tigern entlang
der geweisselten wand
und sind zum streicheln charmant
täglich gilt es den ziegelstein zu schleifen
liest du bei julio cortázar
doch täglich ist auch zu pflegen
jene wunderbare faulheit
auf der nämlich erblüht das denken
und gerät zwischen welt und amen
elliptisch ins wanken
das ist den seltsamen dichtern zu verdanken
auflachend leise schreibst du es in den wind
bin kein gewöhnlicher mystiker
bin 2 1 2 und kreise von oben nach oben
um weise zu sein
wie ein nie geborenes kind
die rose war glücklich
schön soll deine rückkehr sein
II.2o17 scardanelli
im geistesland der sterne
sind gedichte denn von menschen
oder doch notate aus dem all
durch unsere stimmen hindurch
zu sprechen bleibt also
freiwillig und gleichermassen
von der ungeheueren nähe des wunders
den tod nahmst du mit
freiwillig und gleichermassen
die silbe des unsagbaren
das leben erfährt nur sich selbst
sein wille gehörte nie dir
und gehorcht den wellengängen
für jenes symbol jedoch
das du trugst unwillig
das zwingend dich trägt
und verschlossen
über die geheimen flächen der sinne
über die haut der erde
für jenes symbol fehlte dir
bis zuletzt jeglicher name
das einmalige götterwort
vielleicht warst du deshalb voll eigensinn
und widerspenstig
und es musste so sein
und zerstörte doch das meiste
und dies immerzu vor dem geheimnis
deines offenen todes
vor der neigung der blumen
jenseits des blutes
im überall
. . .
dann tritt hinaus in die winternacht
fall in ihren anderen atem
spür das knirschen des leibes
die sterne zeigen dir wer du bist
wer du nie warst
wer du also bist
ein flackernder blick
ein fünkchen fieber von ihrer zeit
eine idee vom augenblick einer idee
vom unaufhörlichen
und dahinter
inmitten der dauer aus finsternis
vermutetest du der lichtjahre lautlose linien
vibrierend von jeher
von jeher vibrierend
warst du ihr einziges äusserstes echo
du und dein zittern
in der erwartung
vollkommener stille
II.2o17 scardanelli
das werk
sterne seelenatome
zersprengten marmors
im finstersten äusseren
erlischen aber die sterne
gehen auch uns die lichter aus
also soll kunst
jener apollinische torso sein
oder ne lumpenstatue meinetwegen
ein himmelswortfetzen der drüber geht
den unaufhörlichen toten
jenes staunen abzuringen
das sich anhört in steinblindem erblicken
wie durch allen lebensmund bestimmt
o schönes werk schön und genau
als hätte es ein sterbensdasein gegeben
und dafür eine atemzeit ohne vergehn
solches werk
dafür und darin muss man bestehn
II.2o17 scardanelli
überwindungen
I
auftauchen vom ungrund des alls
an die oberflächen des wahrhaftigen
wo farbe und form die reine und
untrügliche offenbarung wären
heller werdendes licht
inmitten der gnade der sinne
und du ein spaziergänger des albtraums
im aufgang des nichts
spaziergänger durch die galaxien
deiner finsternis
und kehrtest zurück auf den lebensstern
wie eine seele die keinen körper findet
ein gedankengast vielleicht
oder ein engel sanft selbstlos und sanft
wie wetterleuchten unter den wolken
den himmelsblumen des äthers
dass sprache an solch unvordenkliches reicht
nenne ich göttlich
. . .
mit jeder gestalt aber erschien auch ein name
und alle dinge waren objekte des auges
mit dem baum erschien der name des baumes
und war sein wesen selbst
inmitten der vielfältigen stimmen
des duftes des winters
des thymians des schneekristalls
poesien waren es
wie regen des monsuns der tröstete
das dürstende blut der menschheit
. . .
du aber entsinne dich
der sternbilder der freundschaft
ent-sinne dich der geburt des mordes
beide sind dein mund in der furcht
in der grausamkeit dieses jahrhunderts
seele aber nenne ich saum des göttlichen
engel der dich unaufhörlich streift
in der elementaren erwartung
zu feiern das grosse fest aller vergangenheit
denn die seele allein ist das unendliche
das die rücknahme der zeiten ermöglicht
ist sprache vom jenseits der sprache
mund vom ewigen schmerz
. . .
auftauchen vom ungrund des alls
von traum und einbildung dessen was du erinnertest
schorf und blut das liebte
liebe die liebte von jeher und immerzu
und ihr name war ihr wesen selbst
und tod
von jeher dein zugriff auf das unendliche
II
es gibt wohl gedanken
die sind nicht vom menschen bestimmt
du weisst nicht ob du sie denken darfst
ob ihr wahn nicht anrührte
den gegensinn des todes
worte untastbar dem sterblichen
materie vom fernsten sternenstaub
silbenarchipele die anklängen
in den symphonien des wetters
von schneegipfeln von wälderschweigen
von sandwellen von anemonengründen gestaltet
gesungen von den regungen der elemente
akkorde des nichts
die bewahrten und bewahren ein unfassbares
erhellte solches denken deinen geistesleib nicht
was bliebe dir dann in tiefster bestürzung
ausser einsame schreie wie echos aus welke
und fleisch und fäulnis und fall
und jene wut nur zu leben zu leben zu leben
wie eine brutale rache der leere
und ist es nicht so dass die blume sich
der wiederkehr ihrer blüte erinnert
vielleicht war alles dasein
ausschliesslich vergangenheit
vergangenheit ohne den widerspruch der zeiten
vergangenheit die endete mit deinem tod
mit jedem tod
denn nur vergangenheit ist gangbar
und wie im traum erbauten wir
der finsternis blühende häuser
mit jedem tod also ein nach-und-nach
des vorvergangenen des unaufhörlich
vergehenden vergängnisses
ein immer wieder vom-ende-her-beginnen
zukunftslos rückkünftig
da dich vergangenheit erwartet
wie ein traum im traum durch todestüren
ein morgen im gewesenen morgen
ein blühen und erwachen des todes im tod
ein kopfstand der leere also
ein himmelsozean der sphärenflut
ein schneewirbel an den meeresgründen
ein kuss züngelnd ins innerste der galaxien
und du ein nachwesen immerzu
ausgeschüttet ausgeströmt ausgestrahlt
von jener rückkunft des ewigen schlafs
und du
vorwegnahme deines innersten auges von jeher
und deinem und allem vergangenen vergehen voraus
und vielfalt der erde wäre nichts als zeichen
und botschaft und botenstoff einer
wahrnahme vollkommen zeitlos
blüte der blumen stimmlos über dein
gedankenall hinaus
in windungen in überwindungen
und überträgerin deiner vergangenheit
jenseits des urteils der sterbensgeburt
so also
das gestirnte mosaik vor augen
der finsternis blühendes haus
die rückseite des kosmischen schattens
unendlichen ungrund des vertrauten
dich
dich
dich allein
II.2o17 scardanelli
am rand der milchstrasse 2o17
ein ganzes jahr riss auf
und schien uns wie verwüstung von jahrhunderten
die wörter die stimmen ein myriadengebrüll
süsslicher schrott wie epiphanien von puppen
fruchtlose botenstoffe rasend kreisend
um ein weltnervennetz
ein ganzes jahr riss auf
beschmutzte den weissen raum der poesie
das geistestuch über dem lied der jenseitselemente
heilige flora heilige farben und mund und nahrung
und formen bewahrt von leere die den raum öffnete
für das anwesen des schweigens
wir aber wurden die furien unserer manischen augen
wir schrien umnachtet von schreien und nächten
die das gelächter verbargen und die mordlust
in der flackernden glut aus angst und hass
wir waren die selbstumwundenen und drehten
virale feuerräder für den karneval der kataklysmen
für die nackte göttin der hysterie
planeten implodierten im schlund des verlangens
auf esoterischen abraumhalden
zwischen flüchen und wahngebeten riss uns
ein demiurg mit einer folterschürze aus gold
lichtweisse zähne aus kieferknochen
doch könnte der schmerz auch ein traum gewesen sein
ein traum wie verwüstung von jahrhunderten
ein ganzes jahr riss auf
am rand der milchstrasse 2o17
wimpernwund starrten wir auf die bilder
eines unaufhörlichen märchens vom ghetto eden
und wussten wir sind auf dem stern der verbannung
büsser eines lebens das aus sich selbst das böse war
und dieses böse war abseits aus sich selbst
und dieses abseits im irren aus sich selbst
und wir wie epiphanien von puppen
süsslicher schrott aus den bohrungen des bluts
als ein ganzes jahr aufriss
und schien uns wie verwüstung von jahrhunderten
II.2o17 scardanelli
was sich erübrigt
dasein
dieser dauernd vorübergehende
zustand hündischer ergebenheit
gift gift gift gift gift gift
ist der name unseres ganzen todes
wir sterben den tod des gifts
doch heisst verwesung nicht auch
saat und streuung unserer wesen zu sein
also begiessen wir mit blut
die dendriten in unseren schädeldomen
auf dass die gedanken himmelswurzeln schlügen
zu pflücken die fingerbeeren im gedicht
den uralten keil zu treiben in den ton
die stimme zu bannen in die verwandlung der schrift
leben erntet immerzu
was tod in unsere sinnensphäre setzt
ins dickicht der allegorischen zeit
säe und singe auch du
hol deinen anteil an atem
für die atem-ode des augenblicks
sinnfällig hinfällig wie ein windmund
die strophen die katastrophen hinunter
in lautloses lichtgestrüpp
wo etwas gegen
wartet
was sich erübrigt
im zustand hündischer ergebenheit
II.2o17 scardanelli
katá katá katá
heiterkeit des todes
lachender quell
den abgrund zu bejahen
die erste arche wendete die not
noah wusste noch was leben bedeutet
und vielfalt der kreatur
vertrauen in die regung der elemente
katá
die zweite arche zerbrach
am eiskristall im meer
es sank ein götze der titanen
den bauch voll tanzendem menschenfleisch
näher mein gott
katá
die dritte arche besteigt niemand
ihr bau ist virtueller wahn
der schemen einer jenseitsjacht
ein weltloser hybrid
eine gedankenchimäre die sich löst
vom schwemmland verwüsteter zeit
ein suizid der bestie mensch
auswurf und todessingularität
ein sputum für das nichts
katá katá katá
II.2o17 scardanelli
eine art ablass
stunden gibt es
stunden des glaubens
ich hätte nichts mehr zu verlieren
wer segen sagt soll gesegnet sein
wer heilung sagt soll geheilt sein
wer zeichen sagt soll gezeichnet sein
vom göttlichen mund
der ihm darböte die frische des wassers
die frucht der erde den atem des alls
und die hand die der liebe des anderen gilt
der unendliche mantel der finsternis
soll ihn umhüllen wie eine tröstung über den tränen
der treue raum seines todes
soll ihn schützen vor den illusionen des lichts
den einöden des geistes
und löschen das feuer des endlichen verlangens
jenen traum zwischen fötus und fossil
zwischen blut und nichts
und aufgehoben für immer wären
wille und schrei asche und molekül seines lebens
in der sanften urne des alls
in jener vervollkommnung von schweigen
leere und wunder jenseits aller geburt
MARTIN LUTHER
mit dir aber will ich feiern eine art ablass
du berserker der bibel du führer der pegida
du gott der glatzen mit dir will ich feiern
den deutschen mördersinn das fest des antisemiten
fünfhundert jahre sollen die synagogen brennen
in deinem kalten rasseherz
und der stern der erlösung soll ewig glühen
in deinem christenhirn um auszulöschen
mit asche die bestie deiner barmherzigkeit
wer aber segen sagt soll gesegnet sein
wer heilung sagt soll geheilt sein
wer zeichen sagt soll gezeichnet sein
vom göttlichen mund
der ihm darböte die frische des wassers
die frucht der erde den atem des alls
und die hand die der liebe des anderen gilt
II.2o17 scardanelli
komet
komet
ein brocken gescheiterter zufall
ein projektil der ewigkeit auf diesseitskurs
zerschellt wie ein seelengeschoss
zwischen schlaf und schlaf
tumortod und sternenhumus
schmilzt auf der stahlgluthaut
auf der aschelinse auf dem schwarzen punkt
dem innersten kugelrest
der übrigblieb von diesem stern
der baumheit der blütenvokabel
der neuronalen experimente
inmitten von schönheit und gotteshaar
o silben der heiligen verschwendung
o grasgrünes grün der himmelsteppiche
. . .
ein komet also
flammentropfend in ein fluchvermessenes all
furchtvergessen zwischen gedanke
und blutfieberndem leib
ein komet also
verschlingt sich selbst
zerbröselt im mantel der finsternis
wie ein galaktischer schluckauf
wie eine blinde seele die man aufgegeben hat
und lichtverjährt längst
das ganze aufgegebene nichts
II.2o17 scardanelli
die nahrung des nichts
im unvollendeten mosaik
aller je zum kosmos erhobenen gebete
im unvollendeten raum
der von jeher der finsternis vertraute
wären die gezählten gestirne
wie fernste wegmarken des nichts
und wir gezeichnete ihres lichts
gelähmte einer schwerkraft und
atmeten den wind der leere
die unendliche lähmung
von schwerelosem nichtsein umringt
die worte aber wären gedankenwesen
archen des äussersten zurufs
für die wellen aller akkorde
und jene akkorde eröffneten wiederum
den worten das all der stimmen
aus elementarem material und den schall
und das echo aus der entfernung der gottheit
vollkommen und lautlos in sanftestem jubel
wären allein die chöre vom schnee
die weissen himmelspiktogramme
schwindende mosaike auf der haut deines lebens
die gemälde die seelenbilder der menschheit
bannten jene klänge in farben
verdichteten den raum der die zeit aufhält
gäben der sprache ihr schweigen zurück
und der gottheit ihr blindes antlitz
all das geschähe inmitten des gedächtnisses der erde
der neigungen von blütenkronen
geschähe im zyklischen rausch ihrer sinne
entfaltend entblätternd eine schönheit
zwischen eden und ende und geschähe
wie wille und keim für jene worte klänge
und bilder der menschheit
entsprungen dem geheimnis aller tode
dem geheimnis ihrer lust und verwandlung
und die schatten aller dinge der erde
kühlten das unruhige herz des menschen
und wären die schemen eines schlafs
jenseits aller namen
jenseits aller bücher und symphonien und bilder
jenseits der tränen unseres verlangens
und unberührt vom wahn aller erinnerung
von der geburt der sonne und ihrer verdammnis
vom geringen aufschub unseres seins im nichts
. . .
der mensch
der nun solches empfinge und offenbarte
durchströmt von der liebe und dem blut ihrer wunden
und wie geheilt von ihrem fieber
durch den schnee der unendlichkeit
dieser mensch ginge in seinen tod zurück
über den rand von furcht und vertrauen hinaus
ein winziger punkt in sich selbst
ein neues seltsam metaphysisches material
und wäre vollendet und geeint
im wort das von nun an schwiege
im klang der von nun an verhallt
im bildnis das von nun an ausgelöscht wäre
und ein solcher mensch wäre nun selbst
ein botenstoff aus dem unsagbaren unsäglichen
ein element aller sinne
ein teilchen jenes unvollendeten mosaiks
in der erhebung aller unvollendeten gebete
und wäre zugleich und für immer
die nahrung des nichts
die nahrung des nichts
die nahrung des nichts
III.2o17 scardanelli
full of scorpions is my brain
( shakespeare – richard III. )
einen wald voller gedichte
hab ich in meinem hirn
umgeben von stille und ausserirdischem dunkel
einen schönen rauschenden wald
einen blühenden welkenden wachsenden
fallenden hain aus dendriten
ein synaptisches wunder aus verästelungen
wurzeln und rinden silbenentfaltungen
knospen und duftenden zapfen
in meinem geheimen knochenhimmelsdom
umhüllt vom hintergrundrauschen
aller gelebten stimmen und vokabeln
o schöner tempel der amygdala
wo gliablüten wie sterne auf neuronenfeldern blühn
fluten eines ewigen traums
hymnisches grün eines gartens
und inmitten jenes waldes
diese lichtung sommerhell
mit den schatten namloser tiere
winterkristallen mit der symphonie vom schnee
überwölbt von witterung des schweigens
dem firmament einer unendlichkeit geöffnet
diese lichtung wiederum hält in ihrer mitte
ein dunkles warmes moorauge
schwärzestes kosmisches material
heilend satt und weich
lehm und mineral vom jenseitswort geschöpft
heilend für die biegung meines denkens
für die blicke ins nichts gelenkt
für die häutungen meiner zeit
die endlosen beugungen meines singsangs
und sanft während ich sinke ins auge
winken mir die blütenarme zu
die nadelkronen der wälder
die lichtschatten einst gesungener silben
das ist mein gedankenwald
steigende fallende blätter des hirns
dom der göttin der lust und des todes
ein galaktisches orphisches urland
ein grüner wogender zyklus
wurzelnd im ungrund aller vortode
fruchtend aus dem keim des unaufhörlichen
einen wald voller gedichte
hab ich in meinem hirn
umgeben von stille und ausserirdischem dunkel
einen schönen rauschenden wald
o bäume o gedichte
o seltsame geburten meiner seele
full of scorpions is my brain
full of scorpions is my brain
full of scorpions is my brain
III.2o17 scardanelli
eine regung
blüten blütenkronen
strahlungen der schöpfung
zögernd zu enden
in der abnahme uralten lebens
zögernd aufzuhören
in äusserstem augenblick
es lauschten die blüten die blütenkronen
in einer neigung nach unten
in der todeswelke
der harten vertikale entlang
den stengeln der gewesenen stunden
und alle nervatur der blätter
sinkend wie haut der leere
dem lichtlosen ungrund zu
wo wurzeln wie weisse knöchelchen
dem verbot der erde erlegen wären
der tiefe ihrer selbstverschlingenden glut
der umkehr der botschaft vom licht
vollendet vom schweigen der letzten vokabel
erschöpft vom galaktischen traum von einst
verfinstert vom abwesen jener blüten
jener blütenkronen
das göttliche aber waren die farben
und ihr verschwinden war
der ganze wille des göttlichen
und die reglose regung die letzte regung
wie ein unendlicher gedanke
im aufgang des nichts
III.2o17 scardanelli
isotopien
für uns die wir einmal aufwirbelten
den geringen staub vom galaktischen geröll
was aber heisst es
mit der äussersten biegung deines leibes
jenen punkt zu berühren
der immerzu dem unvordenklichen vorausgeht
wie ein vorwurf deiner seele
wie ein staubkorn jenseits der leere
todstumm blinddämmernd
wie ein gedanke der finsternis von jeher
in der verweigerung der silbe nichts
was also heisst es
mit äusserster anstrengung
jenen punkt zu berühren
als wäre die weisse hinter der sonne
eine andere ahnung vom all
als wäre licht kein zerfall und wille kein wahn
doch der traum vom rasenden stillstand
deines leibes im raum ist wahr
und du ein wundspalt eine perle blut
inmitten des fassungslosen vakuums
was aber heisst es
mit der äussersten mundvokabel
jenen punkt zu berühren
als stiessen als rollten wir
das schwarze auge des alls vor uns her
als müssten wir immerzu die gottheit
entfernen
die gottheit entfernen
vom äussersten gedankenrand
vom innersten schrei einer heiligkeit
die dein ganzes leben war
und jenes leben die ganze verbrauchte ewigkeit
und du ihr einziger ort im nachhinein
die haut und das blut vom wort
und du der schwindende einzige stein
III.2o17 scardanelli
die übereinkunft
jene träne
blau und einmalig
dem ersten schweigen gegenüber
als öffnete sich ein unvordenkliches auge
für die empfängnis der äussersten finsternis
. . .
