Word Art

D A N T E    E R W A C H T

 

 

II   2 0 1 6   -   V   2 0 1 9

 

 

S C A R D A N E L L I

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

die übersteigung

                                                                    mit haller und sebald ins urgestein

 

stein um steinwort

wo das licht sich bricht

an der myriadeniris von kristallen

stein um steinwort hinabgesunken auch du

zu den schultern aus schnee

furka fuorcla pass und joch

sind namen der übergänge

sind namen der übersteigung

 

entlehne dich der zeichenlosen weisse

den schneegestöbern der stille ohne spur

den starren konglomeraten uralt aufgetürmt

zu riesenhaufen zu gebirgen

gebirge wie gottfossile ohne namen

wo gletscherzungen lecken

lecken die grammatik aus granit

festungen für harschen hinterhalt von furien

von lasterhaften geistern

 

die höhe ist kein idyll

da bist nur du du einziger leib du winziger

du wild pochender hier im kalk hier im spalt

von nacktheit und feuchte umklammert

hochgekrümmt über den unendlichen willen hinaus

den menschenwillen zur müdigkeit zum schlaf

 

steig also auf in deinem monolog aus wachem

widerwillen und murmle dein schürfendes

schlurfendes scharrendes brüchiges mantra

schmerzensschrittmantra

 

die übersteigung ist nie eine beruhigung

oder eine fuge der hoffnung

auch nicht weicher elementarer lippenrand

wo einsilbig wegweisend das eine zum anderen führt

übersteigung ist windwaage zwischen lust

erfüllung und gefahr und keuchendem exzess

 

furka fuorcla pass und joch

sind immerzu die schwelle die gedankenwölbung

konvexe konkave stirnen der erde

umgekippte himmelshöhle die gebiert chimären

aus dem sturz des jenseits

aus ödnis harten materials

aus aderrinnsalen aus dem röcheln der moränen

 

 

 

übersteigung ist die silbersilbe tod

alpenbabylonische keilschrift felsklaffend

verwehte schneeblendungen

aus welchen dich schattenkrallen matte hörner

finstere aare packen zerren greifen

wortbrüchig senkrecht in den aufsturz schleudern

in die strahlung einer irren gipfelfremde

eines stahldrahtkreuzes

 

und die fusseisen klirren im steigetanz

 

furka fuorcla pass und joch wollen fermaten sein

für deine sterbenszeit dein steineisleben deine unruhe

zwischen graten rippen rissen schluchten schrunden

brüchen stufen platten verschneidungen kluften

überhängen türmen nadeln bändern kaminen

rollen steine kristallstaub saugen dich winde

an jene schulter aus schnee

in höhlen liegen knochen toter kreaturen

steinbock gemse adler dohle maus und spinne

murenmonster gletscherflöhe undsofort

 

die übersteigung aber löscht alles erinnern

an menschentäler kirchenglocken hundegebell

du bist die unumkehrbarkeit

du machst nicht kehrt

du bläst das orphische alphorn

eurydikes herzschlag poltert atemlos ins tal

 

stein um steinwort

ganz in hautnähe einer leere eines kälteschwindels

todesoffen masslos in der nähe eines fauchens

unvermutet eines grollens gähnens grautaub

donnerschlagend dohlenflügelschwarz

und eisnadeln azurblaues ballett gleisend

wie kurzer kosmischer jubel

 

furka fuorcla pass und joch

sind auch die umgedrehten gipfel

eines unsichtbaren luftgebirges

sind windsattel für die nebelreiter

dein auge wird nass und blind

im labyrinth ihrer gefrörnisschleier

 

und abermals hinabgesunken du

zu den schultern aus schnee

zur schöpfung des erschöpften

wahnträumend jetzt übersteigt dich

wie eine äusserste erinnerung

 

 

es übersteigt dich dein embryo im moos

schlafwimmernder findling flechtenfontanelle

unbefleckte tränenquelle alpenrosenbett

und droben nachthimmelviolett dämmert

osiris osiris der letzte todesgott

im sternbild aller toten

 

geräusche einer weltfurcht auch

und schemen der kosmischen angst

und niemand der dich hören sehen fühlen will

und dann der ganze ungeheure raum

und du mit einem mal ein urmensch

mechanischer träger trunkener troglodyt

endlich von allem ich von allem wort befreit

den grossen tod das grosse unbekannte

zu betreten vor aller lebensgewesenheit

 

du also nichts als stumpfe witterung

und irrtumslose fährte und entseelter trieb

galaktisch murrend und mümmelnd monoman

gondwanaallein seit jahrmillionen

nackte puppe die ihr fell sucht im geröll

versunkener epochen

ein echohohn inmitten aller übersteigungen

 

du also bist der ungeheure raum

bist urmensch höhlenhirn und ungeheurer raum

bist steinwort steinwurf schneeschmerz windruf

sternensturz blaugefingert felsgeädert

flüchtig flüsternd fernste stirn im firn

 

hinab o hinab hinein ins abendlicht

entsteige entsteige den übergängen

furka fuorcla pass und joch

o überstiegener

pass away pass away pass away

 

 

II.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

van hoddis erinnert sich

                                                                      an ludwig meidner

 

wieder steige ich nackt in die flut

mein hut hängt an der tür

ich bin im wahn zuhause

jemand schlurft und senkt die lider

 

aus meinem mund wächst ein geschwür

es kränkt mich furcht um furcht

ein raum voll augen die rollen die welt

das blut das geld die rollen den held

 

doch alle steine fliessen ins reine

das ist ihre heilige kür

saugen im traum kosmische tiere an mir

bin ich im wahn zuhause

rauscht ins nichts die grosse sause

 

mein allwort ragt jenseits des lichts

und heisst  ENT  ZWEI

was entziffert meine hand

ich zähle und zittere vor der wand

 

die ist aus gas

 

nackt ging mir mein gott entzwei

kehre ich heim

                        mythischer thron

kein tod

              kein hohn

du lu

        einerlei

 

 

II.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

es steigt der tod aus meinem mund

ein fremder stern

ein blutiges gebilde

ach wenn er ein anderer wär

und milde

ein goldenes zimmer am meer

 

 

II.2016 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

zukunft denken heisst

von jeher den tod denken

gegenwart denken heisst

immerzu die angst denken

vergangenheit denken heisst

jenem langen traum verfallen

der angst und tod gebiert

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

die besänftigung

 

 

hinausgetreten über die schwelle

in ungeheures silberschwarz

seh ich den grossen wagen

senkrecht hängen im himmel

die deichsel abwärts erstarrt

wie in kosmischem sturz

 

seh ich den bambusstrauch

jadegrün inmitten des winters

den jungen pfirsichbaum

der in der krümmung verharrt

wie mühte er sich einen sommer lang

unter der last aller frucht

 

garten der nacht

der hinnimmt das schweigen des alls

die geduld der gestirne und unseren tod

das geheimnis aus wesen und material

. . .

 

auch ich rufe herauf die uralte angst

ersticke das sinnlose schluchzen

auch ich sage meinen tod

in den garten in die zeit meines raumes

und bin ein tier des dunkels und der trauer

 

auch mein auge das sah und suchte

drängt die träne ins aussen

salziges rinnsal in die leere finsternis

 

o leichter nebel des atems

zwischen pfirsich und bambus

atem der steigt in unsichtbares

unter dem strahlen des grossen wagens

in der regung des herzens

in der fülle aus unendlichkeit

 

bist auch du

die einmalige vertikale der nacht

inmitten der sanftheit eines wirbels

aus schnee aus schnee

 

 

II.2o16 scardanelli

 

 

 

 

das neutrale

                                                dichtung ist reine eschatologie

 

auch du namlos entnommen

namlos entkommen

wie ahnung einer blüte

wie asche einer schönheit

 

wird deine stimme unauffindbar sein

jenseits deines gestorbenen leibes

wird deine schrift

die letzte spur deiner stimme sein

die diesem stern verbleibt

 

wie todeszeichen also

dem mund und den händen entglitten

sind deine worte dann

gedankeninseln der unendlichkeit

oder nur verhängnis und

mysterium der lebenszeit

 

wird deine stimme denn

der materie ganz entsagen

und zugeschwiegen dann dem leeren raum

jenseits deiner blutbahn

jenseits dieses steins im all

 

wird deine stimme unauffindbar sein

befruchtet dein sterben denn

den äusseren kosmischen staub

wie zyklischer wille aus liebe wahnsinn angst

den keim und dämon des nichts befruchtet

 

. . .

 

auch du zuinnerst anfangslos

auch du namlos entnommen

namlos entkommen

wie ahnung einer blüte

wie asche einer schönheit

 

auch du entnabelt in ein meer aus nichtsein

entnabelt ins absolut neutrale

 

 

II.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

rückseite der scherbe

 

 

diese besessenheit des wissens

diese herrschaft des verbrechens

dieser wahnsinn der unsterblichkeit

 

haben sich unseres lebens

unseres von jahrhunderten der furcht

geschwächten seins bemächtigt

 

während die seele

jener unverletzbare raum des todes

nur noch ein schaudern der kunst

einen ritus des obszönen

ein schluchzen der urnen

ein phantasma der religion hervorruft

 

inmitten pornographischer paradiese

inmitten der hirne aus kitsch und katastrophe

inmitten der galaktischen psychose der menschheit

 

 

II.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

das absurde

 

 

zieht nicht unmerklich

und immerzu jeder mensch

einen anderen menschen in den tod

 

oder ist der tod jener haifisch

der unermüdlich und stumm

den ozean unserer gedanken durchschwimmt

seine unaufhörlichkeit zu sättigen

mit den leibern unserer sterblichkeit

 

die angst am ausgang jenes ozeans

ist nichts als dein ersticken

inmitten schwarzer unvordenklichkeit

 

 