es schliesst aber und senkt sich das weibliche
in frage und erwartung und war
wie ein gedanke in allem anwesen
und ruhte von jeher auf der schwelle des raums
es erhebt und entrichtet sich das männliche
durch antwort und gewalt und war
wie ein schrei ein wille aus seinem abwesen
stieg immerzu an den brüchen der zeit hinab
grund vom ungrund war das eine
ungrund vom grund das andere
und beide vereint und entzweit
im zustand der gegenwart
verneint vom glutkern im inneren der träne
als hielten und spannten zwei pole
das mosaik der elemente und nannten namen
für das einmalige kleid das umhüllte
die wölbung jener träne
jenes sterns blau und einmalig
und sei es nur
um einmal übereinzustimmen
in jenem verlangen
das dem stein und der welle entsprang
um einmal voneinander zu hören
durch die vollendung einer frucht
unter allen neigungen der furcht
als kämen überein
das gesetzte wort und sein entsetzen
die schönheit zyklischer verwandlung
und alle verzweiflung der lust
der unendliche gedanke der gottheit
und die verschliessung des nichts
und sei es nur
um einmal vorüberzugehn
im aufgang der hinwegnahme jener träne
erhört und gestillt und jenseits des lichts
als schlösse sich mit jenem auge das ganze gedächtnis
vollendet von deinem letzten laut
der das erste schweigen war
vor aller übereinkunft
zuinnerst wieder
wesenlos und
weiss
III.2o17 scardanelli
das gedächtnis
wie nahe du den worten warst
und sie wie riesige reiche ohne farbe
ohne historie paraphysisch
und sie wie deine worte nah
nahe dem äussersten empfinden
das das ganze bildnis von dir schuf
von dir für alle anderen leben
die an dich rührten
und bildnisse von diesem stern
für den gedanken vom unendlichen
inmitten des verschwindens aller tode
dein körper aber schwieg
schwieg und wusste nichts
von den jahrtausenden
von der verneinung einer finsternis
vom abenteuer aller sinne
im angesicht der galaxien deiner angst
vom auge das die welten deutete
pupille der nacht und
weisses rückgrat hoher felsgebirge
die tage deutete wie träume der verbannung
gottheiten der kriege der liebe
und echos der vergängnisse
wie nahe du den worten warst
und sie wie riesige reiche ohne farbe
ohne historie paraphysisch
und sie wie deine worte nah
nahe der welle dem gedächtnis des wassers
den schemen aus wirkung und licht
deinem fieber deinem zyklischen blut
das immerzu dein ich erfuhr
die maske deiner gegenwart
und kanntest letzthin nur die silbe schmerz
selbst diese schwieg und war
dem licht entzogen
schwieg tief in deinem sterbensleib
und jeder schrei war schon ein anderer
war wie erbarmen einer fremden kreatur
die lust die leere die blüte der schnee
waren schon andere und füllten
erfüllten wie dein wort wie deine träne
die botschaft des wassers
die gestirnte kosmische bläue
kristalle öffneten dein äusserstes geheimnis
dein leib hat nichts davon erlebt
dein leib verriet sich nie verriet dich nie
hatte einmaligen bestand
bis seine haut der kurzen zeit erlag
und geisteslicht und ahnungen der seele
namlos verfielen dem gesetz aus schweigen
und deine stimme erlosch
stimme die doch die ganze umkehr war
von stummheit fassungsloser himmelsleere
von innerster verzweiflung und
heiliger gottesklage
und du wie ein engel aus stein
gestürzter granit der schönheit
dem grün der erde erlegen
und dennoch überrollt von jeher
überrollt von meeren der gewalt
wie nahe du den worten warst
und sie wie riesige reiche ohne farbe
ohne historie paraphysisch
und sie wie deine worte nah
nahe den chimären deines nichts
im angesicht der kalten himmelskörper
und deine worte näher näher
der grundlosen silbe tod
same säure und kosmischer staub
für alle anderen leben
die einmal an dich rührten
. . .
so die jahrtausende dahin
IV.2o17 scardanelli
das notwendige
die grossen reiche zerfallen
die mächte geraubter nationen
mit ihnen zerfallen die morde
die maschinen die tempel der herrschaft
der namlose mensch das gift seiner welt
es zerfällt das gold seines verlangens
die reiche zerfallen sagt man zurecht
du liest ihre spur ihren staub in büchern
du hörst den wind über leeren schädeln
die flüche verstummt von feind zu feind
die grossen reiche zerfallen
die mächte geraubter nationen
du aber hast nichts was je zerfallen könnte
warst immerzu ein silbenbruch
vor allem vergessen vor aller tat
dein mund nichts als ein keuchen ins all
hast also nichts was je zerfallen könnte
selbst dein gedicht ist ursprung des zerfalls
unter der hand die alle werke sinken liess
ist das von jeher ungefasste
unfassbar blüht aus den vokabellabyrinthen
fremdeste schönheit empor und
feinste trümmer astraler minerale
das ist die seltsame losung der erde
die alle ahnung entfaltet
das zwingende licht deiner finsternis
auch dein gedicht also das schon zerfallene
blühte zu niemandes herrschaft und blendung
zu niemandes nutzen und ruin
die reiche aber zerfallen sagt man
wie blutigster wahn des menschenmöglichen
wie bestien dauernder nötigung
die blumen beugen sich leise dem wind
an ihren farben und am unmöglichen
bricht sich dein wort
in der krönung von erbarmen und anstand
verstummen die gesänge jenseits des lichts
bricht sich wieder und wieder dein wort
fallend und steigend wie engelsflügel
in der gedankenwende
der kosmischen entgegnung
den versen von liebe von tränen von tod
die das unendliche streiften
und lautlos vollziehn
die reiche aber zerfallen
und du
warst du denn
wie götterchimären
der irdischen not und allem sterben voraus
IV.2o17 scardanelli
die liebe
mit einemmal färbte sich schwarz
der walnussbaum und war erlegen
dem atem einer anderen kälte
da wandte er weinend sein antlitz ab und ging davon
ein leib einsam und ohne entgegnung
pflegte mühsam die brennende wunde der haut
die ausschlug blutrot ihre nassen knospen
und war allein wie ein sieger
murmelnd ich bin vom leben geheilt
bin einer der vom leben geheilt ist
es dachte aber und verführte ihn wohl
seine eigene härtere stimme
er wäre vollkommen ein fussgänger des todes
und war wohl wie vom tod geheilt
einer der vom tod geheilt ist
und war nichts als ein fussgänger des lebens
schlaf überkam ihn wie wunder der erschöpfung
liess ihn erwachen in seltsam hellerem licht
als wäre er im unendlich neuen morgen
ein liebender geworden von jeher
und immerzu geliebt aus der entgegnung
inmitten der fäulnis aller entzweiung
die wunde aber brannte und brannte
und war wie rote asche der seele
die tote krone des walnussbaumes
durchfurchte eine seltsam heller werdende
bläuliche galaxie
er aber allein wie ein geopfertes tier
murmelnd inmitten gescheiterter zweige
den tod habe ich nicht verraten
dem tod ging ich von jeher voraus
und alle liebe erschien ihm mit einemmal
V.2o17 scardanelli
die sinne
unhörbar den bruch vollziehen
den kosmischen bruch
am eigenen leib
an deiner ganzen entsetzten schrift
erblinden in der nacht
deiner unendlichen liebe
zu schmecken das salz jener blauen träne
im mund des alls
du und die erde
die dein gestirntes nichts ertastete
dann das schweigen lernen
vollkommen verstummen
bevor der tod kommt
atemlos
der geruch des äussersten
V.2o17 scardanelli
das lied vom schlaf
vor diesem baum
vor seinem geheimnis tief innen
mächtig und gelb
die krone und die ruhe
unter den himmeln aus licht
nicht der selige nicht der verrückte
nicht einmal sie entgehen
dem langen erdulden
dem ringen von geburt an
dem ringen und ringen weil sich
alles allem entzieht
nicht einmal die seele
die seele das hilflose gefäss
das unerreichbare unstillbare gefäss
nicht einmal das
von anfang an ein enden
unsägliches erwarten und enden
in der stille der luft
leben und leben immerzu dort
wo das gedächtnis nicht hilft
gehörte es gar den toten
gehört denn gedächtnis dem tod allein
und nicht einmal dem leben
wer lehnt sich dann
an unser sterben an
der wind die wüste die haut der schnee
strömend strömend inmitten von blüten
in heilender heiliger höhe
hört denn das alles wissende wasser
deinen erflehten ruf
wie spiegelnde kreise
den ungeheuren atem der zeit
und innen tief innen
deine unaufhörliche sprache
die dich niemals verlässt
dies grausame zitternde innensein
wie stumme uralte anklage
bevor bevor bevor
vor deinem leib und vor dem keim
des unvordenklichen
vor diesem baum
vor seinem geheimnis tief innen
mächtig und gelb
krone und ruhe
unter den himmeln aus licht
dort wirst du dort sollst du
nicht einmal nicht einmal
dort wirst und sollst du schlafen
schlafen schlafen schlafen
V.2o17 scardanelli
dein tod
vielleicht ist es ja nur der mensch
der nie der schöpfung angehörte
und deshalb die worte so dringend erfleht
die vieldeutig gebrochenen worte
den wahnsinn erfundener gottheit
vielleicht ist es die flora allein
und niemals die stimmen der kreatur
ist es die flora allein
die deutet das wesen der gottheit
und wäre dann ihr schweigen
heilige entsagung die uns von jeher fehlt
dein tod wiegt schwer
jedoch nicht er sondern das leben
war DAS GROSSE ANDERE
das leben war es das den tod durchbrach
wie flüchtige zeit den namlosen raum
es hat aber der tod das ganze gewicht
deiner erfüllten endlichkeit
und todesraum ist reine unaussprechlichkeit
die dauernd implodiert
inmitten der gestirnten augenblicke
die dich und deinen leib vollenden
und leben war DIE AUSLASSUNG DES ALLS
es schien dir immerzu es kehrte
der tod zurück wie ein gedächtnis
und durchquerte jegliche vergängnis
lichtlos den raum vor der geburt zu öffnen
in übereinkunft mit äusserstem schweigen
und welle und klang allein erhörten
die ahnung deines seins im nichts
dein tod wiegt schwer
er trägt und bleibt die erste ungeheure silbe
von deiner gottheit aus unendlichem
V.2o17 scardanelli
nachwort
die zeit bleibt eine erfahrung
die liebe eröffnet den galaktischen raum
das gedicht
und damit die poetische stimme der menschheit
ist eine imaginäre grösse
unseres mystisch metaphysischen gedankenlebens
ein urbild des heiligen also
jenseits der blossen wirklichkeit des physischen
jenseits des blossen artefakts
oder der klassifikationen des geistes
in der übereinkunft von unverständnis
und sterbensendlichkeit
das gedicht ist eine imaginäre grösse
ein urbild des heiligen also
ein gesang erster und äusserster wahrheit
an der grenze des lichts und des zeichens
und über die grenze hinaus
ein anwesen in der finsternis des schlafs
ein archipel inmitten des traumlosen nichts
aus modus und tonus
in der reibung am unsäglichen und unsagbaren
wird das gedicht entfacht wie ein frühes feuer
am horizont der spurlosen steppe
und mündet durch myriaden geburten
wie eine kaum hörbare kaum sichtbare quelle
in der unendlichen nacht aus sand aus meer aus schnee
und blüht in der gotteswüste
in der verwüstung des göttlichen
das gedicht ist reines unvordenkliches verständnis
als wäre es einem grossen gemeinsamen tod
entsprungen entnommen und zugesprochen
das gedicht schöpft aus der musik
aus der welle eines unaufhörlichen gebets
den schrei des je einen menschen zu verwandeln
für den kurzen traum vom garten der erde
in den atem des anderen
das gedicht ist deine einmalige spur vom tod her
VI.2o17 scardanelli
gnade
träumend manches mal
von der ruhigen kosmischen hand der gottheit
war es ihm als dränge etwas anderes
namlos aus seinem blut hervor
es brach ihm die stimme
und hatte sich im grunde niemandem offenbart
ein gegenstand war er geworden
eine fruchtlose form unter so vielen
sichtbar fremd dem unsichtbaren gegenüber
stumm überstieg ihn das leben
tief in ihm blieb der tod
ein geheimnis verborgen für immer
einmal erschien des nachts an einem fenster
eine schmale hohe gestalt
wie der seltsame schatten einer gazelle
und war der ganze gedanke der liebe
dann erlosch auch dieses licht
und finsternis vollendete allen raum
VI.2o17 scardanelli
psalmen der zukunft
pflege dich eines jeden morgens und abends
pflege dich für den schlaf deines lebens
der deine erfahrung des unsichtbaren ist
schliesse und öffne deine augen nach oben
meide die gänzliche bläue des himmels
schatten heilt und ist dein schemen des nichts
sei nicht müde sei nicht müde
liebe dein handwerk und die hand die schöpft
es gibt ein handwerk der stillen dinge
dein name aber soll ein instrument sein
erhöre deine einmalige stimme
und sprich mit den quellen der erde
die träne ist ein meer in deinem antlitz
trinke sie bevor deine sinne sinken
stille die träne des anderen
befrage den raum und nie die zeit
es gibt keine spur voraus
allein die vergängnis verlässt
sei spurlos sei verlässlich
ziehe an keinem strang
jegliche geschichte ist eine unterwerfung
zu heiligen sind die oberflächen
blüte acker haut und schnee und asche
der staub der leere ist ein kosmisches alphabet
sei nicht müde sei nicht müde
kranksein ist erster gedanke und traum
und kraft von der wahrheit des sterbens
wie grausame steine im wind der gegenwart
prallen gier und verzweiflung aufeinander
in deiner seelenöde in der wüste des alls
dort ruht dein tod
die gottheit des unsagbar unsäglichen
vergib ihr vergib ihr
VI.2o17 scardanelli
VIER LETZTE ERSCHEINUNGEN
I
was erschien
von wort zu wort erschien deine gedankenzeit
im raum des alls an deinem gedankenort
der selbst gedanke war vom einzigen sein
von einem unvordenklich äussersten
hier also dein gedankenleib
und dort ein walnussbaum oder schnee
blüten im hohen gras und steinorte
oder das salzkorn und wellenbögen
sind nichts anderes als die gefäße
ihres eigenen gedankens und diese gefäße
sind gedankenformen ihrer selbst
und aus sich selbst
zu bezeichnen dein gedenken und die not
die nötigung und die notwendigkeit
der ganzen todesschrift von wort zu wort
sind schönheit schweigen ursprung ihrer selbst
vollkommen aus sich selbst
doch sind deine worte für das nichts und jenen
willen vom göttlichen
sind immerzu entzogen dem unendlichen
und ausgeschlossen dein schriftwerk
vom wunder aller todfernen dinge
vom keim ihrer ersten gedankenorte
sichtlos blind aber denkt dich jenes nichts
und war doch von jeher dein wortinnerstes
und wachte über die endlichkeit der sinne
und den keim aller finsternis wo alles leben
todesisolation zellzerfall bruch und trennung war
doch freude auch und farbe duft und leuchten
im aussensein im traumschlaf im hautort
und jeder augenblick fühlte unaufhörlichkeit
fühlte das wunder deiner gedankenzeit
vom sterben vom bersten deines willens
inmitten kosmischer elemente
parabeln der leichten kraft des göttlichen
und war doch alles verlangen dein verlangen
und war der gedanke vom verlangen
aus frucht und furcht und todesschöpfung
und deiner und ihrer einmaligkeit
und auch der tod war ein gedanke
an sich und aus sich selbst und an dich
und aus dir selbst
in nächster nähe der liebe
die die trauer und der atem des himmels war
der name und die entnahme deines rufens
deines schweigens und lust der nacht
und leben war in der gedankenzeit
deutung und bedeutung und duldung
und geduld gabe und hingabe
vom sein ans nichtsein das ein gedanke war
im gefäss des unsagbaren wo deine ahnung
mündete nirgendwohin
inmitten der schmerzen und weltwunden
der metamorphosen der nacktheit
wie wahnenthüllte blöße der gottheit
und dennoch vertrautest du
allein der eigenen stimme
im sinkenden licht der seele
vertrautest nur deiner stimme unteilbar
unhaltbar am lippenrand
den ganzen raum zu vollenden
die ruhe der leere die dir entsagte und entsprach
offen und vertraut und nahe und geheuer war
der gedanke der finsternis
vertrautest also nicht dem licht aus blendung
und suche und anschein
der gestirnten deutung dem zerfall der sonne
den sichtbaren ziffern deiner weltenstunde
vertrautest also nicht dem irrsinn vom ich
dem blut und dem geronnenen traum
. . .
II
was erscheint
einmal sah ich mich in letzter dämmerung
ein schatten der gottheit oder
der schatten einer gottheit
und ragte wie herausgetreten aus jenem gedanken
der ich immerzu war
falter und flamme zugleich
und sah eine verdunkelung wie brandzeichen
den vagen vorwurf meines leibes
sah den mantel unendlichen wollens
windzerrissen über der spur in weissem staub
gebrochen und beäugt von echo und mythe
dieses weltsternenlichts masslos geflutet
dieser entheiligung eines langen schlafs im dunkeln
und leergehöhlt aus mir allein
die ganze seele ohne sein
und jede geburt war der vollkommene gedanke
eines todes
aufs tagwerk versessen auf glanzvermehrung
gehäuftes raubzeug des verlangens lebenslang
ein mundriss ein dämon tobend geheim
und unsäglich auf der gedankenhaut
aus irrtum liebe wasser stein
name und asche mosaisch ohne vergleich
ein schemen gespiegelten sterbens
dem schweigen der allnacht geöffnet
ein schatten der gottheit
dann gottlos erlöst und sinnzerschunden
vom eigenen antlitz verzehrt
gottlos erlöst und plötzlich eins
mit dem gehör des nichts
eins mit dem gehör des nichts
namlos staublos unversehrt
. . .
III
was erscheinen wird
ichleib
hautgeschält aufgebäumt
wie gedankenmord verheerter elemente
kleiner weicher giftiger brocken
aus schleim aus gewesenem schmerz
verdaut vom glutmutterbauch gaia
ichleib
kotstummes etwas todkrumm ausgeschieden
von magmagedärmen enklavisch irgendwo
und nirgendhin da oder dort oder
wie salzkrustige tränen sternstaubig
verstreut in die windhöhle des himmels
ichleib
winziges gigantenfleisch
blutblaffendes kriegsknötchen
tattrümmernd auf lichtsplitternde säulenglieder
weltherzzeitzerronnenes schluchzen
warst du denn deinem ersten schrei voraus
immerzu dem unsäglichen abgerungen
als wäre jegliches leben
der aufriss der rückläufigen kraft des todes
doch liebend und lachend und rettend auch
und träumend mit der hand die dichtete
auf der haut der tausendlust
fiebernder sich biegender proteine
ichleib
warst du ein nackter läufer der milchstrassen
summend entpuppte tausendfüssige himmelsraupe
ein mystiker hirnheiligen wahnkopfes
inmitten aller enthauptungen
inmitten aller lebenssinngewalt
inmitten der furchtfabriken des alls
vom grausamkeitsantlitz erschüttert
entfallen dem kriechenden ursprung
ichleib
du kleine metastase der leere
ordnendes orphisches galaktisches tier
von steingespinsten umgeben
eines flatternden lichtnetzes
vom je und je letzten hier und jetzt
ichleib
was käme einem entflügelten engel gleich
wenn nicht du
elemententrissene schädeldrohne
dies fallende flirrende fremde silbeninsekt
voll bluthaar voll augensturz voll allschweigen
weltentsorgt und nie entronnen
den keimen wirrester entfaltungen
raumsinnend ja zitternd ja tastend ja
mit wortfühlern himmelshin und blindgefetzt
mit einem letzten satz schon über dir
die riesige spinne des todes
. . .
IV
was erschienen sein wird
war denn äusserste finsternis die reine quelle des gedankens
nah und bewahrend von jeher und allem anfang enthoben
inmitten der jahrtausende die lebend diesen stern bedrohten
gaia gaia
die alles enthält
was menschheit zu tragen nicht imstande war
nie zu ertragen wusste
gaia gaia
die sich enthielt dem fassungslosen tod
und seinem unendlichen willen
traumwahr verwirkt dem los ohne losung
gaia gaia
auch wenn sie nicht die all-mutter wäre
deiner gedankenlabyrinthe sternenfahrten
göttlich galaktisch zerfleischt und zersagt
wird sie doch einmal deine wunde schliessen
verwandelnd die lebensblutsilben in unzerstörbares
wenn sie vollkommen erscheint
entnommen der ellipse dieses prometheischen steins
im unzähmbaren nichts
gaia gaia
schreiumnarbte lebenswunde
geheilt und geheiligt jenseits der detonationen
vom ungrund ungehalten dem unsagbaren entsprochen
und wie gelöscht und jeglichem abwesen entströmt
überatmet dein reines kleid aus sphärenstoffen
paradiesisch dein einmal ertragenes
dein selbstentflammtes geheimnis
so du erschienst
so du erscheinst
so du erscheinen wirst
so du erschienen sein wirst
am morgen aller niemals gewesenen
deiner niemals gewesenen gewesenheit
VIII.2o17 scardanelli
scherbe und welle
schweigen schweigen schweigen
ist der ganze gedanke deines gehörs
von dort kommt dein tod
die erste welle die äusserste
zu beschriften mit der silbe des nichts
den ton der aus deinem mund brach
du bist aus ihm gemacht
du bist der ganze ton
jenseits des fruchtbaren rollt deine träne
dem meer der endlichkeit entsprungen
zu stillen den durst deines todes
rollt deine träne ins auge des alls zurück
auch du wirst gestorben sein
und alle gedanken verblieben
wie vom lautlosen vollendet
verblieben den wellen der schwerkraft
den gefässen aus leere und licht
den kommenden leben die sich abermals
schöpften schufen erschufen und erschöpften
o wahn der menschheit
dem nichts vorangestellt dem nichts hintangestellt
wie atem aller erfahrung
wie atome allen erfindungen vorangestellt
hintangestellt sind
inmitten deiner augenblicklichen sternstunde
der dauer deines täglichen dennoch dennoch
der krümmung deiner gedanken
unter den willen aus form und schmerz
unter das gesetz aus scherbe und welle
o wahn der menschheit
was für ein grausames experiment
inmitten der trümmer des alls
die schönen ruinen die blüten die glieder der kreatur
wellen aus azur schweigen und stein
der ganze ungrund vom gewesenen sein
o heiligkeit des geistes o todesseele
erstes innerstes fernstes element
o öffne das auge der göttlichen kenntnis
rette den menschen der fürchtet die ganze
enthüllung des lichtlosen raums
in der verneinung des unsäglichen
der hasst das fremde gebot der galaxien
die wüste und das gold das allem verlangen dient
o schwebende seele auch
in deinem gedankenblut im feueratem
im krieg der metastasen
denn immerzu sanken wir in weltverwirkte
wirklichkeiten
o seltsame früchte im tau der nacht
o heiligkeit des geistes rette den menschen
aus blendung und knochen aus magma und mineral
o engelhaftes ungeheuer mensch
o manische ziffer deiner todeszeit
ergeben dem dämon der maschine der formel
der mutation und der vergeudung irdischer lust
sinnschreienthüllt und triebentblösst
hautwindentkleidet verwandelt vom stein
vom steinwort befallen vom staub
vom staubwort entsonnter sterne
o wahn der menschheit
was für ein grausames experiment
einsamster todeswille von jeher
kosmischer klang und schemen der liebe auch
isotope und rauch und heiligung des geistes
und duftende kräuter am wundrand des schnees
um abermals abzulassen vom sterbenswort
von jedwedem gedächtnis das die himmelsweisse
irdene fruchttragende gottheit bezifferte deutete
und ihr geheimnis berief
denn nichts erscheint aus unvordenklichem
denn nichts erscheint aus der unendlichkeit
nichts wird erschienen sein vom äussersten willen
in der annahme des alls jenseits des fruchtbaren
wo deine träne hinaustritt über den rand
jenes galaktischen mosaiks aller bildnisse
ins schweigen schweigen schweigen
das der ganze gedanke deines gehörs war
von dort kommt dein tod
die erste welle die äusserste
zu beschriften mit der silbe des nichts
den ton der aus deinem mund brach
du bist aus ihm gemacht
du bist der ganze ton
X.2o17 scardanelli
der bruch
möge geduld meine gedanken heilen
I
o erde
schwerelos von jeher alt
trägst schwer an meinem wurzellosen fleisch
an jenem ungewicht des seins
wo jeglicher mund maschine wird
und alles sinnwerk zu wahnwerk
in der ins blut gesenkten zeit
o erde
wanderndes auge
jenes einmaligen gedankens der unendlich schwebt
sanft ist das herbstliche feuer deines laubes
wie willenlos und dargereicht im fall
im heiligen schnee sanftgeträumt
die reine ernte deines himmels
o erde
welche kraft ist es
die mit meinem atem ringt
es haust ein fremder abgott tief in mir
aus furcht aus fetisch aus fanal
und unter den meeresspiegeln ist menschenfleisch
die sinkende schwarzhaut von afrika
hell ist mein sonnentag nach allen jagden
durch wüste trieb und schrei
hell ist der morgen ein ums andere mal
sind wie augen aus angst die schwarzen boote
ins saugende lockende unheil europas gesenkt
o erde
schwerelos von jeher alt
trägst schwer an meiner todeskraft
der ganzen menschheit spur und wunde
. . .
II
o erde
unendliches angebot deiner aussicht
wo meine einsicht nur verdammnis war
die leere seele von innen auszuhöhlen
und ich ein monstrum aus unruhe
aus unverstand
sterbliche bestie bereit zu allem
o erde
inmitten deiner schönheit
und ihrer farben formen früchte
ihrer waldwimpern rauschend um jene blaue
iris im all
o erde
inmitten der schatten deiner besänftigung
die unendlich ist
und unaufhörlich dein wille
war finsternis und war gedächtnis
mein wille unaufhörlich
war blendung und vergessen
XI.2o17 scardanelli
der schlaf
der schlaf ist mein ganzes vertrauen
der schlaf ist von jeher mein anderes leben
welches ich immerzu in mir trage
wie einen blutvorhang schliesse ich die lider
wenn meine augen der sonne müde sind
der schlaf ist mein sinnendunkler leib
ist meine antwort der finsternis aus ruhe
und kosmischer erschöpfung
ein sanfter erregender todestraum
unendlicher spiegel eines ozeans
der die welle des todeslebens schuf
meine entblössung im schweren licht
aller morgendämmerung
jenes ozeans auch der meine seele
gefrieren liess zu schwarzem eiskristall
über den fruchtlosen blüten der worte
der schlaf ist mein ganzes vertrauen
es schläft meine gottheit meinen schlaf
ich spüre ihren atem langsam und dauernd
und uralt wie fernste erste anschauung
der schlaf ist mein unendlicher gedanke
ich schlafe auf einem anderen planeten
XI.2o17 scardanelli
verwandlung
schläfer erwacht am abgrund
(kenneth patchen)
abwärts wend ich mich
zu der heiligen unaussprechlichen
geheimnisvollen nacht
(novalis)
meinen leib bot ich dir nicht
meinen geist bot ich dir nicht
meine seele bot ich dir nicht
dichten aber heisst vernichten
rasender mythischer skythe
emporjagend auf blutflammen die milchstrasse
dichten inmitten der furchtbarkeit aller erfahrung
heisst mit erstochenen augen hören
den kehlkopf trepanieren
ausspucken die schwarzwellen des alls
um das glühen dieses sterns zu löschen
den brandplanet in der höhle meines mundes
jenes feuer im aufriss meiner seele
in der lust ihrer todverdammnis
mein schlaf aber
berstend wie ein traumkadaver
war das ganze leben meines leibes
mein wachsein
taumelnd wie engelsbestien
war das ganze leben meines geistes
und jeder schrei erwürgt von seinem rachen
von seinem klumpen zeit
etwas kündete in raumschlingen
von der nacht der sonne
von urwaldrhythmen meiner knochenwirbel
vom rost stählerner alphabete
vom erstickensstaub meiner aschetränen
vom eissperma meines jenseitsgeheuls
vom äussersten gedankenecho
golderstarrt im nichts und
schwarz verdichtet schiesst durch nichts
der unendliche blutstrahl meiner iris
das höchste aber ist die gotteswut
ein wort unendlich sanft
aus dem granit der luft zu schlagen
für dich mein gott vibrierend
im innersten aller galaktischen metastasen
für dich allein hab ich mich schön gemacht
wie im gewand himmlischer chöre vaughan williams
im innersten des heiligen vergessens
das höchste aber ist die gotteswut
und dichten heisst vernichten
kerngeschmolzene weltbittermandel
narbenlos verschlossen vom hellen tuch der haut
vom hohn des feingewirkten anfangs
in allen nächten die vorrufe sind
zartester oberflächen
schneegeflüster blütensymphonien
flüchtig hingerissen
so flüchtig hin
zu allem was zusammenhing
in den unnahbarkeitsgedanken
meinen leib aber bot ich dir nicht
meinen geist aber bot ich dir nicht
meine seele aber bot ich dir nicht
wer also bist du wer bin ich
. . .
ruhigschlagend die wellenströme allsichtigen dunkels
und waren mein atem im bergwerk des herzens
immerzu von stille unendlich erweckt
jene kinderfreude am morgen den ersten schnee
sinken zu sehn aus dem erinnern der nacht
ein wunder lautlos und sanft
ein himmelszeichen allemal
denn diese freude war das ganze kurze leben
weiss werden die silben des todes auf weisser seite
und alle zeit war mildestes erlöschen
XI.2o17 scardanelli
versöhnung
giorgio morandi gedenkend
jegliche hand möge ein heiliges hüten
sich wiederzufinden nach allen toden
in jenen worten die dich und mich
bewahrheiteten zu lebzeiten
wir sind voller innerer kämpfe
diese kämpfe gilt es zu bestreiten
vor den stillen gebirgen den weissen
hohen warnungen aus schönheit
aus wille aus schmerz
sie sind die wahren kämpfe des lebens
soldaten der eigenen seele zu sein
jenseits der wunden der äusseren welt
und ihres blutes das zur neige geht
geh allein
in die dunkelkammer der einsamkeit
sie ist dir von jeher vertraut
geh in die tebah
sie ist die wohnstatt deiner gottheit
zuflucht arche und verschlag
uralte warnung wie das antlitz der berge
das stumme unabänderliche
das unabänderliche
das auch die wohnstatt der gottheit ist
und das schweigen der liebe
jener mantel der leere die dich verbirgt
und das gefäss deines todes
das dein ganzes leben birgt
in gleichbleibendem licht
in der dämmerung des unaufhörlichen
in der versöhnung des schattens
du unsichtbar namlos stumm
vor der vollendeten schale
die anhielt den äussersten atem der stunde
weiss offen nahe zur neige und entleert
du angekommen
in abnehmendem licht
XII.2o17 scardanelli
ausklang dunkler sage
( trauer des lebens )
blut und gelächter
fluchten und gold und mord
sind die hemisphären des dritten jahrtausends
am abhang der zeit fault meine seele
darüber geht ein wind aus fieber
wolken wie föten der verlassenheit
treulos zerstör ich das wesen der liebe
aus blüten wundglänzend steigt
giftig die krankheit des leibes empor
die mich absondert vom fest des lebens
der turm den ich einst bewohnte
ein ausgeschriebener schacht
und sonne und mond und sterne
sind kalt und leer
ein atem aus asche
ich bin nicht mehr
XII.2o17 scardanelli
das wesen der liebe
lächeln seh ich die liebe
an der hand eines fremden
dort wo mit anderem willen
die strasse der welt sich wölbt
ins mittagslicht des lebens
ins verlangen der leiber
ich kehre mich ab
und schatten des namlosen waldes
nimmt mich auf ohne laut
verbergend meine scheu und
meinen schmerz den die zeit verriet
unter den blättern dämmert mein tod
wo ins offene atmet
der mund der äussersten finsternis
wie sterne sinken die silben
aus dem leeren raum ins moos
mein rücken trägt schwer
am glühenden vergessen der liebe
kein haar umhüllt mehr die seele
die schutzlos verbrennt
nackt schlägt das herz
inmitten der stämme aus schweigen
das all wie eine schwarze ballung
weit voraus
ein schwarzer knoten dicht in mir
I.2o18 scardanelli
mundus fragment
ein altes kaltes weib wachte
über das späte abendland
wir frassen geld und zahlten
mit den metastasen unsrer leiber
weltsekunde mund
falling man falling scream
photographien sind erstarrtes sprechen
also das unding der worte beenden
diese unaufhörlich veräusserte würde
also den dämon der sprache auslöschen
so wie man dante auslöschte
nur noch ein abgeriebenes relief
auf der rückseite wertloser münzen
der ureinwohner der zukunft
wird AUTIST sein
denn schweigen heisst auch
die sprachen der materie zu erwecken
das ende des mordens vielleicht
falling man falling scream
weltsekunde mund
I.2o18 scardanelli
vom versiegen
die räume durchschritten UNS
ich kenne keine vokabel
die beschriebe die seele des menschen
gültiger als jenes wort versiegen
versiegen versiegend versiegt versiege
seit jahrtausenden arbeitet die menschheit
an ihrer philosophie des todes
doch versiegt auch diese immerzu
es versiegen die gedanken des todes
an den rändern des lebens
das schweigen und atem der liebe
die quellen der leere versiegen
die worte jenseits des nichts
es versiegt die allgeburt der kreatur
ihr immergleicher schrei aus lebensblut
und das unsägliche versiegt
in ungeheurer fülle des vergessens
in jener stille aus sternenstaub
was aber ist es was immerzu
in uns vor uns mit uns über uns
und durch uns versiegt
ich sage
es ist die rückläufige kraft des todes
es ist der unfassbare vektor endlichkeit
in der entgegnung
des ethos vom unendlichen
es ist die rückläufige kraft des todes
wo alle finsternis sich
deines versiegens erinnert
I.2o18 scardanelli
hinter dem wortwerk
blumen sind noten vom paradies
gedanken aus dem unendlichen gehör der farben
als alle sinne eins waren
und jede kreatur das auge des alls
was aber ist unser ringen um das absolute
es ist die unfruchtbare gottheit
die von jeher unbefruchtete gottheit
war nur die finsternis das ganze todverlangen
und die silben fielen wie blätter
von unseren händen
. . .
hinter dem wortwerk
das die verwandlung der dinge deutete und bedeutete
hinter der unaufhörlichen kraft der sprache
die jenen menschen rettete
der du gewesen sein könntest
in der dauer der zukunft
die niemals im raum erschien
hinter dem wortwerk
das das gültige antlitz der liebe
und das äusserste schweigen der gottheit
verwarf und erschuf
aus dem keim der ersten blüte
aus dem gedanken des ersten steins
der war von jeher das geheime auge des alls
hinter dem wortwerk
das auch dein werk war
verbirgst du deine zerbrochene kreatur
die zitternde nacktheit deiner erwartung
die sich verstreute in unendlichkeit
in furcht und wahnsinn und unerlösten traum
vom verschwinden einer schimäre
kosmisch gewölbt
die nichts als dein einziges sterben war
. . .