II.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

mutmassungen über die zeit

                                                                     der mord aller welten stillt

                                                                    das unaufhörliche verlangen der gewalt

 

jede vergangenheit ist auch das gerücht

eines geträumten kadavers

das phantasma von einem ozean gelebter tode

jede vergangenheit ist vorgestellter wahn

von allem davor im nachhinein

 

gäbe es denn gewesenes ereignis

ohne das geplünderte raubgut der worte

ohne den zwang der ungelebten täuschung

ohne die ergebenheit ins grausame

 

jede vergangenheit ist auch ein haufen

weicher windungen

ein blutgestilltes blindes hirn

das seiner selbstverschlingung beiwohnt

in der schädelknochenhöhle

 

jede zukunft ist auch vorläufige doppelung

jenes geträumten kadavers

der das gerücht der vergangenheit war

als spiegelten sich lebenstode in todesleben

als setzten maschinen den urknall fort

als fiele jedes ich auf sein ich zurück

unbemerkt von sich selbst

im nochnicht aller zukunft

 

als wäre jegliche moderne

der letzte karneval aller vollendung

die erste erinnerung jenes nochnicht

als wäre menschsein die fahrt aller

wirklichkeiten durch die eine wirklichkeit

in der jeder gedanke ein schemen ist

vom fleisch aller geburt

vom rasenden sinnstaub

vom glutkern des gottes isotop

vom erinnern des vergessens

vom bestatten alles gewesenen selbst

 

damit das verschwinden nicht verschwände

das auslöschen nicht ausgelöscht würde

damit kein morgen ein splitter wäre

aus allen schon zersplitterten morgen

jenes kadavers geträumt und gedoppelt

der uns den verwesungsgestank versüsste

aller geträumten gedoppelten paradiese

 

 

und erste schlange wurde erste parabel

wurde erster string wurde erste welle der gravitation

erste lust wurde erstes gottvergessen

und erstes von jeher wurde erstes immerzu

 

wie zukünftig vergangenes sich rächt

an jeglicher vergangenen zukunft

der urschrei vom sein im nichtsein sich rächt

am schweigen vom nichtsein im sein

 

gäbe es denn wirkliches werden

ohne das geplünderte raubgut der welt

ohne die ergebung in furcht und gier

 

o fontanelle des irrsinns

o jordan aus blut zwischen ereignis und erkenntnis

in der unmöglichen möglichkeit

die das rasende dazwischen und

das reglose nichts der gegenwart erzwingt

kürzer als atem dünner als ersticken

 

lidschlag und offenes auge des jetzt

das immerzu  die unendliche unwiderrufliche

täuschung des raumes vollzieht

als pausenlos sich selbst gebärendes

mordendes pornographisches kataklystisches

metastatisches mosaik von der

galaktischen schimäre aller gedächtnisse

 

inmitten der flackernden sternendiscokugeln

des unaufhörlichen verlangens der gewalt

wo das leben seine sekundenparty gibt

inmitten der unfassbarkeit des einen todes

der keine zukunft keine vergängnis kennt

keine doppelung jener geträumten kadaver

jener verwesten paradiese

jener vergötterten planeten

 

und kein verlangen kennt

nach der fontanelle deines irrsinns

nach dem raubzug deiner worte

nach der selbstverschlingung deines hirns

kürzer als atem dünner als ersticken

unaufhaltsam augenblicklich absolut

 

 

III.2o16 scardanelli

 

 

 

 

magien des mosaiks

 

 

wieder und wieder fällt die schrift

weisshändig zurück

an das gedächtnis des nichts

 

asche gewordene vokabel

die ein wind fortnimmt für immer

 

abschied der nichts ist als ein zittern

über der welle aus sand

wind der nichts ist als atem der toten

der atem des toten ganzen

 

wem aber gehört dein anderes wesen an

jenseits von allem ausserhalb

was ist es

 

. . .

 

das buch

und die hand die das buch hielt

versiegelt vom auge jenes traums

der allein du gewesen sein wirst

 

buchstaben dir zueigen

wie blicke aus der nervatur des blattes

und oben sterngeknüpft ein himmelsteppich

steingewordene vokabeln

tode des lebens aus dem botenstoff staub

 

gehörtest du denn

der von gottheit zu gottheit entzifferten

der von silbe zu silbe beglaubigten erde an

 

bergung verwandlung schöpfung

aus der weisse des äussersten augenblicks

aus dem ersten jenseitswort

ist die ethik des unendlichen morgens

 

 

IV.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

das zerbrechen

 

 

ein weltgedanke zukünftig vielleicht

lautet die mächtigen erlösen

aus mordwahn und dem unaufhörlichen

verlangen der gewalt

 

die mächtigen zu erlösen wird das schwerste sein

 

auch vergangenheit und ihr erinnern

sind gross und geschlossen

wie gedankenzeit wie geisteskrankheit

die angst die kosmische wandlose angst

ist aber das grosse andere

 

was für ein leidender soll ich denn sein

wer soll aus meinen augen lesen

allabgewandte menschabgefallene

unkenntlich mir selbst

einsamer als gott

 

und kann nicht mehr ans sterben denken

und immerzu in der verschlossenheit

tief in meinem leibversteck

 

murmle ich für mich

 

ein tanz im gehen jetzt im stehen

ganz zuletzt völlig hinweg

 

 

IV.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

menetekel

                                                                       letheströmend

                                                                      mein winziges schwindendes

                                                                     raumschiffchen der seele

ich werde sterben

unkenntlich wie geisteskraft

eines gefällten baumes

unmerklich wie sinkendes laub im moos

mit der zerbrochnen nervatur der schrift

 

ich werde sterben

ein zufall zystisch zerstört

und eine knochenwelke mehr

auf dem haufen aller gewesenheit

aller gewalt und ihrer begehr

im windschlag der zyklischen zeit

 

was habe ich denn geheilt in der kürze

was gerettet oder verwandelt bewahrt

die welt entglitt mir unverzeihlich

ich minderte kaum eine not

 

denn die feier des lebens kennt kein gedächtnis

der wahn vom unaufhörlichen will keinen tod

 

mein nichtsein ist namlos und ohne erbarmen

wie dasein namlos und ohne erbarmen war

 

der seele raumschiffchen

 mein schwindendes winziges

  letheströmend

 

 

IV.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

inversionen

                                                                    alles bleibt sagbar

                                                                   bleibt verfügbar dem entsetzen

zu denken ist die nervatur

vom blattwerk der erkenntnis

inmitten der sinnlossaat aus weltenwut

 

zu denken ist ein leben

wie rücknahme eines geständnisses

stimmlos ins unsägliche verebbt

 

zu denken ist die zeit des lichts

wie abwesende ahnung aller augen

in der blendung ihrer tode

 

zu denken ist der schwarze raum

wie abtritt aller menschenfinsternis

blutleere stirnen unverstandener verstand

 

zu denken ist die erde

wie einmaliger seelengeistesstein

allanhängende glutfrucht tränenblau

in der verwandlung ihrer unvordenklichkeit

 

zu denken ist ein mund

wie vollkommen gelöschter äusserster schrei

in der verschlingung unendlicher vermutung

 

 

IV.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

short cut

 

 

welten

camouflagen des grausamen

welten wie photographien des missbrauchten todes

 

jedoch hat schönheit der erde

hat gastliches wunder der elemente

mich zu tränen gerührt

 

ein anflug von unsterblichem sogar

sinnenschwebend manches mal

 

. . .

 

und vermeinte zu ehren zu begehren

 

liebe

        schwindende

                             lichtbefreit

 

. . .

 

ich vermisse nichts

 

ich möchte der menschheit nie mehr begegnen

 

 

 

IV.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

die erlösung

 

 

 

einmal am ende

all das blut die schreie die fragen

einmal ausgelöscht von einer antwort

die entspringt dem ungeheuren nichtsein

 

kann keine antwort sein

 

gigantische stille allenfalls

in der ein mund voll brennender silben

sich selbst verschlingt

und das gedächtnis der leere

 

einmal am ende

alle geduld und alle angst

vorüber die schläge die liebe das leid die zeit

der ganze weltwahn der erkenntnis

 

die erde aber blieb

 

die erde ist das meisterwerk

 

 

 

24.o4.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

die neigung

                                                                       der baum neigt seine krone

                                                                      der mensch beugt seine wörter

 

ich neige zum alleingang

weil mich die mehrzahl zerstört

ich neige zum verschweigen

weil es nicht mehr wichtig ist

ich neige zum unauffindbaren

weil mich jegliche suche verwirrt

ich neige zum urteil

weil es keinen anteil verlangt

ich neige zum tod

weil er der ursprung des gedankens ist

 

meine vokabeln sind innere rinnsale

das meer der äusseren sprache kennen sie nicht

ich neige zum leeren raum

denn ich atme ohne grund

das meiste gedachte ist ein geständnis

das andere ist ein gefälle

ich neige zum anderen ich neige zum fall

 

die liebe ist keine neigung

die liebe richtet mich auf

dichten aber heisst verschliessen

weil der raum sich der zeit verschliesst

ich neige zum äussersten

weil es keiner äusserung mehr bedarf

 

. . .