und dennoch
hinter jener zerbrochenen kreatur
hinter deinem unauffindbaren namen
dieser wille
dass unendlichkeit nichts anderes wäre
als sanftheit ohne begehren
und aller schlaf
ein erster gedanke der unendlichkeit
jenseits der silbe
nichts
II.2o18 scardanelli
blastome
sich fürchten heisst nicht wissen was kommt
angst zu haben heisst wissen was kommt
entscheidend war was mich zwang
jeder schmerz bejaht das leben
dämmernd wie leichtes rotes gewölk
in der verbergung des leibes
doch todesangst ist kosmische hypochondrie
die unaufhörliche entzündung der seele
denn denken heisst
undeutbar das äusserste fordern
sternenzystisch lauert der kosmos
es möge mich jemand überzeugen
dass ich am leben gewesen bin
und ich töte mich nicht
doch niemand kommt niemand ahnt
wie dringend ich hilfe bräuchte in allem
doch welche hilfe soll das sein
zwischen zelle und schmerz
zwischen leere und stein
was für zarte töne spielte ich
fiebernd astral im februar der zeit
ich weinte dunkelste akkorde
doch niemand kommt niemand ahnt
ich denke nur an den tod
und schliesse ein anderes leben aus
verlässt man so alle vernunft der welt
mein letzter geigenton
dämmernd wie leichtes rotes gewölk
schon mitten im gedankenraum der hölle
die völlig entblösste angst
II.2o18 scardanelli
die pastorale
ich schrieb im gehen nomadisch
im sehen im vergehen
ich schrieb
verlassen für immer den garten
die gedankenfrucht vom walnussbaum
verlassen so lange schon
die täler zur zeit des jungen schnees
die grossmut der gipfel
die das himmelszeichen streiften
verlassen die geliebten
von ihnen blieben seidene tücher
die ich um meinen hals knüpfe
bis ich zerfalle bis sie zerfallen
verlassen zuletzt die worte
die dunklen lieder vom anfang des gartens
vom ersten zum letzten element
vom anfang des schnees
vom anfang der liebe
vom anfang des sterbens
im licht der unendlichen pastorale
die klingt aus der ferne der seele
verlassen alsbald die furchtbare welt
die blutende gedankenfrucht
verlassen die schöne erde auch
traum und angst und einziges licht
o hohes geläut letztendliches
entatmet über dem leeren gehöft
verlassen den einmaligen zuruf
vollkommen die abwendung der gottheit
die mich jemals erfüllte
die ich immerzu war
ich schwieg im gehen nomadisch
im sehen im vergehen
ich schwieg
II.2o18 scardanelli
was sich dem auge entzieht
in betrachtung wilder blumen
wie flammen des unbegehrbaren
deren schönheit als schweigendes andenken
erblühen und immerzu verglühen
inmitten der vertrauten fremde der schöpfung
wo odysseus und sindbad eins sind
in den irrungen aller sehnsucht die verbrüderte
merke auch du dir
dass wir alle schon tot sind
tot sind auf die eine oder andere art
da auch du schlafend und lebend
im schwächlichen atem deines tagwerks
das sich an jeglichem abend des seins
ins stumme blau des firmaments verflüchtigte
da auch du zu niemand wirst
um niemandes anteil gewesen zu sein
augenblicklich zu lebzeiten
sekündlich zerrieben und verbrannt
an der wundglut deiner seelenträume
am sandgeheimnis von meeresrändern
an den gletscherbrüchen uralter gedanken
ein erstes äusserstes molekül
unfassbar und unbegehrbar wie wilde blumen
wie die erste und glückliche stunde
seliger schlummer nach aller geburt
und dann unendlicher von bitternis beseelt
von leere vergessen und nichts
in betrachtung jener wilden blumen
die sich einmal dem schwindenden auge öffneten
und nun entziehn
wie sich die tränen des prometheus entzogen
dem schwarzen ozean des unbegehrbaren alls
da nun die flammen jener schönheit asche sind
und wir schon tot auf die eine oder andere art
III.2o18 scardanelli
das schicksal
das grausame das göttliche
der schmerz aus der überhöhung aller substanz
das schneekristalline auch
das immerzu rinnt und abtropft
von frucht und element
von quelle und mündung
das blühende aller geheimnisse die dich entsinnen
und unerschliessbar dein eden
das kosmische das seine unendlichkeit
dennoch begrenzt durch deutung
und durch seine finsternis
als wäre ein jeder gedanke
vollkommen jene dunkelheit
die ganz dein innenraum war
wie eine gewissheit je und je
zuletzt das liebende
das liebende das seinen schmerz
wieder und wieder teilt und gebiert
weil einer vor dem anderen
weil einer nach dem anderen stirbt
in der furcht und überhöhung seines bluts
sie alle können nicht erduldet errungen
erfasst erfunden erweckt erwirkt
erfahren und ernannt sein
sondern nur ertragen
ERTRAGEN ERTRAGEN ALLEIN
und sollten die meere ein unaufhörliches
tuch der tränen sein
für unser erstes feuer der sonne entkommen
wir wüssten dennoch den namen nicht
für jenes erste salzkorn
dem tiefsten verborgenen stein entlockt
und zerrissen nomadisch von wille und welle
unter dem fernsten atem der sterne
lichtlos und stumm wie vages äusserstes begehren
jenseits unserer atemflügel fallend empor
und sphärisch und stumm
inmitten der stummheit der sphären
III.2o18 scardanelli
die harmonien
dieses genaue gebet einer blüte
um von nun an den menschen
nicht mehr zu erwähnen
. . .
warum nahm sich busoni noch einmal
des werkes von bach an
die antwort lautet
weil er das wundersame strahlen
im gedanken der ewigkeit fortsetzen wollte
das heilige inmitten des sterblichen glücks
am leben gewesen zu sein
und jener seele die ERKLINGT
ein unendliches vermächtnis abzuringen
jenseits der finsternis die schwieg
in der zwietracht des menschlichen herzens
III.2o18 scardanelli
trost und einmaligkeit
einmal betrat ich die stille
es war im hohen gebirge des morgens
gemälde und schweigen der kosmischen seele
auge vom see haut vom schnee
glieder von tannen rückgrat vom fels
waren vollkommen versunken in ihre gedanken
gefässe und wölbungen der ruhe
entfaltet aus sich selbst
was war jene stille die ich betrat
wenn nicht unendliche geduld der erde
deren stoff und form aber waren
die abwesenheit jeglicher tode
waren die reine botschaft ohne tod
der himmel noch nicht erschienen
hielt sich wie zarteste ahnung zurück
noch nicht erschienen der mensch
der immer den tod mit sich trug
hohe landschaft aus sanftheit
und innerer erwartung
in tücher aus farben gehüllt
blau der see weiss der schnee
grün die tannen grau der fels
so drangen ihre gedanken als wesen
als licht durch ihre kleider
und deuteten mich
ich atmete nicht in dieser stille
regte mich nicht
nahm meinen namen und alles wort zurück
behielt meinen tod in meinem blut
jenen einzigen tod völlig entzogen
der schönheit des reinen materials
behielt jenes sein
das ein äusserstes wissen wahrte
das etwas offenbarte was nie sterben würde
geheimnis und angebot meiner tränen
meines glücks das von nun an unvergessen wäre
das dem sterben und seiner erschöpfung entsagte
jenes glück
das von nun an dem menschen zukäme
ihm von nun an gehörte
wie sein tod ihm ganz gehörte
jener tod
dessen erscheinung unvorstellbar blieb
inmitten der wärme der luft
inmitten der weisheit der leere
im hohen gebirge des morgens
inmitten der stille die ich einmal betrat
IV.2o18 scardanelli
was wir sind - fünf letzte stelen
I
gelbwurz labkraut salbei stille schönheit der azalee
heilige blüten der zeit
ich kenne euch ohne wort und namen
zu lieben das wunder der erde
trunken von indiens licht und schnee
gab ich den augen unendlichkeit
dem mund welle und wein
soll alle schrift ein ende haben
muss der mensch
ein mystiker des schweigens sein
II
wir sind ein wort aus raum und nichts
sind sterbensblut sind furien des lichts
feuer der seele magma vom stein
geheimnis der gottheit vom sein
zu atmen die leere die ahnend naht
was für ein rausch jener erfahrung
die das unendliche bejaht
III
sollen die worte bleiben
und wir im tod verschwunden
was mich einst trieb ich war es nie
was ich einst schrieb
hätten die worte auch ohne mich gefunden
sind sie jemals mein geistesleib
war ich einmalig ihre poesie
IV
wunden der welt
wieviele schreie unvernommen
es müssen die gedanken
mystisch alt sekündlich neu
müssen der gegenwart entkommen
V
ohne fünf vokale ohne fünf sinne
wie anders hätte ich gelebt
und fern der sehnsucht nach endlichkeit
fern der deutung von liebe und traum
näher immerzu dem todesraum
schmerzlos ohne gift dem dunkel entgegen
der offenen finsternis
es war uns nicht beschieden einfach zu leben
sphärisch zerstört
die grosse existenz die niemandem gehört
wir konnten nicht lassen
vom fieber vom licht vom kampf
von aller sterbenslust die uns entsetzt
wir konnten nicht
bis zuletzt
V.2o18 scardanelli
triptychon des lebens
I
fetzen vom nichts fetzen vom raum
die unerbittliche welt die mich verkörperte
flüche und tränen befruchten die wüste
die mein antlitz trägt und es zerstreut
in die windschrift aus same und sinn
für die nachkommen der welt
für städte goldene altäre titanisch plutonisch
uralte chimären zyklischer zukunft
begraben erneut unter der beugung des geistes
den ballungen der steine
die beugen erneut die botschaft vom regen
vom baum vom buch und
den metamorphosen der kontinente
beugen die geburt des schattens am lethefluss
unaufhörliche wiederkehr der wellen
aus vergängnis vergessen traum und schlaf
es sterben aber die wirbeltiere aus
korallen und vögel und schlangen vom paradies
es stirbt unweigerlich mit ihnen
der durch sich selbst verheerte mensch
voll gift sind quellen keime frucht und feld
inmitten der ewigen geduld des glücks
es schwindet das weiss vom schnee
und heilige ruhe von domen von minaretten
das sind abschiede von zerstörter erde
abschiede von der seele der menschheit
so stirbt die liebe in mir
und alles vertrauen ins wort
es bleiben mir atem und hämmerndes blut
und die geschwulst des mundes
es bleibt der mythische traum eines löwen
die maske eines entleerten dämons
ein zystisches knochenfossil
an den fremden ufern der schmerzen
von jeher dem nichts und aller geburt voraus
erkenntnis unsägliche
siehe dies zittern meiner hand
in schwächer werdendem licht
erkenntnis unsägliche
siehe die angst die meinen leib begleitet
im irrtum eines galaktischen gottes
und dennoch von sanftheit begütigt
vom einklang einer schwingung
begütigt vom gedanken der gnade
aus der ahnung der blüten ohne schmerz
die krönten die erscheinung des unendlichen
enthoben enthoben vollkommen enthoben
dem gedächtnis jener wüste
die einmal mein antlitz trug
. . .
II
war nicht jede zelle jedes molekül
bewegung und licht
sternmineralisch rindenhäutig
dazwischen die farben der sprachen
windklänge wie boten der unendlichkeit
eines mongolischen abends
streiften sanfteste regenschleier
über die berge des altai herab
o atem und weide des himmels
für eine stunde erblühte die gobi
ein grün stieg ungeheuer wie göttliches empor
und war die deutung des irdenen steins
werden die toten sich wieder erkennen
in solch erleuchteter leere
in solcher lichtung ohne zeit
in der vollkommenheit des augenblicks
immerzu zögert der fuss
mein an die erde geschmiedeter schritt
schon ausserhalb jener höhle
die mich ein leben lang umhüllte
zögert der geist den abgrund zu bezeichnen
doch früh fand mich die dichtung
fand mein junges dasein
den sterbensmund willig sinnrissig
weltwütend trunken und entblösst
früh überschrieb mich die dichtung
dem wedernoch aus leere und lachen
den kataklysmen aus wunde und wunder
dem geheimnis aller blüten
mythenfern fern aller gier
überschrieb mich dem stein im all
im wagnis meines leibes aus lehm und elfenbein
den weissen himmelskristallen
den sanften symphonien den partituren aus staub
früh streiften liebende menschen
zwischen firnschneide und fontanelle
die haut meines einsamen begehrens
wir vergingen an den entkleidungen
dem hass der tage den nächten aus schlaf und lust
. . .
III
doch dichten ist auch
eine lange wohlbekannte krankheit
der taubheit aller schrift gehör zu verschaffen
all jene gedankenorte zu berufen
die immerzu verschwinden
die nie anwesend waren
wie alle tode wie mein tod
ein schuss in den kopf
fiel mir am ende alles gelebten ein
ein schuss in den kopf
was ist das für ein abschluss
inmitten des fiebers des klaren wahns
des seltsamen erregenden unglücks
am leben gewesen zu sein
am leben und am sterben
und leben und sterben sind auch
vollkommene siege über das
was von jeher unendlich abwesend war
ein schuss in den kopf fiel mir also ein
inmitten fremdester gegenwart
inmitten der freude die meine gestalt hatte
inmitten der freundschaft seltener menschen
ein schuss in den kopf
ist auch das versprechen des mörders in mir
grausame furcht der seele die ganz
und gar das unfassbare ist
es sterben aber die wirbeltiere aus
korallen und vögel und schlangen vom paradies
entgeht denn all dem wie wahnüberstiegen
die liebe und sprache der gottheit
entgehen ist ein rares wort
entgehen entgehen entgehen
es blieb aber kühlend vom regen
und wohlbekannt ein glanz
auf den dächern der welt zurück
III – V 2o18 scardanelli
uralter ton
vergessen sei im uralten gesang
im uralten abschied von der höhle des seins
vergessen sei der raubmord der zeit
und ihrer gegenwart
wunderbare wortgestalt des engels
flügelferne unendlichkeit
o güte güte geheimnisvoll und sanft
dunkelste betörung deines wesens
entatmet dem spiegel der nacht hinzu
als tanzten wir schwer und dennoch erhoben
in weiten sälen des todes
welchen die liebe vollkommen erfüllte
und du und du nur noch ein nebel
schemen und glanz am einzigen morgen
unter den bäumen des lebens
vergessen auch du
V. 2o18 scardanelli
mythos von der bergung
leben
von jeher inwendiges
leben unheimliches
in der vollstreckung der zucht des lichts
als hielte ein schamane in arktischem wahn
die nervenfäden des alls in händen
singend weisesten walgesang
inmitten der von anemonenarmeen versenkten angst
auch ich bin auf der fahrt ins furchtbare finstere
doch ist zu suchen im blutort meines fleisches
gold vom herz und gold von den gonaden
einst gesunken dem ungrund der meere zu
wie entstrahlt in salz gebunden
in die galaktische träne der unzeit
die magmafrucht der zeit
aurum muriaticum natronatum
krankheit aber nachlebend dem nichts
ist mein dem innersten zugewandtes gesicht
der zystische einwand des todes vielleicht
brennende arche im schnee
lichtgeschwemmte fragmente
kosmisch bestattet und knochenhautmaskiert
der sarkophag des seins
zu heilen ist alle geburt des todes
aus der umkehrflut der himmelswelle
wahnarktisch säureerblindet die jetztgeschwulst
inwendig immerzu sternenentstellt
geheim an den nervenfäden hinunter
an den händen den antennenseelen
blutsonnen aschenebeln
aufgebäumten fetzentrümmern
opfernd die eingeweide des weltkadavers
willenumwunden
schemen schwebender mutationen
die furienfratze der zukunft zu beziffern
wo unaufhörlichkeit des todes
alles vergessen löschte
jenseits unserer mordgesänge
unserer myriadenmadrigale
aurum muriaticum natronatum
als würde einmal vollkommenheit geboren
vollendung der gottheit
gattungserlöst geboren
ein feuerantlitz aus dem schwarzen mosaik
von wortvulkanen
aus gold vom herz gold von gonaden
unendlich langsam zerströmender stein
auf singulären totalen
härteste glut
daraus jener gesang der leere
das reine vergängnislose vollzieht
und unzerstörbar
den ursprung des todes
V.2o18 scardanelli
die unterrichtung
nationalität ist bestialität
das deutsche ist eine unheimliche sprache
ihrem wesen nach eine philosophie
aus den untiefen der sümpfe
den unzugänglichkeiten dunkelster wälder
aus furcht vor pest und kriegen
aus feindschaft verhasster sippen
das deutsche ist eine unheimliche sprache
durchtränkt vom traum eines sonnenkreuzes
einer erlösung durch rune und licht
geschuldet den langen nächten der kälte
dem klagenden singsang in knochenkathedralen
der schwermut nördlicher winde
zu unterrichten ist also
von wölfischer tollwut und hexenjagd
von der tafelrunde der päderasten
den blähungen barbarossas
der fressucht bismarcks
dem popanz hans der ging allein
in die weite welt hinein
germania aber war nie eine schöne frau
ihre sprache entbehrt aller lust
und freude des begehrens
ihr organ ist organisation
ihre liebe ist rache und mord
die jagd und der fanfarenstoss
ein teutonischer biedermeier
was aber bleibet stiften
auschwitz und die metaphysik der sitten
der schaum vom schwarzen bier
das stinkende geschlecht der walküren
soldatenkaiser märsche im dreivierteltakt
der schwülstige dialekt hegels
die spitzelmundart goethes
was bleibt ist luther der nazi der ersten stunde
meine kutte mein kampf mein apfelbäumchen
alle synagogen sollen brennen
ist das heilige lied der deutschen
dazwischen schrebergärten
konzentrisch gelagert
inquisitionen kolonialwarenläden
mythen vom berserkertum
feldzüge des kapitals die wacht am rhein
das sturmgewehr am hindukusch
myriaden völkischer zwerge bereit
jedwedem eindringling den stiefel
ins gesicht zu treten
manchmal operettenlust
manchmal wallungen künstlicher ausgänge
manchmal propyläenpracht
die ganze impotenz aus provinziellem intellekt
die lederhose martin heideggers
aufgehängt an haken und kreuz
im zwielicht im dickicht der holzwege
ewige sauberkeit
das tausendjährige reich der seife
gesiedet aus asche hebräischer knochen
. . .
das deutsche ist eine unheimliche sprache
böhme hölderlin trakl kolmar sachs celan
heine kleist und lenz gingen an ihr zugrunde
in flucht in sucht in abbitte in wahnsinn
und im suizid
frau holle und das herrentum
hygiene hysterie heroin haldol
dort blüht die blaue blume der sentimentalität
dort blüht die melancholie von mördern
die schande der pflicht die gier des pöbels
ein feste burg ist unser gott
die seele europas
der ewige antisemit
VI.2o18 scardanelli
das unvollendbare
in zusprache adama und chewwa
schöpfung schwebende
unverwundbar jene kraft aller kreatur
aus deinem und meinem innersten allein
gabe und empfängnis in einem
du und ich
schwebende gestalt und wesenlos in einem
und ist der ort des todes der ort der gottheit
das mögliche das immerzu das ungeheure ist
und ohne bestimmung
die dem nichts entäusserte seele
das der seele entäusserte nichts
und ist von liebe zu sprechen
jenseits der alphabete der gedankenorte
vereint in der verneinung
du und ich
verneint in der vereinung
sind wir jenes augenblickliche dazwischen
das das unsagbare voneinander überträgt
in unbestirnten raum
. . .