 

nachsatz

 

am eingang des sterbens am vorsatz des todes

unbeugsam und ungebrochen jene worte zu finden

für schlichtheit reinheit wunder erbarmen

jene gesten der ruhe jene blüten des morgens

für das licht aller kreatur die der zukunft vertraut

 

die sich neigt und dennoch besteht

 

 

V.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

enthebung und antinomie

                                                      grauen und same warst du

                                                      und vollkommen verneint

                                                      inmitten der neutralen frucht der finsternis

war nur ein wille

jenseits des verlangens

und war der wille des je einen todes

deines von jeher fernsten todes

 

war also nur der wille deines todes

hautnah ein schatten über deiner

weltgewussten wortstäubenden sterbensspur

 

war alle feuchte deiner zunge

wie ein keim aus dem ungrund

zitternd gezwungen in die mundleere

zu stammeln dein obwohl jeglichen herzschlags

 

lichtjährig in der kürzung des seins

dein sinnspalt glutkalt dein leib

die blutübertragene frage

 

war über der namensurne mensch

nur dieser wille schwerelos entnabelt

tod dein einziges leblosatom

die seelensilbe allbrüchig allisoliert

allentblösst an welcher sich die lust bricht

und die leere

 

und immerzu das selbst

dem eigenen augenblick entgegengesetzt

fiel dir alle verwerfung zu

spiegel des anderen und nein und widernein

und allverwehung dieses sternensandes

dieser atemdüne wie deutungslos fernste materie

 

echos vom schlaf deiner erschöpfung

wandernde vokabeln

wahnirdische ideen verbrannt

auf dem altar des geheiligten maschinenmülls

 

auch schneeschöne rinnsale des kosmischen traums

erregung und gewalt aus ja und widerja

inmitten der versagung der verformung

der metastasen deines hirns

verzweigung der dendriten die trugen

die früchte der unvordenklichkeit

 

 

 

 

war nur ein wille

ausserhalb von grauen und von same

und war der reine wille deines todes

vor aller geburt

erinnerungslos wie äusserster raum

 

doch plötzlich nahe hinter dir

war der wille des todes

nichts als deine welle der unendlichkeit

verneinte gischt und fassungslos

ein weisser punkt in fassungsloser finsternis

 

du unstillbar gestillt

du nacktheit nichtsentstellt

du gedankenende ewiges

du niegewesensein

 

 

 

V.2016 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

der orkan

 

 

 

das paradies war reine unvordenkliche gefangenschaft

substanz jenseits von schmerz und lust

vollkommene ausschliesslichkeit

 

die freiheit danach war reine einsamkeit im aussen

im diesseits der gespaltenen erkenntnis

war erster trieb in ungeheuerer gedankenzeit

und diese freiheit schliesst den untergang mit ein

 

doch den staub nahmen wir mit vom paradies

den himmelsstaub den erdenstaub den weltenstaub

galaktisch isotopisch dreckig und metamorph

staub war und blieb unser immerzu greifbarer

unser einziger äusserster philosophischer stoff

 

. . .

 

und nun zum thema

der orkan ist ein kosmischer thriller

aufwirbelnd den staub den hautfetzenleib

berstendes spritzendes knochenmark

orkan ist sphärisches gebell

gejaule zwischen ohr und hund

os oris canis canis

orkan ist rasende leere wie orkus überm ozean

 

und mittendrin dein stilles auge

 

. . .

 

nun erlauben sie mir folgende korrektur

 

im anfang war niemand

im anfang war niemandes anfang

war unerhörtes von niemandem hörbares

und niemand sprach es werde es werde es werde

im anfang war kein wort kein grund

war ausser niemandes wort und niemandes grund

nur vage ballung eines ungrundes

etwas wie entnahme entzweiung vermengung

ein schmieren schleifen toben implodieren

namlose anfangslose unruhe höchster erregung

 

 

 

 

 

und mittendrin dein stilles auge

das immerzu aus seinem jetzt die geistesvorwart

und die seelenrückwart in die zwingende

beugung der worte versetzt

 

. . .

 

in der mitte also in der stille deines auges

in der mitte war das wort

und war dein anfangsloses wort

und ganz bestimmt von einer stimme

die die deine war von jeher und einmalig

 

zwischen leben und tod war dein gesicht

dein antlitz im blut im beben gegenwärtig

und im morgenrot dein windwirbelndes gesicht

das sich neigt und ringt und atem holt

von unten vom staubwort vom sagbaren ding herauf

und bringt unüberhörbar alle finsternis ins licht

 

. . .

 

dichtung ist gottheit des gedankenortes

wo sich das mosaik astraler silben bricht

und erste finsternis im ersten licht

 

dichtung ist steinsilbenglut

ein crash der sphären rasende protonenwut

und heiligkeit und strahlung

wie trinität und trinitit

kosmische glut verschmelzung ballung

aus sand und feuer ein stein aus galaxis und glas

strahl und staub entnommen dem anfangslosen

dem äussersten orkan dem geschleuderten all

 

. . .

 

die elemente dann erweckten deine stimme

temperaturen deiner sinne

den faustkeil und die urterz

kehlen zum firmament tönende

kehlenwellen bringen die masken zum klingen

masken die unser ganzes fleisch

und nackte seele nackter geist und

glut und kälte aller sinne sind

 

persona personare personare persona

 

. . .

 

 

die tugenden sind aber nicht vorhanden

sind keine elemente

sie sind zu erringen aus uns selbst

aus der lust und dem schmerz

aus der freiheit jenseits des paradieses

der gedanke und das handwerk der ethik

 

der gedanke und das handwerk der ethik

 

und mitten im gedicht fällt mir ein

das menschengehirn ist nichts

als chronik qual und motor aus unwohlsein

 

da fällt es schwer an jenes nackte tier zu glauben

das die menschheit wurde und geistesblut

aus angst aus wut aus neid aus hinterhalt

ein saugendes schändliches tier aus verlangen

und dauernder gewalt inmitten seiner

unaufhörlichen gedankenwunde

 

sieg und satan und sage und seitan

globus glaube gugelhupf

 

doch zwischen eden und ende kein buchstabe zuviel

 

. . .

 

wir sollten also klänge hören

beim lesen von gedichten

persona personare sie erinnern sich

wir sollten symphonien hören

ludwig van und franz und robert

gustav jean sergej und dmitri

sappho sarah billie diamanda

namen der noten der geisteskraft und der vision

wir sollten flügel rauschen hören

über steinwegen steinplaneten

 

den steinway aus obsidian

über der trinität über dem trinitit

 

heilig und strahlend allemal und licht und stein

vom äussersten des äusseren

sphärische harmonien untemperierte allemal

fürs unwohlsein der menschlichen gehirne

o grosser singsang aller kreatur

 

doch zwischen eden und ende kein buchstabe zuviel

 

 

 

anstimmen anstimmen

ich bitte sehr darum

was ist denn ein gedicht ohne den götterklang

was will schon ein gesang wie meiner

wenn nicht die symphonie der welten sein

die unendliche

ein adagio jenseits der moleküle

ein finale jenseits des nichts

 

symphonie die dämmernd verfällt

den rhythmen des kosmischen schwanengesangs

 

. . .

 

ich danke sehr nein danke

ich wollte meinerseits niemals geboren sein

ohne akkorde und vokabeln

ohne den keim des fiebers und der heiligkeit

ein stilles auge ein tierloses tier ist mir zuwenig

zwischen ohr und hund

os oris canis canis cannabis kabale kabbalistik

oder zwischen orkus und ozean

 

auch wenn alles ersonnene sinnhafte freskenfinstere

nur überwindung war und wahn ekstase echo

rausch verzerrung schützengraben schrebergarten

überwindung einer gottheit phrenetisch metastatisch

überwindung der gottheit von aussen

und jenseits des äussersten aussen

deine bluthaftende haut zellinnen zellinnen

 

es müsste schon ein engel sein

glühend und sphärisch wie ein komet

aus trinitit und trinität

und nicht ein übler dummkopf

der mir zeitgenössisch sagt hör uff

hör uff mit dem jeheule

was solln sinistre prophetien

schnauze ick will blöde sterben

 

nein nein ich bitte sehr darum

denken anstatt klagen

denken anstatt klagen und dies inmitten des infernos

es soll die not sich wenden

in der mitte des gedankens deines mundes

deiner galaktischen gliaglitzernden leere

schwarzes hirn der atemlosen hoffnung

 

 

 

 

denn sengendes leben ist überall

sengendes leben und feige und abhold dem tod

dessen reines feuer es doch war und bleibt

und asche von jeher

planetenstaub urwirbelnd aus eisigen feuern

und abgekehrt verrückt versengt chaotisch

wahnsinnig von jener freiheit

die der gefangenschaft des paradieses folgte

und ihr vollkommen entkam

 

und sengendes leben ist wahnsinn

inmitten der stille deines auges

das die gegenwart ist

dein unumkehrbares jetzt

 

. . .

 

dichten aber heisst gegenwarten

gegen warten gegen warten

vertikales gedicht

ein stachel des lebens lang genug

ins vakuum des todes einzudringen

 

und wir und wir und wir erinnern uns

erinnern uns erinnern uns unwiederholbar

allein durch wiederholung

wir sind unwiederholbare wiederholungen

 

doch zwischen eden und ende kein buchstabe zuviel

 

und lied und leid sind eine silbe der vollkommenheit

und arche und rache sind es auch

 

. . .

 

dann leiser und leiser jener orkan

ein sphärisches gebell zwischen ohr und hund

ein orkus überm ozean

und mittendrin dein stilles auge wie gesagt

und staub der erste stoff der letzte

die ganze philosophie deines gehirns

phantome aus traum und dreck und geld und kot

 

. . .

 

im anfang war niemand war unerhörtes

 

. . .

 

 

 

im ende war jeder war unhörbares überall

und jeder sprach vergehe vergehe vergehe

denn im ende war alles wort war aller grund

war ausser allem wort und allem grund

nur streuung panische ruhe aus neuron und nichts

schwindendes echo

 

ein letzter schmerz allgross

 

und dann erschöpfte einsamkeit

 

der tod als rezidiv

 

. . .

 

 

 

V. - VI.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

versus - welle der finsternis

 

 

 

du zögertest zögertest in der dämmerung

als sich vor dir das grosse tor der angst erhob

und war vom schatten des alls erbaut

 

abfiel von dir die hülle deines namens

zerfiel in der umkehr des uralten traums

nackt trat aus dir die zitternde gestalt

und trat vor die schwelle des tors

war glimmendes eis und verbarg

ihr antlitz wie ein einziges weisses auge

von jeher der finstertnis gegenüber

die der schemen des unendlichen war

 

grausames begehren von ausserhalb

nach innen gesogen nach innen

dein atemwirbel meerestief

der staubsäulen aufwarf wie vokabeln

der vollendeten endlichkeit

 

es war die stille aus ungeheuerem raum

vollkommenes erstes anwesen

und war die geburt des nichts

ein anwesen das dich rief und rief

du aber zögertest und zögertest

einmalig in der tagundnachtgleiche

 

das tor aber wuchs und wuchs

jenseits aller namen ins unsäglich offene

und mit ihm wuchs zitternd

deine nackte gestalt empor

und die welle der finsternis rollte

 

rollte über das unermessliche hinaus

den lichttod den sternentod einzunehmen

das schluchzen deiner seele von einst

zu überwölben die kataklysmen aus staub

 

und die welle der finsternis zögerte nicht

sie zögerte nicht

in der enthüllung deines abwesens

in der verbergung jener scham

deines unendlichen verschwindens

 

 

 

VI.2o16 scardanelli

 

der wille von aussen

 

 

 

war denn verbergung

wie ein engelsschleier galaktisch

und weltabhanden

 

und wann denn gnade

die ein jemals hält

nah deiner staubgestalt

 

war denn erbarmen

vom todesmund im todesmund

fern der gewalt ins offene

vollkommen in die leere

 

war denn notwendigkeit

für deine kraft für deine schwere

unendlich in der rücknahme

von jener hand die deine war

 

. . .

 

höre ins reine schreib ins verweste

unverwandt und rar

stimm an was dich von jeher sah

die finsternis jenseits des lichts

 

wahre die erste geste

in der ganzen bergung deines nichts

 

 

 

VII.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

kleider

 

 

 

wir verfielen früh

verfielen vor unseren kleidern

im dunkel der schränke aufgehängt

 

und unser leben war ein fremdes

einziges erwachen im tod

der der vollkommen andere war

 

und wir wie inseln im nichtsein

inseln aus denen ahnungen

atemzüge der nacht emporstiegen

 

gebet und gedanke aus der tiefsee des todes

wie schneewirbel inmitten des sommers

und fernste schleier der himmelsstrassen

wir aber verfielen

 

verfielen früh

während lautlos im dunkel der schränke

unsere kleider hingen und reglos

in der menschenleere

als warteten sie auf unsere rückkehr

 

hülle und gestalt des verschwindens

und wir überwältigt zuvor

überwältigt zu lebzeiten von hoffnung

 

archipele ausserirdisch und schön

allumhangen in der steigenden flut

jener unvordenklichen meere

 

und wir unumkehrbare

unbekleidet inmitten des nichts

schemen des alls fetzen aus schrei und blut

an den erlöschenden sternen aufgehängt

 

. . .

 

 

 

VII.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

der garten

 

 

 

kaum reicht meine hand hin

die weisse der seite zu füllen

die einzige

mit dem unendlichen alphabet

mit dem sterbensleib

der der ganze gedanke ist

einmal zu sein

 

kaum reichte mein leben hin

zu lieben jenen nebel jenen leib

denn liebe war immerzu das andere auge

das unendlich sah

 

doch niemand konnte mehr sein

als er je war im angesicht des anderen

 

. . .

 

was aber ist der garten

 

die hummeln im lavendel

die falter im rosmarin

der kirschbaum voller früchte

alles schiesst ins kraut auf seine art

lebt bebt und vergeht

 

ich finde mich damit ab

dass welt mich nicht mehr interessiert

katzen umschmeicheln mich stumm

die mücken wollen mein blut

ich habe zu lange gefleht

 

unter dem fuss des walnussbaums

will ich begraben sein

um anzustimmen das reich der bäume

und himmelskreisender vögel

um zu dichten was die gestorbenen

nicht mehr zu dichten imstande sind

was mir menschheit zur lebzeit verschwieg

 

und dass vielleicht schönheit und dank

und freude heranreichten

an das nichts aller tode

 

 

 

 

begraben will ich werden

wenn die farben am schönsten sind

und atem wie kosmischer jubel

jenseits der tage dunkelnden mundes

inmitten des paradieses

 

und einmal von jeher befreit

von allem menschengedenken

 

 

 

VII.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

früchte

                                                                         die worte sammeln sich

                                                                         auf dem gedankenfeld

                                                                         und niemals umgekehrt

die worte aber fügen sich ein

leuchtend wie seltene früchte

und scheinen auf im dickicht

der gedanken

 

mühsame ernte allemal

inmitten des mystischen halls

inmitten der jenseitsepistel

 

schwarze johannisbeeren

sind meine gedichte

abglanz vom samt der silberdistel

ein bitterstoff der seele

das en-sof meiner kabbala

am wundrand aus gedächtnis und schnee

 

dunkelnder saft blutbeere der vokabel

zeitlebens geronnen

raumgewonnen

dorn und nabel

mein tod

 

 

 

VI.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nachmittag eines fauns

 

 

 

alleinsein das ist einfach schauen und

es dabei bewenden lassen

alleinsein ist ein zustand der enttäuschung

wir denken unaufhörlich an andere leben

an orte von freunden und wollen

dass sie in erscheinung treten

 

aber nichts rührt sich

in der fermate aus gewohnheit und bedauern

in diesem matten mürrischen triumph

etwas lässt uns abdanken etwas tut uns leid

alleinsein ist ein aufenthalt am tisch

 

altes laster aus vagheit rache verschonung

ungehaltene dialoge unbewegliches ich

harmlose larve die sich unbehaglich denkt

die sich in stummheit selbst verliert

im vorwurf von abwesendem

in müdem überdruss aus eigensinn

 

flüchtig schweres und bedeutungsloses

verschafft sich platz wie schlaf

der sich dem schlaf verweigert

und nahe welten sanfter geräusche

isolierte rufe wirre töne menschheitsraunen

umhüllen das alleinsein

meditationen einer amsel im staub

drinnen der tisch draussen dämmernde dächer

 

ach gleichgültige mechanik des lebens

die uns beleidigt uns nicht beachtet

alleinsein ist ein zustand der enttäuschung

alleinsein heisst tee zu trinken

unter ausschluss des universums

 

im grunde eine angenehme zeit

 

 

 

VIII.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

wahnwesen

 

 

 

tod ist nicht der äusserste gedanke

tod ist abschied vom äussersten gedanken

 

um nimmermehr zu hören

jenen eigenen fremden letzten ruf

 

war eine silbe noch

war denn ein raum

 

zwischen blut und engel

leergefühlter staubkristall

 

gütig und klug wollt ich gewesen sein

spurlos im steingeschmeiss

am saum des letzten meeres

am hohen rand des schnees

hautentkleidet vom schweigen der nacht

die nur das unvollendete will und birgt

sinnerfüllt vom erdenrausch uralter liebe

die dennoch der lichtwunde erliegt

 

wenn aufsteigt jetzt das grausame

brechende schmerzgeschwulst

über der stimmhöhle markweich stumm

und ins unendlich blutlose wächst

 

werde ich selbst es sein

der mich allein geleitet

in die einmalige allsekunde

sternenlidgeschlossen dem gedankengott

den eigenen gottesleib zu opfern

hingeworfen unsäglich dem nichts

jenseits der äussersten finsternis

 

staubkristall leergefühlter

zwischen engel und blut

war denn ein raum war eine silbe noch

um nimmermehr zu hören

jenen letzten fremden eigenen ruf

 

 

 

VIII.2o16 scardanelli

 

 

 

 

wahnwesen II

 

 

 

Und kommen muß zum heilgen Ort das Wilde

Von Enden fern, und blindbetastend übt den Wahn

Am Göttlichen und trift daran ein Schiksaal.

                                                  ( Hölderlin )

 

ichumwürgter

sternausgeschlossener wortleib

gedankenentstirnt

steinlichternd ins brandfinstere

darüber spurlos erahnt dein nichts

 

unabweisbar unsäglichkeitshohl

die augenhöhle des alls

jenseitsschlieren noch

blindumwürgt

wie weisses blutfadiges quallenwütiges

im sog himmelsenthäutet nach aussen

 

ichgestillt zeitentatmet

hinter der sternenfurcht

gottesnarbenlichtjahre

hinter der schuldiggesprochenen weltstunde

wahnraumerwartet

steigt die schwarzsonnengefrörnis

aus deinem nach innen geröchelten rest

todesrest metastasensilbig

 

von jeher und immerzu

erbrichst du die stumme riesige

zystische splittergalaxie

dein nach aussen gestülptes magmaherz

mitgerissen vom unaufhörlichkeitsnichts

 

entleerte stille irgendwann

nirgendwo nirgendwann

staublos spurlos

entlöst

 

 

 

VIII.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

der fluch

 

 

 

alles wird dem menschen zur verlockung

zum verlangen und reizt sein ganzes blut

auch das letzte übel aller übel

entkommt seinen sinnen nicht

 

unaufhörliche verlockung

unaufhörliches verlangen

geopfert und geschuldet

dem äussersten gott eines schweigens

dem unersättlichen hunger der silbe tod

 

ein malwerk innerster zerstörung

spaltet zelle und atom

zertrümmert alle augenblicke

entfacht die lust des mordes

die tränen der liebe den schrei aller geburt

 

. . .

 

etwas sagt mir

wir werden dafür bezahlen

für jeden atemzug dem himmel geraubt

für jedes machwerk der erde entrissen

für jedes erschlagene insekt

für jedes verratene element

für jede gedemütigte seele die verglühte

im wahn ihres kosmischen lichts

 

es rollt es schlingt ein zeitenstrom

das blutgeld der jahrtausende

und mündet in die finsternis

jenseits der schwerkraft

wo umhüllt von den schimären furcht gewalt

sich ein titan erhebt

jenseits des gedankens jenseits des raums

 

unvordenklich unbesiegbar

der titan des nichts

 

 

 

IX.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

triptychon eines glücklichen tages

 

 

 

I

die verschliessung

 

 

 

blutend mit der wunde am fuss

betrat ich den raum des toten

und stand vor seinem antlitz

 

ein schweigen höhnisch fast

in der verweigerung des leibes

ballte reglos die luft

als die erste sekunde der ewigkeit verrann

 

in der leere des raums dämmerte ein dämon

der forderte mein geständnis

der wies mein ganzes leben zurück

wie einen blinden ausserirdischen traum

 

unsägliches ersticken drängte mich zur umkehr

da sah ich das blut am boden

rubine wie dunkelnde augen des jenseits

böse glänzend wie ein vorwurf des mordes

 

was aber liess mich unweigerlich denken

dies sei nie mein blut gewesen

sondern von jeher das blut des toten

 

und ich die ungeheure fülle seiner abwesenheit

die sich von nun an immerzu

in mir vollendete

 

. . .