das göttliche allein wahrt seinen ort
leichter und näher gesprochen
gott also bleibt von jeher wo er ist
sanfte haut himmelsatmende unaufhörlich
haut des lichtes und der nacht
über dem marmor dem ton und metall
den hellen ruinen die das antlitz
der jahrtausende formten
zwischen meer und schnee und staub
und unauffindbar
zwischen deinem und meinem namen
schall und tagwind
uraltes rauschen der muschel
überschäumend die steingewordenen
laute der lust
bruchstücke mosaischer perlmutt
über dem handwerk dem weltwerk
das unvordenklich das ganze vergessen füllt
mit dem gedankenbildnis seiner selbst
ort des abwesens und seiner vollendung
gott also bleibt von jeher wo er ist
bleibt diese einzigartige silbe
von mund zu mund intim und lapidar
lautlos der wunde gegenüber
dem wunder deines und meines seins
silbe die ihr geheimnis hütet
wie eine nie gesehene blüte
in der offenbarung jener nacktheit
die nicht sterben soll an der erwartung
entfaltend den unendlichen gedanken
vom begehren
in einem garten jenseits der zeit
jenem garten dessen stille keines alls
und keiner leere keiner verneinung
keines glaubens keines todes
keines schmerzes keiner erlösung bedarf
und alles göttliche wahrt seinen ort
wie rares gold aus den gonaden
unsichtbar fast
die von schönheit verhüllte erregung
und atemwellen uferlos entströmt
von dir von mir
aus deinem und meinem innersten allein
duftenthüllt sind unsere worte
die scheu und die entblössung
raumhin enthoben
den äussersten knospen der bäume
kühlend einmaligen traum und schlaf
und die gedankenstille
aufscheinend im tau schwindend
und aufscheinend im tau auf den leibern
den archipelen aus wille und blut
den flügeln bebender finsternis
die niemandem gehört und
inwendig dir und mir an göttlichem ort
ahnung erkenntnislos allemal
gewaltigkeit und ruhe im seltenen herz
das stirbt zwischen verstörung und versöhnung
dennoch von heiliger wildnis umhüllt
und unverlassen weltlos geheim
galaktisch genährt und rein
seltenes herz das stirbt
und dennoch jahrmillionen schlägt
da du und ich sich erheben
im glanz eines einzigen morgens
wo der zyklische mensch sich erhob
wie eh und je
in himmelsatmender sanfter haut
aus innerster kraft zu wahren
was uns überdauert
das unvollendbare
VI.2o18 scardanelli
zeitschriften
christel fetzer zugeeignet
berlin zwölfter august zweitausendachtzehn
den geflochtenen hut auf dem kopf
mein tägliches nikotin gib mir heute
die zeit und ihre schrift
ein wimpernschlag im all
die sonne viereinhalb millionen jahre alt
der mensch zweihunderttausend
zehntausend jahre der erste acker
zweihundert jahre das erste öl aus dem stein
es tobt der alte krieg von neutron elektron
proton und ihrer antiteilchen
wir aber sind nur überschuss von jenem material
welches die energie vom chaos übrigliess
vom nichts des unlebbaren alls
nackte wesen auf splitterndem stein
sehnend und suchend über der magmaglut
die geistesangst und das verlangen
da gedeiht das geld und waffen und
grausamster missbrauch der gedanken
da denkt der darm das vage seinsgefühl
das hirn in seiner schale verdaut den zweifel
den schmerz die pole von ich und du
da sind ausgeworfen ins blut die nervennetze
die geisternetze treibend in ozeanen
burgen aus sand stehn an den ufern der welt
inmitten der furcht und pflicht der heimat
brennt in waldsassen quarz soda eisen kalk
und kobalt nickel silber gold
der sanfte atem eines menschen bläst
ins unendliche ein göttliches glas
für die metamorphosen des lichts
für das leuchten der himmelsdome
afrika begräbt seine ermordeten kinder
raketen und drohnen steigen auf
tödliche viren über jemen und syrien
mördervögel mit dem mörderblick der herren
verborgen in den palästen der feigheit
lautlos fast in der heisser werdenden luft
die thorarollen und uralter singsang
vom heiligen staub vom wahn des göttlichen
vom aschestern und den fragen der weisen
von der ersten scherbe des moses am sinai
ikarus aber blieb im all
sein satellitenauge sichtet den flug der zugvögel
die zyklen der elemente
die regungen aller bedrohten kreatur
ich kühle meinen tee aus zitronengras
belege ein sandwich mit mangold und knoblauch
heute weht ein leichter wind wie ein erinnern
an das ernste lachen meiner violine
an die fremd gewordenen geliebten
an die gingkobäume vor der bar der seligen
an das vatergrab auf sanftem hügel
über dem bodensee
träumend vom schnee japanischer berge
so fern so nah wie worte vom tod
dennoch soll unser altern güte sein
und ruhend in reiner geduld die willenslust
wenn uns die sinne schwinden
auf die grosse finsternis zu
berlin zwölfter august zweitausendachtzehn
den geflochtenen hut auf dem kopf
mein tägliches nikotin gib mir heute
die zeit und ihre schrift
ein wimpernschlag im all
VIII.2o18 scardanelli
gestalt und gedanke
gehe und sprich und handle
nicht mehr als ein baum je
handelt und spricht und geht
dies könnte eine erste weisung sein
allein ins offene ragend
den regen zu empfangen
in seltenen lauten die rauschenden
kronen vom wortwerk der blätter
deutend jeden morgen der erde
als rückkehr der schönheit
dies könnte ein kommender mensch sein
mit der hand tief im erdreich
bergend kraft und geheimnis
mit der seelenfrucht stillend
alles begehren in der lichtglut der zeit
und dann die gedankenzweige empor
immerzu der himmelsluft entgegen
den verwandlungen aus same und keim
obschon die ahnung der leere
sich nur des unsichtbaren entsinnt
als andere sanftheit womöglich
weltentzogen und wundlos und
jenseits deines und meines mundes
ihrer irdischen sinne
die sterben allemal
in der verneinung zuletzt
denn alles ist entzug
das all entzieht sich
wie ein staubkorn sich entzieht
wie zellen wie willen wie tode
wie jegliche gedanken sich dir
und mir entziehen und allem
bewahre gedenke entfalte erblühe
sind also gebote des kommenden mystikers
des unendlichen willens der innen bleibt
ein äusserstes wahrnehmend
und ruhend im schatten der gottheit
deren wesen vollkommene durchdringung ist
bis zu den myriaden mündungen des lichts
und der unsäglichkeit des nichts
zu trinken von nun an
von jeher zu trinken
aus dem unerschöpflichen gefäss
des schweigens
könnte die seltene nähe des friedens sein
VIII.2o18 scardanelli
ausblick
langsames wetterleuchten
dahinten
wo horizonte in jahrmillionen sinken
entlang der lidschläge
langsames wetterleuchten
als zögerte die gottheit
in der unendlichkeitsfermate
zögerte unsere lichtzuckungen hinaus
langsames wetterleuchten
dahinten
wo leben eine feuersbrunst war
entfacht vom schweigen des nichts
krachend hochgeschürt
unseren haufen scheitern und furcht
mord und tanz um einen funken lust
und dasein
knapp entkommen dem unsichtbaren
entrissen sich selbst
und der todfinsternis
ein steinwurf im raum
glutwelle inwendig magmabrei
lehmig blutiges klump
knochenschädelig umwölbt
in leichtem tränenregen
vorüber und aussen
langsames wetterleuchten
es pochte noch das herz ins leere
war denn atmen der eigentliche wahn
hinein hinaus und dünn und
unfasslich dahin
und die sternbrocken
schon im grossen entzug
unhörbar immer weiter ins all hinaus
IX.2o18 scardanelli
der abort
wie ein zäher klumpen frass
hinuntergewürgt ins hautinnere
bluthin ein druck ins unsichtbare
deine seele
entzündet vom gift eines
unaufhörlichen verlangens
tief in den eingeweiden
den blinden krümmungen
deiner sterblichkeit
deine seele
isoliert mit gebrochenen lauten
wie aus katakomben ein rollen
ein dumpfes vibrieren womöglich
von einem anderen stern
dann ausgeschieden den dreck
den geballten gestank
lehmiger rest eines golems
die erscheinung der kotgestalt
deines gedankenstamms
abscheuliche seele
ausgeschieden wieder und wieder
in den saugenden schlund der welt
einer flutenden wasserwelt
an deren rändern hängen fetzen
gleiten dem abgrund zu
leergewölbtes porzellan
schädelweiss wie eine nasse stirn
dein auge den uralten ekel gewohnt
folgt dem würgen ins nichts
etwas ovales hartes schlägt drauf
als wäre es dein lidschlag
seltsame stille
nach dem verschwinden deiner seele
vager schmerz aus blut und verlust
etwas diffuses wie scham oder vergehen
quillt den leib entlang
steigt erneut auf
drängt sich erneut in die erschöpfung
ins hautinnere bluthin
das echo unaufhörlichen verlangens
deine seele deine seele
hirngeboren und wiederum hinunter
und hinauf den nervenschacht
furie chimärisch und untilgbar
unstillbar erlegen den todeszyklen
der sterbenskreatur
und ihrer illusion letzter erlösung
IX.2o18 scardanelli
ein schnitt
nach einem halben jahrhundert leben
bleibt mir zu sagen
vom ersten gedanken an
war ich ohne vertrauen
die gottheit fürchtete mich
nunmehr gehöre ich niemandem an
meine liebe und mein tod
sind ohne verantwortung
die wunder all dessen was je erschien
und je erschienen sein wird
vollzogen sich ohne mich
ohne das zutun der ganzen menschheit
auch die höchste symphonie der seele
die letzte zerspaltung von gott und tod
verkamen zu plumpem schrei
zu zorniger klage des geistes
angesichts der schönheit und stille
dieses einzigen paradieses im all
dieses sterns der mein einziges leben
zu besinnen je imstande war
und das einzige urteil nahm ich an
ein heiliger zu sein der das heilige berief
inmitten der todeswirrnis und der triebe
der geliebten die krank wurden
in wort und seele
und ich wie weltenthauptet
ein infiziertes tier himmelsenthäutet
nun berührt mich niemand mehr
niemanden vermag ich zu retten
zu trösten niemanden berühren
vollkommenheit des firmaments
das ist die äusserste grenze
darunter sanft treibende wolken
frei von sphäre deutung gesicht
und nichts mehr darüber hinaus
keine erhörung gibt es
und kein besinnen
akkorde astralen schweigens
verschliessen mir den mund
ich weiche den worten aus
den lockungen der logik
den taten der mörderischen vernunft
ein nachtfalter landet am rande des lichts
zart und staubig und zitternd
wird er schlafen und verschwunden sein
am morgen während der einsame mensch
am rande des lichts wacht und denkt
was soll die stunde des sterbens bedeuten
nach aller lebensfremde
begraben zu sein heisst doch
nicht mehr den ort wechseln zu müssen
willenlos ruhen und ohne vorwurf
inmitten der erlösung
unantastbar entfühlt entfühlt
im elementaren dunkel des ursprungs
auch dieser tod muss enden
wie das leben enden muss
in der täuschung aus name und licht
in der täuschung aus namloser finsternis
und jenem äussersten imperativ
entsinne dich vollkommen
entsinne dich ganz
entsinne dich
entsinne
ent
IX.2o18 scardanelli
vollendet
als könnten wir niemals vergessen
im schwinden deiner sinne
willenlos
nimmt stunde um stunde
die einsamkeit zu
ragt jener gedanke
einmal am leben gewesen zu sein
in rufnähe des nichts
verstummen die dichotomien
am wundrand des geistes
wie eine lange krankheit
die sich spurlos verbraucht
jenseits aller geschichte
toderhoben frühmorgens
ein kind zwischen zwei atemzügen
im schwinden der stimme
die ohne gedächtnis blieb
wölbt sich der lebensraum
in weisse finsternis
wo sich das unaussprechliche vollzieht
IX.2o18 scardanelli
eine warnung
weltweit ist die lust am genozid wiedererwacht
wir werden mehr denn je von mördern regiert
die nur drei dinge kennen
das geld die waffe und die strategie
die heisser werdende sonne
wird auch unsere hirne verwandeln
wenn der hunger das abendland überfällt
und mit ihm die hysterie der massen
zu warnen ist vor dem geist der extreme
vor dem grinsen der kanaille die gewinnt
zu warnen ist vor jenem gedanken
der unaufhörlich einen feind sucht
weltweit ist die lust am genozid wiedererwacht
das alte spiel der auslöschung
der dreiste wahn des antisemiten in uns
das blutopfer für einen gott des krieges
ein würgender ekel beschleicht das herz
doch der mut der vision und das heilige
und menschliches handwerk und freundschaft
sind das was ansteht
sie allein sind dein und mein anstand
sie sind die lust der leib der leichte sinn
sind das vertrauen in den anderen
sie bleiben von jeher das wahre wort
X.2o18 scardanelli
liebestod
und wäre empfängnis
erste anrührung des unendlichen
niemals und immerzu
hab ich den königlichen
den göttlichen gast erwartet
in meinem raum aus einsamkeit
dennoch und deshalb
hab ich die gläser zum glänzen gebracht
die teller vergoldet den staub gezählt
das bett bereitet den leib gewaschen
der liebe mein todeswort vermacht
wohl um dem nichts zu dienen
jenem traum vom leib aus moos
als sich entfaltete schönheit vom schnee
dem atem aus ungeduld und weigerung
zu dienen mit unendlicher reinheit
und reiner erwartung
niemals und immerzu
X.2o18 scardanelli
bögen
firnschneide der himmelskristalle
hoher grad an weisse
entschieden allein aus sich selbst
ein gedanke vom licht sinkt ein
wirbelt als seltsame welle
in die windtiefe
bergung und splitternde form zugleich
in welchen sich dein leib erschöpft
geschärft von der äussersten stunde
wundlos enthoben dem kosmischen stein
bleibst du immerzu
vom atem der leere umhüllt
bleibst
die unendliche besänftigung des todes
X.2o18 scardanelli
rimbaud
mir widerstrebt die legende von einem
der mit achtzehn zu schreiben aufhörte
es ist die legende für literaten
für schwätzer die ein idol brauchen
zu genialischem schweigen verdammt
rimbaud hat weitergeschrieben
heute wäre er eher ein diplomat
ein geopolitischer kenner
mit dem hang zu elementaren bildern
zu seltenen landschaften
ein einzelgänger durchaus
forscher universaler konklusionen
ein kluger vater seines kindes
das den mythen aus afrika lauschte
den reisen eines mutigen mannes
der denkend nach hause zurückkehrt
er starb unter grausamen schmerzen
brach ab im sieg der verzweiflung
ein nomade der moderne
der aufschlug im feuer seines blutes
das leere buch einer zukunft
die ihn nicht kennt
X.2o18 scardanelli
genealogie
isola mundi
vielleicht ist es die menschheit allein
die den galaktischen gedanken des todes
ersinnen und ertragen muss
auf diesem einen stern
das gedicht entfernt sich immerzu
von jener menschheit von einem
der es schrieb mit seiner sterbenshand
die vernimmt die wirklichkeit vom licht
enthalten in der finsternis ihres vergessens
das gedicht nimmt namen der erde an
den fels die frucht den stamm die blüte
den unhörbaren atem den schneekristall
dies ist die ernte der dinge von jeher
dies ist der ganze leib der lust
doch dann verschwindet das gedicht
wie sanfter schemen vom gedanken
löst es sich vom menschen
entrückt von der träne im all
von der erschöpfung eines seltsamen traums
hält es zu auf ein äusserstes
das gedicht gehört von nun an dem unendlichen
dem unaufhörlichen inmitten der galaxien
todüber todabhanden dem geheimnis des lichts
überschattet und enthoben
von allabweisendem gedanken
und wäre dieses
ein jenseits der geburt des nichts
X.2o18 scardanelli
die andere seite des narziss
was mich beruhigt an mir
ist dieses traurige tier das wartet ohne erwartung
sein blick der sich nach innen schärft
jenseits der blindheit eines alls
in weites unsagbares wellenland
dringt mein urvertrautes lauschen
von keiner gottheit irrgeglaubt
wenn sich nur eine blume neigt
am rand des nichts
vom windgeheimnis hin zu jenem leib
der immerzu ich ist
in sanftem rauschen ergeben
dem schmerzlosen schwinden des lichts
was mich beruhigt an mir
ist dieses traurige tier
in übereinkunft mit den bäumen
deren zeit als schatten und tau verrinnt
ist dieser schlaf so nah so milde
wie das lächeln einer frau
besonnen in träumen zu hüten den feuersinn
steinort laubwort quelle der deutung
zeichen der milchstrasse entnommen
singsang für ein gestilltes kind
was mich beruhigt an mir
ist dieses traurige tier meiner liebe
die nicht am gift des verlangens vergeht
seltsamer atem besänftigten mundes
der über dem zorn des begehrens steht
und wie entgangen der täuschung des todes
was mich beruhigt an mir
ist dieses traurige tier das bestimmend
von jeher sein haupt erhebt und neigt
wie eine weisung vom spiegel der seele
und ausserhalb von blut und zeit
den ethos wahrend aus lichtung stille
glut und schneefrucht wie die nahrung
für meine träne vollendet im gedanken
der unendlichkeit
X.2o18 scardanelli
dankbarkeit
für daniela meierkord palme
seltsam jener tumor
der in einer knochenhöhle blüht
dem schweigen des mundes entgegen
sich unhörbar und schmerzlos
ins gedächtnis meiner worte glüht
ein zeichen zystisch und geheim
wie wenn in einem gegenleben
ein ungrund und sein todeswille wachten
doch zu widerstreben ist mit grauen
den hippokratischen metzgern
die heillos allen leib betäuben
um ihn dann zu schlachten
noch gibt es jene weisen frauen
die das gold im herz und in gonaden finden
um fern von pathos einen dichter
namlos und geheiligt
an sein lebenswort zu binden
X.2o18 scardanelli
grosser abgesang
und ich spürte die sehnsucht
nach den letzten tagen des lebens
etwas verschloss mir für immer die augen
als das lachen der götter verhallte
als ihr ethos und wunder der allegorien
verschwanden und ins vergessen sank
das dunkelstes raunen der wälder
und die nebel nimmermehr stiegen
und keine farben vom schnee
und keine flockenfreude der kinder
die hohen türme des geistes
weniger als ein versunkener traum
die frische des morgens
ertrunken in einem schrei ohne erwachen
und ich spürte die sehnsucht
nach den letzten tagen des lebens
wer aber soll uns befreien
wenn die bestie der vernunft nie schläft
wer soll die mythen ersetzen
die lust der himmlischen geister
wer soll minotaurus in schranken verweisen
grosser ja grosser abgesang
doch eines ist sicher
die sinne täuschten uns nie
säulen und arme der wälder antworteten uns
der steine deutungen wogen schwer
bergung und grund wenn wir wohnten auf ihm
blüten entfalteten tänze des wunders
der sand sang die spur des nomaden
schnee besänftigte die höhen der erde
wer wenn nicht wolken nannten namen
für eines engels kleider
o reine farben unsere stunden anzuziehen
es öffnet die braue aus gras das auge der quelle
und dann der schemen dianas
der faden der ariadne über dem nebeltuch
fackeln vom feuerzeug des prometheus
sisyphos ein dandy der gut und gerne vögelt
der dem todesgott den ersten schlaf verpasst
im drogenrausch und in den wogen tobend
poseidon mit seinen ungestümen töchtern
was für ein herrliches lachen
heute fischt triton mit stählernen haien