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II

geographische lieder

 

 

 

die erde sagt adieu

trauriges ende nach soviel todesträumen

soviel schimären der angst

ziehn sich die elemente zurück

die ausgerissne flora

es schliesst sich das auge des ratlosen tiers

die menschheit winkt zum abschied

 

also raus aus dem all

raus aus allem gedankenleben

die menschheit hat es nicht geschafft

 

o schöne metastasenwelt

o blindes vergnügen o feste aller gärten

wer heute nicht an krebs stirbt ist ein verräter

o herzkrepierer mensch

ein wahn ein trieb inmitten des rasenden nichts

 

was fiel uns noch ein

ausser maschinen morden goldenen götzen

was hinterliessen wir auf dem weg allen fleisches

 

flecken flecken flecken

wir hinterliessen flecken

überall wo wir waren

hinterliessen wir flecken

wie ansichten der einzigen zeit

 

später als wir die erde verlassen hatten

und versunken in ihr unsere welten

und landkarten der worte

da konnte man sie immer noch sehen

die flecken

 

die flecken und ferner und ferner

und waren nie etwas anderes gewesen

als unsere vollkommene leere

 

. . .

 

 

 

 

 

 

 

III

diesseits der finsternis

 

 

 

sage nicht tod sage vollendung

 

das ist womöglich zu einfach

und dennoch will ich es einmal fordern

 

es finde ein jeder mit seiner stimme

mit seiner vokabel mit seiner hand

das angebot der liebe

die uralten dinge der erde

das geheimnis des gedankens

die güte und den klang

es finde ein jeder den tod des anderen

und seinen eigenen tod

 

dies könnte doch

jener unaufhörliche auftrag sein

der die schönheit und

die form der endlichkeit bewahrte

die von jeher das unsagbare verwandelt

weltausserhalb

 

weltausserhalb und dennoch

diesseits der äussersten finsternis

am anfang am ende eines glücklichen tages

sage nicht tod sage vollendung

 

 

 

VIII.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

das geständnis

                                                             das grosse gejammer war immer

                                                            das gejammer des zu recht verurteilten

 

bankrott bankrott bankrott

das ist das wort das mich am besten

ganz und gar beschreibt

 

wäre ich mensch genug gewesen

hätte auch ich einen auftrag erfüllt

und alle vergangenheit der welt

meiner zukunft zugeschrieben

selbst ein mörder kämpft um sein gefühl

um seine sichtung der verwirkten zeit

 

ich aber bin bankrott

bankrott wie der totale entzug allen alls

ich vermag nicht einmal mehr zu sagen

was denken soll und ist

ich konnte überhaupt nie denken

und dichtung wie die meine

konnte niemandem behagen

kein trost kein einvernehmen kein lob

und niemals innige zurkenntnisnahme

 

der traum eines lächerlichen menschen

ja das ist es wohl

das muss man ablehnen das ist zuviel

das kann niemandem behagen

verbrauchte eschatologie gezüchteter autismus

kindische furcht und nachgelogene platituden

ich hatte keinen auftrag keinen stil kein wissen

ich war bankrott und bin es heute mehr denn je

 

bankrott das ist eine hässliche leere

jenseits aller grosszügigkeit aller empathie

saat aus dummheit und erschöpfung

die schande des glücklosen scheiterns

 

o schönes wahres lachen der menschen

o unverstellte freie heiterkeit

o kluges mutiges leben in der nähe

in der ferne der anderen

in der nähe und ferne alles anderen

 

ich aber bin das nie mehr angenehme

herz aus hass in einem hässlichen raum

den habe ich selbst heruntergemacht

dort berührt mich niemand

dort berührt mich nichts

 

blütenschöne erde aber ertrug mich nur

weil sie mich niemals kannte

weil sie mein wesen mein sinnloses lob nicht braucht

auch die elemente verschonen mich nur

weil ich ihnen nichts anhaben kann

ich gehöre nicht in ihr geheimnis

auch wenn ich teilhabe und teilnahme heuchelte

 

meine worte verschwinden in lautloser luft

ich halte die hand in den fluss

der teilnahmslos mir entgleitet in kosmischer kühle

ich schüre ein kleines feuer o zitterndes licht

am rand irgendeines fleckchens erde

wo niemand hörte die abfällige stimme meines hirns

und läse mein tagwerk aus tränen und asche

 

bankrott das heisst nicht wissen was liebe war

wie lieben ging und logos und eros hymnisch vereint

ich faselte predigte fluchte irgendwas dunkles daher

ich trotzte ich rotzte weil ich nichts zu sagen hatte

ein manischer subalterner demiurg

angewidert von den bluffs meiner schaustellerei

bankrott das heisst kläglichen neid zu tarnen

mit pathos tod und bitternis

jenen neid auf geisteskraft und selbstverständlickeit

bankrott heisst kröte sagen wenn man goethe meint

 

ich verriet sogar den eigenen namen

ich löschte ihn aus

wie feigheit eines fiktiven mörders

den helden den gott auslöscht in hysterischem traum

und als ich noch mein eigener name war

stieg ich von gipfel zu gipfel

ich jubelte forderte und beglückte

 

aber ein ich zu besitzen schien mir ein frevel

mein ich zu vernichten aber war hybris

und war das ganze verbrechen

und selbst der schmerz

dieser einzige kosmische keim

zog sich von mir zurück

noch hinter meine kleingeschriebene silbe tod

 

was für eine scham was für ein hohn für eine kälte

was für eine stummheit jetzt

denn bankrott ist nichts als stummheit

und menschen kümmerten sich um mich

um mich der sich nie kümmerte

was für ein wesen bin ich geworden

ich will es deuten in folgendem bild

 

ich nahm mir grundlos irgendeine büchse

öffnete sie in blinder gier

ich löffelte manisch etwas ekelhaftes formloses aus

und dieses geräusch dieses geschepper eines löffels

war mein ganzes leben mein zeitwerk

mein ekel meine dauernde gier

da unten also kreiste ich

da unten kreise ich

 

und einmal umschlich wie krankeit des alters

ein katzenähnliches tier das hohle blech

meiner gewohnheit und verschwand

wie ein schemen meines entseelten lebens

da unten also kreiste ich

da unten kreise ich

 

die menschen sind immer noch höflich

sie wenden sich ab von mir

mit vornehmer geste mit rechtem willen

zur rechten zeit

denn ich erfülle sie nicht

denn ich erfüllte sie nie

ich erfülle mich nicht

erfüllte mich nie

 

ich kreise und kreise da unten

und kann nicht verschwinden

ich kann nicht verschwinden

solange mich noch

diese eine unendliche maske der angst

vor jenem urteil bewahrt

welches das unsägliche eröffnet

 

 

 

IX.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

begegnung mit der spinne

                                               für philippe jaccottet

 

 

reglos schweigsam im schutz der gewohnten wand

lausche ich und lausche

auf dass ein gedanke in erscheinung träte

zitternd tastend wie metamorphosen jenes lichts

das den blendungen der gegenwart widersteht

den furien der niedertracht

dem wind der alles schöne zerfetzt

 

lausche ich und lausche auf dass sich bewahrheite

die stille struktur der dinge unter dem himmelsatem

den involutionen meiner herzinsel

zyklisch durchströmt von bluttrommelrhythmen

hautumspannt mein einziger leib

mein erster einmaliger kontinent

 

genügsam bin ich geworden

und webe mein wortnetz in die leere

die mich immer gewähren liess

die mich kleidete mit den silberstreifen der nacht

leere die meinen leib nie verriet

die vorsicht meiner blindertasteten stimme

 

einmal dankte ich jemandem den ich nicht kannte

dankte ihm für sein werk der blüte und weisheit

dankte also jenem anderen der mich nicht kannte

der mir dennoch schrieb aus grignan

aus den feldern voll lavendel und alter und tod

wir entzifferten uns und ich sah dem verschwinden

der schneesilben zu und der botschaft einer

vielgliedrigen hand die auskunft gab über die wärme

über die kälte und jene verwobenen silben

die das unvordenkliche streiften

wir hörten also einmal voneinander

in der weltsekunde des gedichts

ein jeder am rand seiner zeit mit den seidenlinien

vom geheimnis der erde vom raum ihrer geduld

von der sternenblüte die im unsäglichen blüht

 

aus diesem erinnern kehr ich zurück

reglos und schweigsam

genügsam geworden im schutz der gewohnten wand

und erkenne mit einemmal

die spinne vor meinem fenster tut es mir gleich

und mehr noch

 

 

 

ich bin diese spinne und sie ist mein gedanke

mein silbennetz wie dünnstes glas

zwischen nichts und nichts gepresst

wo sich göttliche geometrie entspinnt

die splitterte und übrigbliebe dann allein

ein rad aus feinsten rissen

und mehr noch

die spinne ist es von der ich dieses gedicht habe

metamorphose im schutz der gewohnten wand

 

und reglos und schweigsam

zögernd in der finsternis aus unermesslichem

nehmen wir beide wieder den faden auf

 

 

 

IX.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

überlegungen am fluss lethe

 

 

 

I

blutrot die welle der gegenwart

 

diese welt und ihre polis zu bekehren

wäre ein falsches versprechen

 

niemand hat die menschheit zu bekehren

 

deine inneren vokabeln zu bekehren

soll dein ganzes handwerk sein

zu öffnen die welle des raums

die ethik vom unendlichen gedanken

 

und ist nicht der verrat der eigenen stimme

das erste und einzige übel

und ist nicht jenes heile dich selbst

die erste und einzige erkenntnis

 

daran zu scheitern war genug

 

das heilige ist aber auch das neutrale

das wedernoch oder die ahnung eines sterns

der leuchtete unsichtbar im hellen licht

des tages

 

und namlos und sanft dein leib

am ufer der lethe

wie ein auftrag von drüben von der todesruhe

ist das heilige die ordnung und hülle

die enthüllung unvordenklicher harmonie

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II

wieder und wieder befiel mich

ein schemen des nichts

 

die ungeheure schwäche der sinnlosen kreatur

 

ohne demut ohne gnade

überkommt mich der wahnsinn

und ist allmächtig von jeher

 

ich aber war wieder jener uralte dünne ton

skeleton

inmitten der unendlichkeit des todes

und tonloser zuletzt ein fetzen atem

ein faden blut

zeitentrissen unweigerlich

 

und zugesprochen wieder und wieder

dem unfassbaren saum des nichts

 

 

III

einmalig und unwiederholbar

verbraucht sich die freude am leben

 

stumm hinunter von spleen zu spleen

steige ich in den uralten mund der nacht

 

die quellen der liebe verrinnen

nichts hält

 

ein verrat aus dem raum

schlägt mir den atem ins gesicht

fernes heilloses licht

die kurze glut der welt

 

als wollte wie erhellt und abermals

etwas von vorn beginnen

 

doch das bin nicht mehr ich

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

IV

ich suche eine landschaft

die dem tod entspricht

 

schwarzlicht gedicht

 

was erleuchtete dein dunkelfeld

 

wahnahnend klafft im widerspruch

von todeswort und lebensort

der von jeher unendliche bruch

 

und dennoch

jenseits aller vokabel

dieses strahlen mit einemmal

diese gelassenheit der schöpfung

 

ein sonntag des begeisterten seins

die ganze offenbarung dieses sterns

die selbstverständlichkeit des wunders

 

. . .