die namlosleichen aus dem mare nostrum
und der da fischt in wellen aus panischem fleisch
ist jener götterlose spättyp im auflösungsmilieu
wie gottfried benn ihn erstmals nannte
ja grosser abgesang grosser grosser abgesang
etwas verschloss mir die augen
als das lachen der götter für immer verhallte
und ich spürte die sehnsucht
nach den letzten tagen des lebens
dann einmal für immer beschloss ich
nur noch nach innen zu schauen
vom geisteslicht in mystische schwärzung
hirngewunden durch blutschlünde hinab
den dunkelsten aller götter zu wecken
den eigenen gedankenleib die enge der angst
das grausame phantasma der ersten seele
die mich entwirft ins finstere ins nichts
entrissen bin ich nun entsagt entsetzt
entstellt dem buch vom paradies
vom wort der schönheit und des leidens
vom antlitz jenes anderen
dessen unendliches auge mich rettete einst
kein bergender raum der himmlischen leere
kein leichter sinn der liebe die ins offene kam
was sog mich ins blut meines eignen dämons
welch innerste irrsal und wirrsal trug mir auf
die gottheit meiner selbst zu werden
den wahnsinn meiner selbst zu schöpfen
den unstillbaren durst wortloser furien
in der verdammung aller quellen
in diesen brennvorgängen ziffernnetzen
die der code sind für das unauslöschliche
strahlende mutationen transhumaner masken
was ist es was ist es was sind wir nun
und ich spürte die sehnsucht
nach den letzten tagen des lebens
als mir das schweigen der götter
für immer die augen verschloss
und uralte sinne der freude
die uns träumte die uns sang und hielt
grosser ja grosser abgesang
und vieles von unserem todesleben
wird unsagbar und unaussprechlich bleiben
dies gilt für alle kreatur und alle zeit
selbst das wenige das zählt
uns im gedächtnis bleibt wenn wir es sagen
wie ein erflehtes wachen jener götter
und ferner schon in einer handvoll märchen
selbst das will ins verschwinden
jenseits unsrer gebrochenen tode
und mystisches wort ist äusserstes alleinsein
ein auferstehn aus dunklen archipelen
ein sein des anderen todes
ein wurf ein wesen aus unlösbarkeit
und wollust der menschheit aus feindschaft
und ich mir selbst wie bannung wie verschwinden
als innerste unendlichkeit und immerzu
vor der gewalt mein göttliches zu nennen
es nimmt seinen lauf
es nimmt seinen lauf
es nimmt seinen lauf
und ich spürte die sehnsucht
nach den letzten tagen des lebens
X.2o18 scardanelli
vermächtnis
ergründe und erwähne jene welle
die einst dich erhob und überrollte
du sahst ihr schönes ungeheures blau
ihr tödliches gefälle
ergründe und erwähne die unendlichkeit
wir weinten dieselbe kosmische träne
wo alles leben sich vollenden wollte
im vakuum aus licht und zeit
X.2o18 scardanelli
am todesgrund
etwas wie wahrheit zerschellt
in meinem letzten beben
in meiner äussersten sekunde
grausame gottheit die das urteil fällt
ich löse mich von meinem munde
unvernommen vom geliebten leben
ich entstelle mich vollkommen
bevor das leben mich entstellt
X.2o18 scardanelli
vaterliebe
ich darf es nicht sagen
darf es nie sagen
wie sehr ich an meinen kindern hänge
wie sehr ich die kraft und
das alleinsein ihrer mutter kenne
unendlich ist der schmerz
der zwischen kreatur und schönheit gründet
ich darf es nicht sagen
weil es in stummen wahnsinn mündet
ich war nicht gemeinsam
daran zerbreche ich
zerbreche an verwirktem sein
du aber scherbe meiner seele
lass mich verbluten von innen
lass mich unsichtbar verrinnen
lass mich verschwinden im vergessen
um die kinderleben ewig zu bewahren
um sie am unaufhörlichen zu messen
du scherbe meiner seele
sag wie lang soll ich verharren
in solchem todesleben qualbesessen
als kältester kristall im all
wo sich sterne in hässlichkeit vergeuden
sag welches gift erstickte mich
war kein gericht war kein gesicht
ich war
nur finsternis aus unerreichten freuden
X.2o18 scardanelli
einmündungen enthebungen
seltsame schande des dichters
als könnte er hören vom sein des todes
sterbensworte zu sagen diesseits des nichts
wie ein letzter nachruf aller endlichkeit
seltsame scham des dichters
als könnte er hören vom nichtsein des lebens
das äusserste zu berufen jenseits der dinge
wie ein erster vorwurf der unendlichkeit
seltsame schuld des dichters
aus dem rasenden sichselbst seiner gesalbten sichtung
als entsagte er von jeher dem logos eines leibes
als entspräche er immerzu dem wahn einer seele
und alle erfindungen bedeuteten jegliche zeit
und alle erfahrung deutete jenen randlosen raum
unsägliche ahnung aus ahnender unsäglichkeit
als fiele ihm alles entgegenkommende zu
als käme ihm aller zufall entgegen
als entgegnete er allem zufällig kommenden
seltsamer dichter seltsam sich selbst
als wäre sein denken dauernder verschluss
in himmelsfiebernder sternenkrankheit
als wäre er dennoch der geburt aller tode voraus
und urvertraut von solchem sagen solchem hören
seine verdichtung die das unvordenkliche
mit jener finsternis bergend umhüllte
die sich selbst idee war enthüllend verborgen
und allem lichtgedanken gegenteilslos voraus
und dann ein klang ein seltsamer klang
der ein erster kern wäre
aus jenen silben vom sein des todes her
nur klang und niemals licht vom nichtsein des lebens her
klang unerinnerbar vergessensloser klang
den ein raumloser raum von raum zu raum wölbte
richtungslos raumlos aus sich selbst
und ohne sich und ohne selbst und
niemals ein walten sondern nur wahrung des gehörs
das sich selbst und unaufhörliches einander ist
schöpfung der stille und stille schöpfend gestillt
aus innerster entbehrung
dieses voneinander des einen vom anderen
als lauschte ein allgewölbtes ohr im überall
den unaufhörlichen partituren der milchstrasse
fuge an fuge fügend von stille füglich gestillt
fermaten lautloser leere
noten des tonlosen neurons
unbezifferbar deutungslos
schuldlos schamlos schandlos
in der verdichtung von welle und weisheit
haut der gottheit mythenlos mühlos enthäutet
mund metagalaktisch der ins lautlos formte
den sechsten vokal der alles vollkommen verwandelt
neu deutend das diesseits der dinge
den atlas vom all eines anderen seins
das von unendlicher umkehr beseelte nichts
die umkehr unendlicher seelen zum nichts
und umkehr der seele zur seele
und umkehr des nichts zum nichts
deutend die umkehr des in sich gekehrten dichters
zum an sich verkehrten gedicht
seltsame schande des dichters
von neuem stammelnd das sternenumwürgte etwas
atemumkapselt in der windballung
unmündig mündungslos wiederum und von neuem
gegenwartend während kralliges nervenendendes
blutgeäst kosmisches wetterleuchten illuminiert
die seltsamen schädeldomwölbungen umrundend
seltsame scham seltsame schuld wiederum
die nach innen gestülpten sinnstürze von neuem
diese ungeheure blamage einunddesselben
jenes labyrinthischen ohnehin von alpha und omega
diese ungeheure blamage aus einunddemselben abc
von frucht und furcht in der geschlossenen anstalt
des weltwiderspruchs der ihn hinhält
ihn den seltsamen dichter
in der sinnwelt seines sterbens
ihm hinhält metallisch metastatisch megaloman
das echo das icho von mythen maschinen mutanten
das vakuum das ihn füllte kybernetisch
katarthisch kataklystisch karzinogen
so seltsam so seltsam so seltsam entseelt
so seltsam so seltsam gequält
ich lass ihn vom winde verwehn
XI.2o18 scardanelli
vier aspekte der arche
krieg ist in der kleinsten hütte
während die paläste feiern
einmal aber soll
das gebet der sterbenden dir heilig sein
als ginge jegliches wort über den tod hinaus
I
leugnend die gewalt
steht uns die unflat bis zum mund
und dieser ist ohne erbarmen
welche arche aber wäre zu besteigen
mit blossem lebensatem
um der bestie mensch zu entkommen
und ihrer entheiligung des todes
II
kein vogel kein blütenzweig
unter solch geschwärztem himmel
kein zugang zum licht
das erleuchtete die seelen von einst
und kein gedanke von jeher
nur dieses untrügliche gefühl
als hätte ein grausames nichts
die letzte pforte des alls verschlossen
dann nah und unendlich die finsternis
erstickt von der vollkommenheit
und die vollkommenheit von finsternis
III
von welch anderer art aber
sind jene archen
die über europas mythenmeer treiben
von wimmern und schreien
von kindern und müttern und männern
angehäuft und die körper gekrallt
und eingebogen ins sinkende holz
dem schwarzen ersticken entgegen
wo keine taube keine luke zum himmel
ein neues leben ein neues land öffneten
wo sich die leuchtenden häfen des
abendländischen menschen schliessen
wie ein entsetzenstraum
der das kurze leben der namlosen war
IV
würde ein mensch ein allerletzter
im äussersten ende ausstossen
jene unendliche silbe gott
wie einen irren schemen ins leere
wie eine hülse gehöhlt ins nichts
wäre dann endlich alles vergessen
als ginge kein wort über jeglichen tod hinaus
XII.2o18 scardanelli
erhebung
unsichtbare sekunde
schönheit des wenigen
schwindend darin der schnee
mein geringer tod
im zimmer der armut weiss ich
die glut des palo santo zu schätzen
göttlich glimmendes holz
herb und heilig sein duft
seltsamer hauch eines anderen seins
als ahnte ich den atem
atmete die ahnung des unendlichen
will nur heissen
begeisterung und genuss
halten den raum der seele frei
vom lieblosen vom abfälligen
reinheit der sphäre des wortes
botenstoff und teilhabe des machtlosen
des unwissenden
an der trauer des tiefen jahrs
glücklich aber sind gedichte
deren weisheit noch auffängt ein dunkelstes
schönheit des wenigen
schwindend darin der schnee
mein geringer tod
die unsichtbare sekunde
I.2o19 scardanelli
wahrung des dunklen fächers
kosmisches anders zu denken
steht uns der logos im weg
nachsinnend
in der unsäglichen übereinkunft
von leere und schweigen
nachsinnend
jenem schatten eines gedankens
der sich dir überwarf zaubrisch
wie eine zumutung aus wahn
nachsinnend
weltfern und sinnverhüllend
einem nie zuvor gehörten satz
die engel sangen nur einmal
die engel sangen nur einmal
wie furchtbar aber entstellte
und unnachsinnbar fast
dein erster schrei der geburt
jenen gesang aus unendlichem
ahnung stellar wie warnende botschaft
war da noch ein anderes sein des todes
die ungeheuere erwirkung
im äussersten unvordenklichen
nur einmal früheste weitung
in der unermesslichen zunahme des atems
übereinkunft von quelle und mündung
als entfaltete sich ein fächer aller zeiten
in der entblössung des unstillbaren raums
und erste offenbarung eines firmaments
im morgen vor allen vergängnissen
als beflügelte einmaliger gesang
ein anderes sein des lebens
und starken verstand
und jene engel
wären noch unerhörte namen
vor aller ankunft von leere und schweigen
von leid und lied
und strahlungen des nichts
milchiges tuch aus seide und plutonium
doch allemal stehst du
noch diesseits solcher besinnung
mit leeren händen da
stumm nackt in rufnähe des logos
und sterbend die dauer des verschwindens
unter den flügelfedern der bäume
im radschlag allwissender vergängnis
entrauscht beseelte täuschung
werk aus verhängnis frucht aus vergessen
träne im blut erinnerter empfängnis
wo furien des hungers und
lichtgierigen goldes den todsesleib begehrten
vermehrten entehrten und verzehrten
im mund der ausgeschrieenen finsternis
und über dir
nachsinnend dem schatten eines gedankens
schlösse sich nun von jeher
in der unsäglichen übereinkunft
von traum und verrat
von haut und nacht
von minne und mineral
jener fächer silbenregnerisch
fassungslos entschieden
einmal von jeher und
scheidend für immer
I.2o19 scardanelli
milder winterabend
ja über uns selbst hinaus
wenn rauch und blut und weltenfluch
wenn asche der gottheit fern sind
lauschend der 1.symphonie vaughan williams
entziffere ich die grünen ameisenkinder
des malers und sklaven bill traylor
ertaste die gedanken unter den wolken
des dichters philippe jaccottet
wie blüten wie schneekristalle
kommen mir die tränen
denn rein und würdig sind jene menschen
ich aber vermag nichts mehr
während zwetajewas phönix
mit schwarzen flügeln schlägt
bewache ich mein fieber
stütze den federlosen kopf
damit er nicht vornüber fällt
und mit seiner glut
die armut meines zimmers entflammt
ja über uns selbst hinaus
jack mein alter freund kämpft mit dem krebs
abwesend wie ein kind wie eine mumie
in einem zwiegespräch mit seinem tod
warten die wellen des rio de la plata auf ihn
unendlich sanfter traum
mein herz steht still
heilige schönheit ist fernvertraute ahnung
ihr mut und ihre kraft sollen unvergessen sein
ihre chöre erfreuen uns todlebende lebenstote
auf diesem geistesstern
an diesem milden winterabend
im hinterhof des dritten jahrtausends
über die asche der gottheit
und über uns selbst hinaus
I.2o19 scardanelli
sechs umnachtungen vom buch der bücher
das was gedichte nie werden sollten
protokolle der vernichtung
raumlos flüchtende flüche
kraftlos verzweifeltes verwirktes zeug
die ausgelöschte unbesonnene saat der zeit
1. umnachtung
vom wesen des lebens
du
wie ein zufall herausgegriffen
aus nichts aus völliger verneinung
durch jenen einen drängenden schrei
in dein durchblutetes fleisch geformt
antlitz und frucht und verlangen
einer vergängnis jenseits des todes
gesichert mühsam von deiner haut
die altert zittert schmerzt und zerfällt
und leben hiesse dann
ein schneller unaufhörlicher verlust
im vakuum der gegenwart
die auch du niemals verlassen hast
und leben hiesse dann
diese eine atempause im all
und das all jenes sternenverliess
von chaos zufall und vernichtung gestillt
jenes verliess das uns den schnellen traum
von schönheit liebe und erwachen
von schrecken und tod vergönnte
doch teilnahmslos unberührt von unserem sein
oder wäre denn die eröffnung anderer paradiese
jenseits aller kosmischen tode
wahn und verheissung zugleich
wahn und verheissung die dem wesen
vom unendlichen geheimnis und
von deinem durchbluteten herz
zugleich entsagten und entsprächen
. . .
2. umnachtung
vom wesen des träumens
ist nicht jenes seltsame rauschen
vor deinem erwachen
ein rauschen aus erfüllter ohnmacht
ein weicher schmerz vom nebel
eines dauernd nahenden morgens
eines nebels der der atem der toten ist
bevor sie das sein des todes verlassen
um wiederum zu sterben
im aufgang eines neuen vergessens
unerreichbar dem vergessen der lebenden
ist nicht jenes seltsame rauschen
vor deinem erwachen
trost und erfüllter wahnsinn in einem
als strahlte ohne den sonnengedanken
unaufhörlich ein anderes licht
ins innerste der ersten nacht
der nacht jenes menschen der sich betrachtet
den schmerz des äusseren leibes zu spüren
wenn das gift seines ungestillten verlangens
ihm die glieder füllte mit wasser seiner selbst
und unter qualen dann anstiege
die letzte flut bis zum herz empor
und zögerlicher nun die schläge der tage
wiederkehrten in erneuter blendung des lichts
erneuter angst der nacht
und träumen hiesse dann nichts anderes
als von erwachen zu erwachen gehn
und niemals über den rand
jenes seltsamen rauschens hinaus
welches das unerreichbare leben wäre
. . .
3. umnachtung
vom wesen des deutschen
über mein volk aber ist nichts zu singen zu sagen
es hat seine taten vollbracht
und diese sind unsäglich und werden es bleiben
wie märsche ins verderben
mein volk liebt seine musik mehr
als es seine worte liebt
weil die musik alles gewissen beruhigt
und jenes grauen übertönt das dieses volk verübt hat
und immerzu verübt im nachklang
des verweigerten andenkens
berserkertum barbarei auslöschung
luthertum die pflicht der grausamkeit
vergasung endlösung rasse bombe stahl
das grinsen und der hohn des herrischen
sind namen meines volkes
um heute mit gemeiner macht des geldes
die krankheit zu erniedrigen
armut zu schänden und fremdes antlitz
und ethischen gedanken zu töten
im abgesang der metaphysischen seele
vielleicht kommt solchem volk
gebot und angebot glücklich zu sein nicht zu
weil das glück allein jener seele entspringt
welche die not wendet
jener bescheidenen seele also
die meinem volk nicht innewohnt
eingedenk der zugefügten leiden
fortan der freude des anderen zu dienen
seinem unendlichen gespräch vom leben
die poesie ist auch deshalb eine eigene sprache
um nicht die sprache ihres volkes
singen und sagen zu müssen
und könnte nicht jegliche gegenwärtige seele
ein archipel vom gedanken der wahrheit
und ihres erbarmens werden
um fortan um ein unendliches ruhiger
der unaussprechlichen nacht des todes
zu begegnen
. . .
4. umnachtung
vom wesen der oper
graziles werk vom weiblichen anteil in uns
elphamisches licht und
frauliches geheimnis der kreatur die empfängt
seltene sehnsucht aus der synästhesie des raumes
und aller zeit entnommen
wo reinheit das mädchen ist
und metamorphose die künstlerin
und tanz und lust die kurtisane
vereint in jener figur der stella
jenes so fernen sterns
den hoffmann in seinen erzählungen
illuminiert und erfleht
in den wunderbaren fügungen offenbachs
klage und phantasie und hymnischer schmerz
sind der vollendete psychismus der oper
traum wahn liebe trunkenheit
sind unendliche räume jenes rauschens
das weder im leben noch im tod seinen ort findet
sondern der eine unerfüllbare leib
aus pathos und sehnsucht ist
wo alle geister zutritt haben und das sterben
so nahe ist wie ein engelsgesang
wie faunisches begehren wenn umherirrend
der flüchtige mensch zuflucht findet
und zugleich in äusserster gefahr ist
unter den dämonen der feigen gegenwart
die seine einsame seele bedrohen
zwischen kaschemme und paradies
die zeit flieht und nimmt für immer
unsere zärtlichkeiten mit
singt giulietta in hoffmanns erzählungen
ich aber
wort um wort verzögernd meinen zerfall
während die liebe blendend wie ein schemen
die leere form einer vision umhüllt
schreibe mich unweigerlich an meinen tod heran
im schwinden meiner sinne bin ich
ein vertrautes geheimnis zwischen den elementen
allein mit den masken der sinne
setze ich mich tag für tag
der dunklen wunde der musik und ihren
verwandlungen aus
den wellen ihrer lichtjahre
den solitären gedanken wie findlinge
berührt vom diskreten schein elphames
der fernen innersten schönheit
seele des weiblichen werkes
gebet aus farben und traperien und lippen
darüber ein lächeln ariels hinweggeht
und manchmal reisst mich die liebe dahin
unteilbar und alles verschlingend
auf der barke der lethe
wo ich dem unbekannten ufer entgegentreibe
. . .
5. umnachtung
vom wesen des tragischen
langsames enden aller lebenskürze
wie quellen des universums versiegen wir
im geschwärzten abbruch der worte
auf der weisse der aufgeschlagenen seite
des morgens
war denn das wesen der schöpfung
reine erwartung
und diese war haltung und wunder
war denn das wesen des menschen
unendliches verlangen
und dieses war wille und obsession
verbarg sich hinter der silbe gott
jener ganze wille jener ganze unglaube
der verrat und die verzweiflung
an aller schöpfung
wie umnachtung aus unsäglichem
unvordenkliche ahnung
als streifte ein äusserster wind
unsere wirklichkeiten und blüten
voll stiller schönheit auf den gräbern der zeit
als warteten wir festlich gekleidet
im kosmischen museum der vergangenheit
als wäre uns am sein des todes
allein der gedanke der unendlichkeit unerträglich
weil er von jeher unserer sterbenszeit nicht erschien
abhanden wie eine grausame verheissung
von schweigen versiegelt
finsternis der finsternis
schatten vom schatten vorausgegangener angst
die uns einmal empfinge
jenseits von wille von wunde von wirrung
mit allen bildern der abwesenheit
und jedes leben
nichts als die geburt des ganzen todes
. . .
6. umnachtung
vom wesen der verdammung
jegliches wort aus menschenmund
zeugt von der vernichtung edens
von den qualen unerlösten seins
jegliches wort ein dunkler ausstoss
der ruinen der einsamkeit hinterlässt
chimären galaktischer zerrüttungen
und mosaike des grausamen grauens
im nebel schwindender bildnisse
atemlos farblos und ohne duft
wühlt das wort in den höllischen eingeweiden
der menschlichen liebe die stirbt
nur blüten und nektar und anmut der quellen
nur frischer gesang der vögel erinnern uns
an das seltsame licht eines paradieses
ohne schrecken ohne erkenntnis und gegenteil
garten der seine leere hütet
seelenlos und unendlich dämmernd
in der sinnfernen zuflucht ohne gedanken
auf dass keine menschliche stadt
kein stein gewordener schrei unseres ursprungs
je gründete in solcher ursprungslosigkeit
zu besänftigen unsere angst
und alles blut der endlichkeit
stösst denn mein atem allein die gottheit aus
und saugt sie rasend ein
weil seele nichts als nackter tod
und sein ersticken wäre
äusserste finsternis jenseits des elysiums
und seiner unlebbaren schönheit
die meinen wahn nicht kennt
welche macht erzwingt
das unaufhörliche zu sagen
von nacht zu nacht von wort zu wort
und jedes ich ein buch im buch der bücher
wo jeglicher stern an einem gedanken
wo jeglicher gedanke an einem stern
zerschellt
I.2o19 scardanelli
in abrede
gedankenpoesie wie die meine
ist nichts als rohe abweisung des daseins
und aller trost für unser kurzes leben
liegt jenseits solch entstellter worte
gedankenpoesie wie die meine
bleibt fremd dem tagwerk vertrauter vernunft
lässt uns im leerraum zwischen schmerz
und unendlichkeit keinen fluchtpunkt
für jene empathie und jenen intellekt
die immerzu dem innigen geschwätz
ein und derselben wirklichkeit dienen
der zähen alles verlangenden hoffnung
wahrheit aber ist ein anderer raum
grausame vision und seele des steins
kalter wille ringend um nichts
und unauflösbares erbarmen
gedankenpoesie wie die meine
von den chimären der angst entführt
scheitert am neutralen urteil des
äussersten kosmischen materials
wo die sterbensworte dünn werden
atemlos blutlos sinnlos fast
bruchstücke vom sternengeröll
botenstoffe kryptisch und unvordenklich
gedankenpoesie wie die meine
ist blindes wagnis inmitten prosaischer vergängnis
ist der schrei einer sekunde wenn die stimme
in rufnähe des einmaligen todes gerät
und wie umhüllt von sphärischem gift
am wundrand der stille zögert
vor der rückseite dieses paradiesischen sterns
den unser kurzes leben begehrte und besprach
gedankenpoesie wie die meine
ist wahn verworfener sinne
unmut anmassung und scheitern
das stottern moses vielleicht
das stottern des mystikers
inmitten der dämonien aus geld maschinen
aus wille trieb und aus atom
das stottern moses also
kläglicher singsang über dem traum des sinai
über der wüste der menschheit
vom licht ihres verlangens verführt und
verglüht bei anbruch der kosmischen nacht
denn das göttliche kennt keine versöhnung
. . .
wohin aber gelänge ein mensch
der einmal durchquerte in völliger umkehr
die ungeheuren einöden des menschenvergessens
als wäre er immerzu
dem gedächtnis des todes voraus
. . .
das göttliche kennt keine versöhnung
womöglich war sprache der falsche weg
II.2o19 scardanelli
das gebet der sprachen
präambel
vielleicht ist das gebet der erste innerste impuls
jenes je und je eine innerste stammeln
des je und je einen menschen
und damit ursprung und eingang
ins göttliche aller sprachen
erste bestimmung für das grosse neutrale
für den sphärischen entzug des unfassbaren
von jeher jenseits aller paradoxien
die unseren sterbensgedanken entsprangen
in der kurzen spanne des seins
inmitten der myriaden schläge des herzens
. . .
gott
du tröstliche silbe
unendlich gewölbtes dennoch
höchstes echo über den schneefahnen des himalaya
den furien eines kalten willens
über den glühenden kronen von urwäldern
der verbrannten haut einer schlange
in den wellen der ersten wüste
gott
du tröstliche silbe
die früh mein mund formte
zu jenem tumben laut der du bist
ausgestossen in die leere des himmels
geheime silbe die mich dichter bleiben liess
im metaphysischen wunder
in der wunde der menschheit je und je
im bruch aller zerstörten zyklen
im licht der schönheit und eines jeden
begehrten morgens
gott
du tröstliche silbe
als gäbe es die unaufhörliche wiederkehr
eines weissen punktes von seltener reinheit
der rührte im voraus an das unberührbare in mir
gott
du tröstliche silbe
nahvertraut die unendlich übrigblieb
vom spirituellen geheul der menschheit
gott
mein geist unwissend gewiss
will dir danken für die seltsame erfüllung
dessen was nie wesen wurde
will dir danken
wenn ich am ausgang meines lebens
mein letztes gebet suche
den abgebrochenen fluch und
äussersten gedanken der meinem erdenleib
verbleibt und entgeht und mit ihm
verschwindet wie eine enttäuschung
von aller täuschung erlöst
fäulnis und humus unter den toten
dieses wundersamen sterns
unter dem vergessen der lebenden auch
und ihrer furchtsamen todesliebe
gott
du tröstliche silbe
die mir übrigblieb von allen alphabeten
und ohne gestalt und ohne erscheinung
danke ich dir
denn dein schweigen
jene tiefste ruhe meines geistes war es
die mich all jene chöre oratorien litaneien
schalmeien säulenschatten kuppelbögen
geheiligter räume finden und lieben liess
und ich erschauerte vor solchem wahn
gott
du tröstliche silbe
beruhigung und diskretion meines nichts
fern allen glaubens ist mir dein tonloser ton
wie ein starkes galaktisches holz
das ich ergreife auf dem fluss ins unvordenkliche
ein lethetrip ein kristallines zeichen
in der sterbensfinsternis
gott
du tröstliche silbe
für das unsäglich irrgewordene in mir
für die angst für die totgesagte seele
für all jenes unsichtbare herrliche
im denken im sagen der sinne
die es von da an nicht mehr gibt
wenn die hohe quelle versiegt
die mich den regen der welten
die glänzende haut aller lust geniessen liess
wenn ich nun am ausgang des lebens
einmal verstumme
für immer
II.2o19 scardanelli
vorsätze
einen schritt vor den anderen setzen
um noch einmal zu erblinden
in der dämmerung des seins
noch einmal den staub in schranken zu weisen
um jene kleider zu waschen
für die reisen der armut im halbschlaf
die landschaften der träume halsbrecherisch
aus asche und kristall und immerzu
den windungen der hirnrinde entlang
und sonntags dem requiem tristanos lauschen
jenem blinden j.s.bach aus chicago
und sonntags ein schweizerbrötchen essen
mit appenzeller drauf und meerrettich
damit die wunde weiter brennt
. . .
schön wie die rose von jericho
blüht mein ekzem auf weissem schenkel
rose im menschenschnee
daraus leuchtet das auge der gottheit
und öffnet sich ins innere
ins innere wo nichts emporsteigt
ausser die so schwere geburt jenes gottes
der man selbst war und ist und sein wird
ungeheuer und schweigsam gebieterisch
und lächerlich auch
der eigene gedankengott
mein einzig hab und gut
und jener gedanke vielleicht
dass das schöne und unendliche so berauschend war
berauschend ist und sein wird
wie die galaktische lust selbst
wie die chöre alfred schnittkes
wie das requiem tristanos
lust die den fernsten schmerz durchdringt
jene ahnung des furchtbarsten von jeher
des unaufhörlichen verschwindens des seins
o armut o staub o hunger o mord
o glut des alls o leichnam o leichter name
sinkt denn von jahr zu jahr mein mut
das schicksal zu ändern
zwischen schrecken und sehnsucht
um doch niemals das heilige in händen zu halten
das heilige das nur blinder wille ist
. . .
doch die blüten die blüten die leuchtenden
farben der blüten werden sich auch
auf diesem blutigen jahrhundert entfalten
auf resten von schnee von städten
von grünendem haar von knochenäckern
auf resten von liebe von gebeten und gesang
fast wahnsinnig geworden
am verrat des heiligen des heiligen
des heiligen inmitten ruinöser sprachen
inmitten der neuen seele des krieges
eines transhumanen robots
um weiter und weiter einen schritt
vor den anderen zu setzen
wenn die stunden der zellen der gräber
wenn das lächeln der welt gezählt ist
und erstarrt und verzerrt die freuden des daseins
wie irrsinn eines kindes ohne menschheit
ohne menschheit
die blüten aber werden sich entfalten
gewiss gewiss gewiss
was aber ist das heilige
wenn nicht die symphonien der menschheit
die schönen die grausamen die einsamen chöre
aus allen toten vergangenheiten
die fotographien der nackten blutenden begehr
und dass sich das unendliche erbarmen möge
offenbaren und erbarmen
ja es möge sich das unendliche offenbaren
und erbarmen
dieser wahnsinn diese sich sehnende verzweiflung
auch sie sind das heilige das heilige
wie sterne wie liebende völlig isoliert
diese besänftigung des nichts
dieser zarte traum eines engelsmundes
dieser tiefe schlaf eines lebens in der sonne des morgens
auch das ist das unermesslich heilige
das blüht und blüht und blüht
schön wie die rose von jericho
im schwindenden vakuum meines atems
meiner wortrose aus der leuchtet
das auge des todes ins äusserste ins äusserste
o ihr hohen berge meiner jugend
glänzende schamlippen meiner erregung
dome hügel sanftestes haar
namen und atem des herrlichen geheimen
hohe schneegrate dolent combin aarhorn
mount cook dhaulagiri und nie darüber hinaus
o stöhnen am eisrand der nächte
am schweigen des sterbens
inmitten der stratosphärenstürme
. . .
einen schritt vor den anderen setzen
um ein letztesmal zu erblinden
in der dämmerung des seins
ein letztesmal den staub in schranken zu weisen
und die kleider zu waschen
für die letzte reise der armut im halbschlaf
immerzu den windungen der hirnrinde entlang
und sonntags dem atem der geliebten lauschen
dem requiem des leibes der enden muss
und noch einmal ein schweizerbrötchen
mit appenzeller drauf und meerrettich
damit die wunde weiter brennt
das seltsame wunder aller erwartung
das scharfe schwert der tage die da kommen
die noch kommen noch kommen
noch kommen
vor dem schwarzen spiegel des nichts
am ufer eines ozeans aus splitterndem obsidian
wo sich die spur ins unvordenkliche verliert
III.2o19 scardanelli
enthebungen des todes
eine handvoll worte
will ich noch zusammenklauben
aus den welken blütenfeldern
den hirnfarnen verstummt
unter den wäldern gefällter gedanken
eine handvoll worte
aus dem surrealen glitzern der maschinen
die die kraft der männer waren
der rasende traum von etwas das existiert
doch niemals zu leben vermag
auch metaphonien füllten mein ohr
sphärische märsche und hohes weinen
und schläge des herzens dumpf
in die einsamkeit meiner vergangenen form
ein dröhnen ein bersten zerschlug meine becken
inmitten der zeitalter des mordes
wo mythen der nationen nach und nach
ihre eigenen völker auslöschten
eine handvoll worte
wie im nachhinein dahingesagt
in dämmerungen des vergessens
als wäre die spur zu entziffern
im meer der ruhe im aufgang des mondes
als wäre ich schon meines lebens entnommen
enthoben entsagt und wie im nachhinein
will ich nun sprechen
schon jenseits meines leibes
dessen unendliche namen ich nicht kannte
partikel des unsichtbaren und unvordenklichen
das weisse mark ohne erinnern
über den faulen blüten dem bruch der stämme
schien es mir manchmal
wir hätten hier nur unser sterben verwaltet
auf erden auf inseln auf blauem kosmischem auge
will ich also sprechen
vom so fremden unendlichen wesen der liebe
jener liebe die von jeher und immerzu
als stille in uns wohnte
als schlafender tod der sich selten regte
und dennoch der ganzen erde
und unsichtbarer seele ausdruck verlieh
jene liebe also
wie deutungslose gesten in unseren augen
die nicht alterten im licht aller wunder
im wunder der poesie die zerbrach
an der dauer menschlicher aufruhr
da der mensch unentwegt
seine geister beschwörte
die verruchten riten aus lust und krieg
wo alles reichtum raub und plünderung wurde
wo die liebe als tod von myriaden erwachte
ein furchtbarer wille zum blut
im wunder jener poesie also
die mir entglitt aus zitternder hand
ein schmales buch des lebens
dessen unendliche namen ich nie kannte
poesie die meinen schwindenden geist
verzehrte trieb und zwang zum äussersten
und mich dennoch beruhigte sättigte stillte
im innersten unfassbar und randlos
als wäre sie das heilige und vernichtende in einem
mich also stillte und sättigte
mit jener wahrheit deren gedächtnis
auf ein dunkles zentrum der angst gerichtet schien
wahrheit also
die der vollkommene raum meines todes war
der äusserste innerste blinde allsehende
und das unantastbare tier meines willens
abwesend wie nichtsein wie unsein
das schwarze vakuum meiner unsäglichkeit
und war nicht das meer das ganze gedächtnis des alls
die vollkommene atemlose fülle der tiefe
und zugleich das sehende auge der galaxie
und rollten nicht die ozeane jenes ganze gedächtnis
aller jemals gesagten alphabete
den ganzen betäubenden chor aller je gelebten leben
an das ufer meiner erinnerung
als sanfte wellen als weisser schaum und singsang
um auf schwarzen zungen wiederum
mehrend den sand zehrend vom sand
meiner einzigen gedankenzeit
zurückzufallen wie grausames geflüster
in den steinerollenden rausch der zermalmung
und gier und atem und gischt standen
in der wölbung der nacht wie antworten
aller stimmen und welten
auf die je eine frage eines menschen
der vor sterblichkeit bebte
eine handvoll worte also
will ich noch zusammenklauben
und die reste jener flügel
die die farben der blüten waren
das geheimnis aus schönheit und stille
eine handvoll worte nur
und das unendliche der liebe
das jene stille war in mir und in allem
je ernster aber ich meine stimme fasste
desto mehr gewann mein tod an leben
und die farne die wälder des unvordenklichen
blühten auf und leuchteten auf den feldern
der verheerten menschheit
und die farben wuchsen noch einmal zu flügeln
zu flügeln der himmelsträume
die alle namen der gottheiten trugen
mit jener stimme aber die immerzu meine war
verlieh ich dem tod ausdruck bei lebendigem leibe
seinem unendlichen schweigen
seinem von angst geschwärzten all
ein stammeln blieb
eine zunge ein schmaler gedanke
im hinterland der schwarzen materie
der sternenverschlingung der wortverdichtung
und wurde mein letztes ganzes ich
und wie umsorgt von reiner leere
schon jenseits meines leibes
und aller namen die mein geist einmal erschuf
es blieb mir jener gedanke
dass das innerste weltlos war
und das äusserste war es auch
IV. 2o19 scardanelli
gedächtnis vom abriss der gottesrede
es will dein tod nichts anderes als deinen leib
der dir nie angehörte
leib mit den kinderaugen je und je
mit dieser haut die fröstelte
als es spät war und die welt zur neige ging
und zwischen same und testament
die wahrheit spät und gottesnah
aufkeimte wie eine stumme hand
ins dunkel ins namlos empor
nie zu verstehn was du erkanntest
nie zu erkennen was du verstanden hast
inmitten der schreie des wahnsinns
des willens der nicht kehrtmachte
vorm nirgendwo vorm überall
vorm anderwärts der jenseitssilben
und der gedanke deines todes
war nichts anderes als die vorwegnahme
vollendeter vergangenheit
der du nie angehörtest
bilder eines unaufhörlich geschichteten traums
und der gedanke deines lebens
war stillstand in rasender dauer des jetzt
war das was immer gegenwartete
in innerster bergung des morgens
inmitten der raumzeit des nichts
der leere aus ahnung und unendlichkeit
doch tod war anderwärts schlingende regung
blut das vom delta zur quelle stieg
lust die alles verlangen erschöpfte
ein shaker kosmisch und atomar
frozen fire von seele und geist
die deinem leib nie angehörten
dem zeitraum aus sinn und sein
dem atemholen zwischen ruine und kadaver
du furie des zweifels
du sterbensfossil
und zwischen same und testament
die wahrheit spät und gottesnah
nie zu verstehn was du erkanntest
nie zu erkennen was du verstanden hast
inmitten der schreie des wahnsinns
des willens der nicht kehrtmachte
vorm nirgendwo vorm überall
vorm anderwärts der jenseitssilben
und jener seltsam anderen gedanken
unauslöschlicher archipele
fern aller antipoden der bestimmung
den hohlformen des lichts entrissen
der innersten klage deines herzens
unsäglich und entsagt und
fassungslos und fast befreit
von heiliger erfahrung jenes echos
jener welle jener gottheit
die so lange schwieg
V.2o19 scardanelli
was ich noch tue – a true song
was ich noch tue
ist nur ein aufbäumen sanft
und verzweifelt am ende des zweifels
wo kein garten mehr ist
wo dennoch die brennessel blüht
treue begleiterin aller menschheit
wo die amsel unter dem farnbüschel singt
im hinterhof meines lebens
was ich noch tue
jene freunde zu besuchen
die ihr zimmer nicht mehr verlassen
ihnen beim atmen beim sterben zusehn
in ruhe und ernst und innerstem schmerz
dem nächtlichen abgesang lauschen
dem schweigen im abbruch der stimme
was ich noch tue
über den staub zu streichen im dunkeln
über die armut der gestorbenen dinge
die die ganze gelebte welt des vertrauten sind
mich zu fragen
wer wird an meiner seite sein
wortlos am bettrand meiner letzten atemzüge
ist einerlei
vielleicht nur ein grausamer schemen
ein zucken der gottheit in meinem auge
und schon vorbei
unendlich schwer wird es mir
dies kurze leben zu verlassen
den sinnlichen willen
die seide der luft
den tau auf dem kontinent des leibes
die erfahrung vom schwinden des lichts
von jenem geheimnis
das wir immer noch sind
in der erregung der freuden und tränen
in der verwandlung eines gedankens
vom nichts
jedoch was ich auch tue
von jeher lebt mich etwas zutode
wir leben uns alle beständig zutode
und haben uns dennoch nötig
allein die amsel scheint nicht im unglück
und nicht der fächer des farns
und die so treue brennessel
was ich also tue
ist kaum noch ein aufbäumen
müde bin ich und ich winke zum abschied
es winken die freunde zum abschied
oder sie schlafen schon
sanft und zweifelnd im übergang
zu ergreifen jenen so anderen
unendlich vertrauten gesang
V.2o19 scardanelli
treibgut - sience fiction
ich aber wie ein traumhybrid
dem schwemmland enthoben
dem dauernden abtrieb des ICH
will ja nur heissen
ich verzichtete auf alle gegenwart
entsagte der zeitgenossenschaft
und sprach mit einem von jeher
vergangenen tod
und war die grundlose welle ins nichts
. . .