 

ich finde eine landschaft

die dem tod entspricht

 

 

 

IX.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

fragment über die blume

                                                        dichten heisst zukunft heilen

 

 

blume

deren höchste eröffnung

immer in das wunder der blüte mündet

 

die blume ist reine erscheinung die

auch wenn sie nur für eine nacht erstrahlte

jene stille jenes licht jene farbe

jenes angebot der heilung entäussert

auf dass ihre vielfalt sich verwandelte

in deinen gedanken

von der unendlichkeit des geschöpften raumes

 

von jenen dingen der erde also

die wie geheime zeichen

eines anderen empfindens sind

ganz jenseits von blut und geburt

von besessenheit grausamkeit und verlangen

von jener kreatur also die wir sind

zwischen schrei und nichts

 

sich verwandelte in deinen gedanken

vom innehalten der zeit

die im angesicht der blume nichts als

eine zärtliche neigung eine grazile geduld ist

botschafterin einer ewigkeit des augenblicks

 

in der annahme der blume ahnen

und erkennen wir ein gedächtnis der farbe

von frühester frühe vom anbeginn

einer beruhigung vom ursprung des schönen

einen blühenden schemen von jenem

traumbild eines ersten gartens

wie umschlossen von der unaufhörlichkeit

unserer sinne

 

jedenfalls war die blume niemals betroffen

von jener erkenntnis von jenem baum

von jener frucht des lebens und des todes

die uns für immer des paradieses verwiesen

 

auch ist die blume eine entgegnung des sonnenlichts

sie ist ein licht was uns irdischen angehört

und nicht der glut der gestirne

 

 

 

 

ihre stille ihr fast unsichtbares wachsen

ihre zyklische wiederkehr

ihr todabweisender schein den sie innen trägt

ihr wille zur entfaltung dessen

was wir als schönheit farbe freude form

oder beruhigung anschauen und empfangen

sind womöglich deshalb so eindringlich

weil die blume fern unserer körper und seelen

das angebot von der abwesenheit des todes

entblättert und verströmt

 

flaum und aura duft und medizin

einer beruhigung der rohen kosmischen erde

die abwesenheit des todes also und jenes fiebers

das immer unsere lust und unser leid

unser wurf und unsere verworfenheit war

 

ihr blütenstaub gestaltet öffnet vermehrt

und überträgt wie menschliche vokabeln

im buch geeint unsere geistesfrucht

gestalten öffnen vermehren und übertragen

 

die blume stellt sich dar entblösst entwirft

entfaltet sich in willenlosem wedernoch

in der botschaft vom wesen ohne tod

vom metamorphischen material der elemente

von der farbe als pure gabe und empfängnis

vom stummen gesang der luft

 

blume

schatten und saft und flamme und nervatur

neben der dichte des steins

neben den göttlichen flügeln des grüns

neben dem unsterblichen lächeln der quellen

die unseren durst nach vollkommenheit stillen

 

wir bedauern das verschwinden der blume

wie ein bildnis vom abgang unserer herzen

bedauern das verschwinden dieses fächers

unserer sinne dieser duldenden dauer

ausserhalb aller schmerzen und aller angst

 

wir besingen ihre wiederkehr

die unsere gedankenzeit illuminiert

und erinnert und überdauert

deren höchste eröffnung

immer in das wunder der blüte mündet

 

 

 

X.2o16 scardanelli

stammbaum

 

 

 

die glatze vom urgrossvater

die kräuterlehre von der urgrossmutter

das gefährdete herz vom grossvater

von der grossmutter den tumor im mund

 

vom vater den predigerton und das aussehen

von der mutter den eigensinn und die angst

das klavierspiel vom bruder

die vier kinder von einer frau

die liebe von einer anderen frau

von der erde eine handvoll gedichte

von der erkenntnis die kraft des göttlichen

 

was aber hab ich von mir

von mir hab ich das ich und die arroganz

von mir hab ich die armut

von mir hab ich meinen tod

und das staunen über die dinge des alls

 

was aber ist jener stammbaum wenn nicht

der gefällte gestürzte verkehrte baumstamm

und jenes ich die fallende fruchtlose frucht

ungeniessbar am boden bereits

und eingerollt die blätter meiner vokabeln

vom wind der weltwut verweht

 

dann endlich die diskretion der pilze

die in aller stille den rest erledigen

 

humus für das nichts

 

 

 

X.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

die dämmerung

 

 

 

hohe fenchelstaude zur welke geneigt

silberstäubend dennoch

vor aufgang des winters

 

seltene farbe die im schweben verharrte

in der dauer der vorfinsternis

verwandelter atem der bliebe

über den traum vom erblühen hinaus

 

zärtliches feuer von woher

fächer im raum der botenstoffe

die fielen wie erinnertes augenlicht

vom strahlen des paradieses herüber

 

dämmerung aus der sich ein gelb löste

dein schemen der seele

als gehörte die poesie keinem schicksal an

 

vokabeln der luft die allem tod entgingen

 

zu ahnen jenen moment

einer gleichmut aus unendlichem

eines ausserhalb der schöpfung

 

dämmerung schimärisch

unsagbar dein wesen

zwischen leere und nichts

 

 

 

X.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

die schwärze

 

 

 

nachts

als wolken grau entflammt

sich öffneten für einen augenblick des alls

 

sah ich den mond wie nie zuvor

heller und heller werdend

als käme alle weisse der sphären

wie ein leuchtender wahn aus ihm

 

erkannte ich ein schattenaquarell

auf der gewölbten lichthaut

ein hund aus den tiefen des raums

ein sanftes tier eingerollt in den schlaf

seiner unendlichkeit

 

es schien diese blendung dieses bildnis

allein für mich zu sein

und ausserhalb von aller zeit wusste ich

 

es würde undeutbar bleiben

für immer

 

 

 

X.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

wie aus windfernen

 

 

 

ein flehen ein dennoch ein etwas

 

als erfüllte mich manchmal ein trost

der da käme wie milde ahnung

aus unsagbar unsäglichem

 

und auch ich würde eingehen

in jene finsternis die so anders wäre

als kalter todesraum

 

und mehr noch in sinkender dämmerung

selbst ein anteil sein und schemen

jener finsternis die zu lebzeiten

meine schöpfung erleuchtete

die die kraft meiner seelen

meiner vokabelspur war

meiner stimme ins

dunkel des tages

 

. . .

 

wie aus windfernen

mein trauminnerster leib

wie altes vertrauen von einst

und die blüten neigten die nacht

als wären farbe und schatten geatmet

und jenes geheimnis meiner angst ginge

von jeher den räumen der lichtjahre voraus

 

o finsternis von stille geschwärzt

ein etwas ein dennoch ein flehen

 

feinstes samenkorn

wie aus windfernen entnommen

 

entkommen

der grausamkeit vollkommener galaxie

 

 

 

XI.2o16 scardanelli

 

 

 

 

 

 

dante erwacht

 

 

 

sind sie gegangen

 

alle

 

sind denn alle gegangen von diesem stern

wie wesen des endes

und endend verwest

 

gegangen sind alle

erlegen dem atem dem atom

der metaphysik von mikroben

den seuchen verratener sprache

 

erloschen die menschheit

gemurmel und raunen von jahrmillionen

verebbt wie wellen von weltwirren

von künstlichen nächten aus seufzern

und neonpupillen

 

erhoben und gestürzt von dichtung und krieg

die dauernden tode aller menschenseelen

dichtung und krieg

diese unaufhörlichen glutgebärenden magnetismen

des ganzen seins im nichts

 

. . .

 

FULL  STOP

 

. . .

 

sie aber

 

die anderen wesen

 

werden noch dasein

zaubrisch und streng wild und ernst

sie werden noch dasein

die fliegenden im nachhinein

und meerüber schneeüber blutüber sinnüber

 

boten der schwebung ruhe und ahnung

einer schwarzhauchenden gottheit

mit erdabgeworfenen mänteln

wolkenschlagende luftleiber vielleicht

 

 

sie werden noch dasein

 

die zugvögel auf steigendem lichtkurs

die unbeirrbaren mit den polargesängen

zu finden den ort aller geburt

den ersten keim der dem nichts vorausging

die quellen jenes grüns vom galaktischen urland

und rettende labsal von jeher

 

hohe grazile vokabeln der himmelsluft

nackte trägerinnen schamanischer zeichen

mystischer sphärenfedern

ein allgerichtetes singen

ein rauschen sirrender finsternisse

liturgien der lichtjahre

über den leeren pyramiden von gizeh

den stummen glocken von rom

dem marmorzersprengten moses

dem säulenstumpf von palmyra

der staubschrift der sandträne

der erstickenssilbe der ersten scherbe von hammadi

über dem letzten buch aus silikon

 

und über deiner haut

entkleidet und dann überdeckt

von fetzen aus runen aus pergament und aus titan

schädelscherben abgebrochen

vom hals der menschheit

vom kitsch aller gespiegelter welten

nanosplitter partikel von mutationen

waffen und asche und schreie verglüht

unter der welle aus kosmischem staub

 

. . .

 

FULL  STOP

 

. . .