gigantische ernten allemal
aus den eingeweiden der tiefsee
gase diamanten und seltene erden
auch grausam gemordetes getier
und wir in den untiefen verfangen
süchtige forschende immerzu
in den unaufhörlichen anfängen aus 0 und 1
den rasenden bohrungen den implosionen
und keine ankunft kein hafen kein ort der ruhe
nur überall diese titanischen wracks von seelenfängern
von endlosen schlachten ums material
virtuelle matrosen mit sklavenkräften
köder des sinnentstellten verlangens
zum ersticken verdammte triebe
zum erstarren verdammte maschinen
gigantische ernten gigantische netze
ein riesiges treibendes etwas
ein metastasenmuster oder knotenarchipele
ungeniessbare kadaver weltgetrieben
von der sucht zwischen verrottung und einsamkeit
symptom und ursache zugleich
verstrickt herabgesenkt ins meer fruchtlosen seins
die blinden fahrten ins nirgendwo
gross ist das gebet der irre chor dem monotheos zu
dem neozyklop dem neodemiurg
der die formeln der retortenhoffnungen erbricht
zersetzt und begattet von seiner selbstverschlingung
ein transhumaner weltdämon
öffnend sein kosmisches wahnauge
kopfunter weltunter allunter
und aufgewölbt die glutmeere
wie ödeme wie nervenhaufen entfesselter gezeiten
es sinkt zu hunderttausenden
das fliehende das fliegende
das uralte gedächtnis der haie
es sinken leichname palimpseste aus haut
dem lichtlosen ungrund entgegen
den gierigen anemonenfeldern
den knochendomen bestialischer epochen
den götterruinen dem weltenmüll
aller unaufhörlich ausgespuckten alphabete
dem ungeheuer einer absoluten stille
und überall in stammelnder einsamkeit
in den särgen den archen unserer endlichkeit
leuchten die blue screens des verklumpten wissens
die geheimen codes allen verrats
die identity cards namloser horden
überall dröhnen die synthetischen sounds
entseelter mutanten weinende fürchtende
fiebernde entzündete verrottende vergiftete
mordende bettelnde ertrinkende horden
in der dauernden fäulnis ihrer moderne
. . .
ich aber ein traumhybrid
dem schwemmland enthoben
dem dauernden abtrieb des ICH
in der grellen illusion dieses augenblicks
als verzichtete ich auf solche gegenwart
als wüsste ich von solchem verhängnis
als spräche ich mit einem von jeher
vergangenen tod
jedoch es bleibt nur dieser tod zu bewahren
der je eine tod der so scheue diskrete tod
und dieser mein tod ist die erste vernunft
die einzige die unendliche vernunft
der erste keim die äusserste entfaltung
die stille seele jeglicher zelle
und jene letzte silbe
die mit mir ins offene entkommt
V.2o19 scardanelli
hymnos
hohe ahnung der erde allgebannt
inmitten sternzersprengender sinne
hohe ahnung der erde
schön wie die rose von jericho
im tau eines morgens erblüht
ausrollend über der wüstenwelle
dem titanischen schrott der lebensstätten
wo alle augen der menschheit
mechanisch das äusserste absuchten
die ränder des fassbaren horizonts
hohe ahnung der erde
wenn alle meere und ströme
einmal das vollendete auge der gottheit füllen
kosmische träne auf ihrer elliptischen bahn
träne der einzigen grossen erkenntnis
dass wir das schöne sahen und vergingen
die liebe fühlten und den dämon des göttlichen
um unter den grünen wimpern der wälder
den wolkenlarven ersonnener gifte
zu trinken am ende der lichtjahre
aus dem schwarzen becher der unendlichkeit
zu stillen das verlangen der sterbenssinne
den durst einer ewig glühenden frucht
einer grausamen furcht vor dem nichts
verdammt und verlockt von unserem schrei
nach dem leiden unaufhörlicher lust
hohe ahnung der erde
ichgebannt ein gottverlassener hohler wahn
inmitten sinnzersprengender sterne
entfesselt vom blutschlag des herzens
von zelle logos und atom
vom nachhall aller masken und foltern
den christlichen fälschungen des todes
den kreuzen hakenkreuzen sichelmonden
vom stern aus asche und hybris
von den silbenzerstäubten stimmen
die äonenlang ins phantasma
ihres vergessens stürzen
rohe warnung der erde
dürreste wurzel in der kosmischen schneeschmelze
den hungerwüsten den halden brennender früchte
weltbrüchiger lavaspeiender ball
eingerollt in sich ins nervengestrüpp
und hingeschmettert der leere der winde
wo von wüste zu wüste
von gemetzel zu gemetzel
wo wahnrollend der spurlose massakergott
seine blindheit zermalmt
und erstickt an hunger angst erschöpfung
seiner kadaverendlichkeit
teilnahmslose erde
tiefste höhlung des nichts aller monstranz
aus gold aus handel aus schwarzem blut
aus entheiligtem buch aus leichenbränden
in der glutgefrörnis der kosmischen nacht
wo nach und nach aus rachenräumen
die mundworte wie entzündeter same verschwinden
grausame echofetzen der menschheit
fetzen vom gebetsschrei des immerzu einen todes
hohe ahnung der erde
hymnos erfundenes loblied heiliges geheul
elende preisung von etwas das ins gegenteil triftet
vom grundlosen spiel aus dem schlund
dieser ersten und letzten höhle voll schleim
diesem aufgerissenen dom ins nichts
aus welchem wieder und wieder
wie galaktische schwärze
die namen aller geburten quillen
geimpft mit dem uralten lautlosen schrei
eines höllischen ungenügens
einer wütenden verzweiflung
einer schmutzigen askese
abscheuliche öffnung aus der alle gewalt entstieg
und eindrang hinabgewürgt
in ein blutiges organisches inneres
in ein wahngekröse in einen dampfenden gestank
verkabelt injiziert infiziert
bemessert verstrahlt mutiert betäubt
die krankheit leben
. . .
dann
wie ein unendlich ferner traum
in paradiesischem park aus schneeblüten
unter lieblicher neigung von bäumen
jenes sorgsame einfache erste lächeln
das lächeln eines kleinen mädchens
eingehüllt in die erste freude seiner selbst
glücklicher anteil und schwester aller schöpfung
dieses lächeln vollkommen innig
versonnen allgebannt und ganz für sich
ein augenblick im licht des todvergessens
ein augenblick nur
die erscheinung eines engels im garten des alls
und dieses lächeln
war das lächeln aus unendlichkeit
das gott und allem weltgedanken fehlte
ihm fehlte von jeher
. . .
noch einmal
hohe ahnung der erde
inmitten sternzersprengender sinne
auch du entschläfst nach aller verklärung
in der knochenurne gedachter universen
erde auch du
dem kältesten schweigen verfallen
der bannung des immerzu unsäglichen
das sich auslöscht von anbeginn zu anbeginn
. . .
entseelte trauer
auge des nichts
V.2o19 scardanelli
schlaflied I
schlaf ein o glut
o blut schlaf ein schlaf ein
mein leben ist ein doppellauf
zwei blüten liebe ich
und beide öffnen ein ums andere mal
ihre so fremd vertrauten paradiese
die frucht im himmelsschnee
die frucht im meeressand
weisung und kündung endlicher lust
darin wie roheit die entfernung meines leibes
im spiegel rückwärts sinkender gedanken
unendlich erschöpft von schönheit
und vom schlaf jener zwei blüten
deren duft undeutbar bleibt
im spalt des eigensinns
im lidschlag meiner trüben augen
ist atmen nur ein selbstvergessen
zwischen ursprung und ruinen des erbauten
inmitten einer nacht aus transzendenz
und traum und mord und müll
schlaf ein o glut
o blut schlaf ein schlaf ein
so nahe das nichts meiner seele
und so gering dass es platz hat
in meinen zwei leeren händen
wie doppelter blütenstaub verlässt mich
täglich die hälfte des lebens
verlässt mich die hälfte des todes
welche finsternis umhüllt dies alles
in der nacht der sterne in der nacht der sonne
schmerzenslust seltsam grausam ist
ihr schweigen das mich eint und trennt
in anderes schweigen hinauf
mein leben ist ein doppellauf
zweimal beschriftet vom echo der paradiese
vom glühen vom blühen vom geheimnis
der gedächtnisse die einmal vollendung sind
vollendung der liebe jenseits der worte
der liebe von jeher
schlaf ein o glut
o blut schlaf ein schlaf ein
im glühen im blühen schlaf ein schlaf ein
VI.2o19 scardanelli
schlaflied II
komm aus nacht ins licht
nur einmal komm du motte mensch
erleuchtung ist dein gott
im flug deiner gedanken
im leben jener quintessenz des seins
im tod der quintessenz des nichts
verbrenne an der glut allsichtbar
am geheimnis zarter silbenflügel
flatternder geist verlockt von irre
himmelsbestäubt dein sanfter leib
aus mythos und aus gift
von polyphem zum polymer
geht deine kurze reise
dein unendliches verlangen
von der null zur eins und
willenlos zurück ins finstre
götterlose formellose von jeher
komm aus nacht ins licht
nur einmal komm du motte mensch
ein blinder wahn der sinne schlägt unentwegt
ans fassungslose glas der sphären
wer hat dich so vollendet
brennend vor namlosem tod
wenn nicht jener tod vor aller geburt
und jener solitäre schrei nach liebe
in deiner ausgelöschten nacht
auf deinem unerlösten stern
o welle aus reinheit und schweigen
komm einmal nur aus nacht ins licht
komm einmal nur
VI.2o19 scardanelli
wassersprache
jegliche lebensform entspringt
einer todesform
schau ins himmelsinnere
umgeben von jenem garten eden
den alle erwartung entfaltet
wie selten lebtest du
die ruhigen stunden der gotteszeit
die zögerte ein leben lang in dir
und war doch das unerschöpfliche
war deine gedankensaat
die kam von jeher der welt zuvor
vielleicht ist alleinsein im äussersten
der ganze mut des todes
vollkommenheit deiner erfahrung
eines einzigen tages im all
unendlicher gesang der ströme
so fern aller fassaden der geschichte
ist sinnlichkeit der ursprungssinn
die wahrnehmung des eigenen
es ist die quelle selbst die spricht
vom himmelsinneren von frische trunken
wie eigensinn der blüten der bäume
der steine der tiere und ihrer stille
inmitten einer lichtung
am ufer deines schlafs
so sinngestillt und offen
dein augenblick einmalig
den alle entfaltung erwartet
VI.2o19 scardanelli
something was happen to me
today - beyond the 55th year of my life
when unreaded inside my lost book
in the middle of that way
round a distressed murdering century
my poetry arrived sadly by chance page 203
today - beyond the 55th year of my life
I KILLED MY OWN DEATH
I suddenly abandoned each manner of writing
breaking perfected the sense of my rotten mind
I immediately swallowed the whole thing of speech
from now on I never will read a book
fucked up by this flesh of a lethal mortal tongue
by that myriad of coldblooded thoughts
I never will talk again
from now on in the middle of canonized peaks
I will become a farmer
where forever an unspeakable god (a farmer possibly too)
eternaly understood that snow`s surviving silence
inside a spacegarden`s unprethinkable tranquility
in human rhyme still called nihility
what a strange dream outside a worldmachine
what a calm pain among such curing by rain
today - beyond the 55th year of my life
in the middle of that way
round a distressed murdering century
never vulnerable vulnerable nevermore
rarely clear an unbearable heaven suddenly appeared
beyond my stillborn breath
that`s all what was happen to me
when from now on like a strange brute
I WENT ON KILLING MY OWN DEATH
spelling dumbly his last letter
my first abyss a nameless fruit
terrible of total mystery
VI.2o19 scardanelli
landgesänge des matrosen
bedenkend die untergänge
sollen sichtbar die segel den ufern sein
wie in blindem verschwinden der horizonte
immerzu der grundsee schwarze grausamkeit
der gezeitenwellen giftige jade
aufwühlende alles verschlingende
geistesmacht dem stillen raum zuwider
so halten mit den gierigen überfahrten
der menschenfischer fossilen räuberbrut
so halten die furchtbaren meere
plötzlich einzug ins gedicht
das wir kennen frühsingend und stimmig
halten einzug in flehende irdene sprache
in botschaft die atmen wollte
und auferstehn als neuer kontinent
aus allem versunkenen sein
und nicht mehr raubend hassend
erstickend ertrinkend saugend
ungrund und untiefen aushebend
auslotend elementare schätze
ausbotend oder küstenlos untergehn
grünendes erdfundament dichtendes
göttliche farbe der flora
jenseits der jade flutendem gift
gärten also die bleiben die blühen
sind andere archen des alphabets
und jenseits des plastozäns
seiner grundsee fremdester grausamkeit
polypheme polymere und irre namen sind das
und anstrandungen einer neuen fäulnis
es soll gesang wie heller jubel in den häfen sein
wo leichter sinn der liebe
das sterbliche herz bettet und rettet
fern von blutschlingender flut
gebrüll stahlbäuchen waffen und müll
schäume wie todeswolken decken
die meeresbewohner zu
seltsamen schnee schneit es in tiefseegräben
wie in weltumkehr gierender vernunft hinunter
senken wir ölbilder für ein riesiges ungetüm
in umgebogene spiegel ab
oder maschinenfutter in wasserohnmacht
in blindem verschwinden der horizonte
hält immerzu der grundsee schwarze grausamkeit
einzug ins gedicht in frei gesungene wahrheit
aber die verse sollten unsere seelen bewahren
in vertikalen himmelsatmend
wie bäume auch und höhere ahnung
vom schneegebirge vom lärchenduft
früchte in sanftem raum das angebot des atmens
jenseits der giftigen jade der see
des in schlingernde furcht stechenden willens
hier zu bewahren landzüngelnd anlandig
die sprachen der seelenländer überall
und festen grat und steinaugen feldfurchen
darauf sich sehend unendliches liest und erntet
und unseren gottesgründen zukommt
das eigene holz und die bucht uferblickend
sind wie die hügel die sanften senkungen des leibes
sind unser aller vertrauen und nicht der aufriss
ins erdinnerste meertiefste implodierend
oder flügellos ins himmelsleere hinauf
wo das meiste wissen sich vergreift und welten zermürbt
auch wenn wir das grün und das lebenslob erstottern
die hand die wurzel der knochen ist uns sehr nahe
mühsam durchaus die regung im mühen der werke
sterblich im göttlichen und todhin auch
schönheit ruhe und schmerz und liebende anschauung
die sich dennoch ruhig und erfahren begegnen
zu lernen die botschaft brüchig uralt
ein mosaik von anfang an doch voneinander allemal
und nicht den netzen verfangen den leichenzügen
als wollten wir absenken alles gestirnte
in kaltes atemloses eingetrübtes tätlich besessnes
in ungreifbarkeit und sichtlose verschleppung
kein steigen kein ruhen kein entkommen darin
soviel ist doch schrecklich gewiss
getrost soll meine gestammelte einfalt belächet sein
dennoch entgeht sie aller umdunkelung steigender meere
und stürzt nicht vor und zurück haltlos
im zustrom einer überall verstörenden gewalt
VII.2o19 scardanelli
im fieber der nacht – lsd 25
caratillo soma chandra agni
mare tranquillitatis adé
hoffmanns lsd mein weisser himmelsrauch
das all ist ein friedhof und die kunst ist es auch
traurig wie ferne schatten hörte ich sagen
und sah einen filzhut einen strohhut
ein abgeschnittenes ohr in amsterdam
das all ist ein friedhof und die kunst ist es auch
caratillo soma chandra agni
mare tranquillitatis adé
was ich unter kunst versteh
ist schreiben über den tod
das ist mein einziges portrait
nach allen versen die ich las
sollte ich sagen in dieser armut sei
mein leben dennoch geglückt
wer aber hat in früherer armut
jene früchte gepflückt die ich aß
caratillo soma chandra agni
mare tranquillitatis adé
ich aber denke kenne sehe nichts
was nicht aus worten erbaut wäre
im fieberlied schwillt mir die zunge
die mandel fängt feuer und rötet sich
in der verstummten furcht der nacht
die mich umgibt wo ich allein zu boden sinke
in der gewohnten kammer meines schlafs
erwacht wieder das todesurteil
ungeheuer die finsternis unendlichkeit
ich atme schwer meinen geruch des alters
den fremden leib in fremder zeit
ich trage keinen namen mehr
wer denn im beben dieses sterns vermochte
sich völlig zu erheben über alle angst
die absolut und kosmisch war
ich hörte keinen gottgedanken
der mich von sterben zu sterben gebar
ich hörte kein gebet
jenseits von rasse von geschlecht
jenseits von schrei und alphabet
geriet mir die weltenstunde ins wanken
wer liess mich durch wüsten ziehn
durch hohen schnee und blutendes abendrot
wo aller wille reine leere schien
und ihre stille unhörbarer als mein tod
caratillo soma chandra agni
mare tranquillitatis adé
hoffmanns lsd mein weisser himmelsrauch
die kunst ist ein friedhof und das all ist es auch
o menschenerde
ein lied aus meiner fieberlunge
und tiefste liebe träumten dich
es schwillt mir die zunge
es schwärzt die letzte mandel sich
VII.2o19 scardanelli
scardanelli sessions
© 2020 scardanellisessions • Impressum