 

und warst nicht auch du voller gewalt

und unverstand und mundfäulnissen

und erbarmungslos geistesverwaist

und ohne auftrag in der lauten sklaverei

dauernder gegenwart

 

und unter die schatten verbannt

von maschinenfurien drohnenjagden

niedergerissen von metropolenfiebern

wie nach unten geschichteter gebetsstein

deiner missbrauchten zeit im all

begattend ein mordendes natterngezücht

das ungeheuer des endlichen schönen menschen

oder die rampe einer wannseekonferenz

begattend begötternd den wieder und wieder entflammten

garten aus eden und asche rasse und kreuzesmord

o ungestillte hungerträume

brotfossilien bakterienphiolen

o goldene masken des todes überall

und blendung und verlangen deiner angst

nach den foltern blutströmender leiber

den grausamen narbensälen nervenkatakomben

unsterblichkeitschimären

kosmischen fötenbränden strahlensystemisch

den stummen embryonenfluten

entlang den nabelschläuchen den knotennetzen

einer irrgeschrieenen entzündungsendlichkeit

 

kot und knochen und raumschiffe astraler opferaltäre

kadaver der gedanken elliptischer müll

wie träume deines verwesten schweigens

zum grund von ozeanen gesunken

aas und frass für anemonenheere

monster und monstranz seltenster erden

 

. . .

 

FULL  STOP

 

. . .

 

sind sie gegangen

 

alle

 

sind denn alle gegangen von diesem stern

wie wesen des endes

und endend verwest

 

was aber hiesse es denn

einen menschen zu finden

der vernähme wie urvergangenes

wie tonarchaisches

wie universen von tränensymphonien

wie ahnende vor allen sonnen entfaltete

urnacht urnacht urnacht

 

vernähme noch die botschaft der blüte im raum

den ersten einmaligen gesang

vom jenseitsvertrauen der zeigerlosen zeit

vom herzmagma jenseits des keils und der schrift

den keim der elemente

und samen aller tode

das urteil der farbe aus sich selbst

den thron des ungedachten galaktischen neurons

 

und er

wie die zugvögel auf steigendem lichtkurs

verwandelnd das brandende stöhnen der ganzen welt

das wahnsinnige requiem der sterne

schon ausserhalb der verfinsterung aller sprachen

verwandelnd

 

ZU  WAS  ZU  WAS  ZU  WAS

 

. . .

 

. . .

 

und kehrte noch einmal zurück

wortvoraus allvoraus flügelvoraus

mit jenem ersten gedanken

es könnte der baum noch dasein

ungeheuer und wurzelnd noch immer im nichts

 

der baum inmitten der leere des paradieses

 

es könnten noch dasein

kerne vom leben vom tod

und botenstoffe blumendüfte

geheime rinnsale allerfrischende

von der unendlichkeit zuinnerst

edenelegisch und unverlassen

 

und brächte mit göttlichen gesten

brächte heim nach jahrmillionen

nach einer sekunde eines je gelebten lebens

die ewigkeitsfrucht äusserster erkenntnis

innersten mutes

wie eine unvordenkliche silbe der schöpfung

und heilung öffnete ins unzerstörbare

die bejahung der wandlosen nacht

 

. . .

 

FULL  STOP

 

. . .

 

denn

erblindet am glutstaub der kometenwirbel

an fernstem eis von feuergedanken entzündet

schützte ihn mit atemflügeln

 

getragen allein von todinnerstem tod

von ahnungsakkorden raumhin traumhin

allkühlend allemal

 

es schützte ihn

 

DER  WINDFÄCHER  DES  HEILIGEN  WORTES

 

und zarteste blumen der milchstrassen

wie sanfteste wälder von mauersteinkraut

schweigend mit sternweissen blütenkronen

arabidopsis halleri

heilten giftwandelnd und heiterwiegend

heilten aller sterbenszungen metallischen mord

 

. . .

 

was hiesse es also

zu finden einen solchen menschen

 

oder anders gefragt

wer würde es wagen in diesem äussersten sinn

in diesem strom jenseits der endlichen

sonnenwunde und zweifelnder geste

einer hand aus fleisch und wut

einer von antwort detonierten moderne

jenes heilige jene träne des unaufhörlichen auges

abzutun

 

abzutun als blossen göttlichen spleen

zu höhnen wiederum mit dem sterbensgelächter

dem fratzengrinsen dem ichgeheul

zu höhnen jenem windfächer des wortes

jenem eisvulkan jenem meeresschnee einer vokabel

meerüber schneeüber blutüber sinnüber

 

. . .

 

FULL  STOP

 

. . .

 

oder wäre auch jener mensch

den zu finden einer sich vorstellte

wäre also auch er

wieder nichts als ein stürzender engel

von zu weit von zu nahe gekommen

ins irrgestöber entäussert und erinnert

hoffnungschimärisch

 

 

ein kreisender stotternder wahngott

der zuhielte im rausch fremdester schemen

wie enthäutet und ohne organe gehöhlt

 

zuhielte

auf die wundkruste dieses sterns

auf das niemals und das immerzueinmal seiner selbst

 

und für immer entsagt

mit der noch niemals gerufenen

zu niemandes dasein berufenen formel

 

LIEBE  LIEBE  LIEBE

 

. . .

 

FULL  STOP

 

. . .

 

. . .

 

und zerschellte namlos als ein letzter

ein letzter ein letzter ungeboren

wie tonloses lachen eines rasenden rachens

ungeboren von jeher und unentzifferbar

 

zerschellte als ein erster ein letzter

unerhört an seinem nichts

 

 

 

I. 2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

celan

                                                                         zu singen jenen einen schrei

 

 

mir träumte ich rettete einen menschen

hinab und abgestossen von sich selbst

schwarzströmend randüber

pont mirabeau

zum ausgelöschten hin

 

er trug schon die asche im namen

die asche und die amsel

antschel antschel

trank aus dem klagekristall nachthebräisch

trank das absolut böse hinunter

 

mordsein und zeitgewalt würgten ihn

wie äussersten wahn

die mundmeute riss immerzu

an seinem gehäuteten stern

die hundmeute deutschhündisch

 

er trank magmablut aus seinem feuerspalt

sich zu fügen dem wundmesser der seele

schneeweisse diodenschläfe

wo alles jenseits sich aufbäumt

wo stummgewürgt die geschichte

die ganze menschheit verlässt

 

er stiess sich hinab stiess sich ab

vom steinscheitel der brücke

wurde sein leib ein rohes weltennichts

brutal genug sich zu ertränken

ein mythopath ein orphisches gegentier

das warst du also auch

 

was blieb war hoher bukowinischer gesang

schmale gebetsgerippe steindicht

heilig und unerhört wuchs engelsgross

ein weisses blatt und blühte seltsam

und war der rücken seines todes

 

leuchtend gewölbt über den fluss

leuchtend unentwegt

dem unentwegt unsäglichen

 

mir träumte ich rettete einen menschen

zu singen jenen einen schrei

 

 

I.2o17 scardanelli

anrufung des dichters

                                                                       kein gott ist gross

 

 

hölderlin nach 18o jahren

singen sie mehr denn je

die hymnen vom mord

 

entfesselt ist der weltdämon

der bürgerkrieg der welt

die bestie der nationen

die rasse geld und hunger frisst

 

hölderlin

es rollt etwas grosses dunkles

auf diese menschheit zu

die kehlen dürsten umsonst

nach heiligen quellen

die bettlerschalen sind leer

kein strom geht mehr im trockenen

 

hölderlin

es wächst ins ungeheure die gefahr

die unaufhörliche begierde

es schwindet unter foltern feuern fluten

das rettende auch

und schuldlos getränkt sind die klippen

von kaltem gedankenblut

vom berstenden golem geschichte

 

hölderlin

was aber sollen wir

uns selbst als ebenbild gottes

aus dem tod zu ziehen

ist es das was wir sollen

sind wir es selbst oder etwas am leben

das uns von jeher zugrunde richtet

 

was für ein geistesgift überall

weltlos beginnt erst schrieb orsolya kalasz

 

dennoch sing ich meine fetzenhymne

während meine wortspur meine sterbensstimme

im kümmerlichen schnee des morgens verläuft

singe ich unter der geduldigen krone

des walnussbaums inmitten dieser seltsam

geschwärzten welt

inmitten dieses seltsam geschwärzten lebens

 

 

 

dennoch also

hölderlin 18o jahre später

sing ich meine fetzenhymne

 

zerstöre kein gedankenall

der mensch ist auch ein himmelskörper

 

zerstöre kein gedankenall

der mensch ist auch ein himmelskörper

 

ZERSTÖRE KEIN GEDANKENALL

DER MENSCH IST AUCH EIN HIMMELSKÖRPER

 

 

 

II.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

präludium für einen roman

 

 

 

es tröstete aber dennoch

in der weltverheerung

die seltene kreatur sein ganzes denken

 

. . .

 

eines sonntagmorgens

im aufgang des dritten jahrtausends

sass er auf der holzbank vor dem haus aus lehm

als wäre er fünfzig jahre dort gesessen

 

gewohnheit und auslöschung

entstellten ihm gleichsam das herz

und er schaute über die kirchturmspitze

wo anschlug die reglose zeit

schaute zum himmel hinauf

der ihn so seltsam schwächte und etwas

wie lautlose leere erfüllte alles um ihn

 

was er aber vermisste

inmitten der wölbung des raumes

waren die berge am ende der horizonte

jene uralte ruhe der gipfel aus kindheit und schnee

jener traum einer schlafenden jungfrau

jene kraft der schönheit vom sehnsuchtsgrund herauf

die wohl das bild seiner erinnerung

das licht der liebe und die ganze form

seiner vergangenheit gewesen waren

 

und es war ihm

als sei alle beschreibung des lebens dahin

als hätte es jenes weltall nie gegeben

als hätte man ihm über nacht wie ein wahn

die geschichte der menschheit genommen

als fehlte ihm von nun an

ein fundament des unendlichen

 

und nicht einmal

uraltes vertrauen der bäume um ihn

tanne weide kirsche walnuss

hätten ihn zu trösten zu retten vermocht

in der unaufhörlichkeit des jetzt

 

. . .

 

 

 

zögernd stieg die sonne empor

der tag entfaltete ungeklärt ins fassungslose

seine winterkälte

ein vakuum milchiger farben im all

 

ein abgrund unsichtbar und grell

öffnete menschenfern und ohne mitleid

das auge der ihrer freude beraubten schöpfung

 

. . .

 

es tröstete aber dennoch

in der weltverheerung

die seltene kreatur sein ganzes denken

 

als wäre der tod eine nostalgie

und jegliche blume hielte

ihr ewiges versprechen

 

er aber hörte auf zu schreiben

wo immer sein leben begann

 

 

 

II.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

fruchtbares dunkel

 

 

 

noch ein paar sonnentage

können dem tod auch nicht schaden

 

erlaubte sich sterbend

einer zu sagen im spott

 

. . .

 

zu legen sind aber nicht

wurzellos die blumen

auf die gräber der toten

 

sondern vom tod

sollen durchdrungen sein

alle blüten der blumen am morgen

um deine anschauung der erde zu werden

 

denn könnte nicht jedes erwachen

auch ein unendliches sein

 

 

 

II.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

kabbalistik

 

 

 

die rose war glücklich

auch wenn die liebe

manch hässlichen laut gebar

 

schön soll deine rückkehr sein

ist liebend den sterbenden

sterbend den liebenden

zuzuflüstern

 

zweihundertundzwölf ist wahr

2 1 2  ist die anzahl deiner knochen

sie verändert sich nie

 

unendlich genügsam soll sein

dein endliches verlangen

wer wird heute kochen

ich halte es mit den katzen

sie schlafen und tigern entlang

der geweisselten wand

und sind zum streicheln charmant

 

täglich gilt es den ziegelstein zu schleifen

liest du bei julio cortázar

doch täglich ist auch zu pflegen

jene wunderbare faulheit

auf der nämlich erblüht das denken

und gerät zwischen welt und amen

elliptisch ins wanken

 

das ist den seltsamen dichtern zu verdanken

auflachend leise schreibst du es in den wind

 

bin kein gewöhnlicher mystiker

bin  2 1 2  und kreise von oben nach oben

um weise zu sein

wie ein nie geborenes kind

 

die rose war glücklich

 

schön soll deine rückkehr sein

 

 

 

II.2o17 scardanelli

 

 

 

im geistesland der sterne

                                                                    sind gedichte denn von menschen

                                                                    oder doch notate aus dem all

                                                                    durch unsere stimmen hindurch

 

                                                                    zu sprechen bleibt also

                                                                    freiwillig und gleichermassen

                                                                    von der ungeheueren nähe des wunders

 

den tod nahmst du mit

freiwillig und gleichermassen

die silbe des unsagbaren

 

das leben erfährt nur sich selbst

sein wille gehörte nie dir

und gehorcht den wellengängen

 

für jenes symbol jedoch

das du trugst unwillig

das zwingend dich trägt

und verschlossen

über die geheimen flächen der sinne

über die haut der erde

 

für jenes symbol fehlte dir

bis zuletzt jeglicher name

das einmalige götterwort

 

vielleicht warst du deshalb voll eigensinn

und widerspenstig

und es musste so sein

und zerstörte doch das meiste

 

und dies immerzu vor dem geheimnis

deines offenen todes

vor der neigung der blumen

jenseits des blutes

im überall

 

. . .

 

dann tritt hinaus in die winternacht

fall in ihren anderen atem

spür das knirschen des leibes

 

die sterne zeigen dir wer du bist

wer du nie warst

wer du also bist

 

 

 

ein flackernder blick

ein fünkchen fieber von ihrer zeit

eine idee vom augenblick einer idee

vom unaufhörlichen

 

und dahinter

inmitten der dauer aus finsternis

vermutetest du der lichtjahre lautlose linien

vibrierend von jeher

 

von jeher vibrierend

warst du ihr einziges äusserstes echo

du und dein zittern

in der erwartung

 

vollkommener stille

 

 

 

II.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

das werk

 

 

 

sterne seelenatome

zersprengten marmors

im finstersten äusseren

 

erlischen aber die sterne

gehen auch uns die lichter aus

 

also soll kunst

jener apollinische torso sein

oder ne lumpenstatue meinetwegen

ein himmelswortfetzen der drüber geht

 

den unaufhörlichen toten

jenes staunen abzuringen

das sich anhört in steinblindem erblicken

wie durch allen lebensmund bestimmt

 

o schönes werk schön und genau

als hätte es ein sterbensdasein gegeben

und dafür eine atemzeit ohne vergehn

 

solches werk

dafür und darin muss man bestehn

 

 

 

II.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

überwindungen

 

 

I

auftauchen vom ungrund des alls

an die oberflächen des wahrhaftigen

wo farbe und form die reine und

untrügliche offenbarung wären

 

heller werdendes licht

inmitten der gnade der sinne

 

und du ein spaziergänger des albtraums

im aufgang des nichts

spaziergänger durch die galaxien

deiner finsternis

 

und kehrtest zurück auf den lebensstern

wie eine seele die keinen körper findet

ein gedankengast vielleicht

oder ein engel sanft selbstlos und sanft

wie wetterleuchten unter den wolken

den himmelsblumen des äthers

 

dass sprache an solch unvordenkliches reicht

nenne ich göttlich

 

. . .

 

mit jeder gestalt aber erschien auch ein name

und alle dinge waren objekte des auges

mit dem baum erschien der name des baumes

und war sein wesen selbst

inmitten der vielfältigen stimmen

des duftes des winters

des thymians des schneekristalls

 

poesien waren es

wie regen des monsuns der tröstete

das dürstende blut der menschheit

 

. . .

 

du aber entsinne dich

der sternbilder der freundschaft

ent-sinne dich der geburt des mordes

beide sind dein mund in der furcht

in der grausamkeit dieses jahrhunderts

 

 

 

seele aber nenne ich saum des göttlichen

engel der dich unaufhörlich streift

in der elementaren erwartung

zu feiern das grosse fest aller vergangenheit

denn die seele allein ist das unendliche

das die rücknahme der zeiten ermöglicht

 

ist sprache vom jenseits der sprache

mund vom ewigen schmerz

 

. . .

 

auftauchen vom ungrund des alls

von traum und einbildung dessen was du erinnertest

schorf und blut das liebte

liebe die liebte von jeher und immerzu

und ihr name war ihr wesen selbst

 

und tod

 

von jeher dein zugriff auf das unendliche

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II

es gibt wohl gedanken

die sind nicht vom menschen bestimmt

du weisst nicht ob du sie denken darfst

ob ihr wahn nicht anrührte

den gegensinn des todes

 

worte untastbar dem sterblichen

materie vom fernsten sternenstaub

silbenarchipele die anklängen

in den symphonien des wetters

von schneegipfeln von wälderschweigen

von sandwellen von anemonengründen gestaltet

gesungen von den regungen der elemente

 

akkorde des nichts

die bewahrten und bewahren ein unfassbares

 

erhellte solches denken deinen geistesleib nicht

was bliebe dir dann in tiefster bestürzung

ausser einsame schreie wie echos aus welke

und fleisch und fäulnis und fall

und jene wut nur zu leben zu leben zu leben

wie eine brutale rache der leere

 

und ist es nicht so dass die blume sich

der wiederkehr ihrer blüte erinnert

 

vielleicht war alles dasein

ausschliesslich vergangenheit

vergangenheit ohne den widerspruch der zeiten

vergangenheit die endete mit deinem tod

mit jedem tod

 

denn nur vergangenheit ist gangbar

und wie im traum erbauten wir

der finsternis blühende häuser

 

mit jedem tod also ein nach-und-nach

des vorvergangenen des unaufhörlich

vergehenden vergängnisses

ein immer wieder vom-ende-her-beginnen

zukunftslos rückkünftig

da dich vergangenheit erwartet

wie ein traum im traum durch todestüren

ein morgen im gewesenen morgen

ein blühen und erwachen des todes im tod

 

 

 

 

ein kopfstand der leere also

ein himmelsozean der sphärenflut

ein schneewirbel an den meeresgründen

ein kuss züngelnd ins innerste der galaxien

 

und du ein nachwesen immerzu

ausgeschüttet ausgeströmt ausgestrahlt

von jener rückkunft des ewigen schlafs

und du

vorwegnahme deines innersten auges von jeher

 

und deinem und allem vergangenen vergehen voraus

und vielfalt der erde wäre nichts als zeichen

und botschaft und botenstoff einer

wahrnahme vollkommen zeitlos

blüte der blumen stimmlos über dein

gedankenall hinaus

in windungen in überwindungen

und überträgerin deiner vergangenheit

jenseits des urteils der sterbensgeburt

 

so also

das gestirnte mosaik vor augen

 

der finsternis blühendes haus

 

die rückseite des kosmischen schattens

 

unendlichen ungrund des vertrauten

 

dich

        dich

                dich allein

 

 

 

II.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

am rand der milchstrasse 2o17

 

 

 

ein ganzes jahr riss auf

und schien uns wie verwüstung von jahrhunderten

die wörter die stimmen ein myriadengebrüll

süsslicher schrott wie epiphanien von puppen

fruchtlose botenstoffe rasend kreisend

um ein weltnervennetz

 

ein ganzes jahr riss auf

beschmutzte den weissen raum der poesie

das geistestuch über dem lied der jenseitselemente

heilige flora heilige farben und mund und nahrung

und formen bewahrt von leere die den raum öffnete

für das anwesen des schweigens

 

wir aber wurden die furien unserer manischen augen

wir schrien umnachtet von schreien und nächten

die das gelächter verbargen und die mordlust

in der flackernden glut aus angst und hass

wir waren die selbstumwundenen und drehten

virale feuerräder für den karneval der kataklysmen

für die nackte göttin der hysterie

 

planeten implodierten im schlund des verlangens

auf esoterischen abraumhalden

zwischen flüchen und wahngebeten riss uns

ein demiurg mit einer folterschürze aus gold

lichtweisse zähne aus kieferknochen

doch könnte der schmerz auch ein traum gewesen sein

ein traum wie verwüstung von jahrhunderten

 

ein ganzes jahr riss auf

am rand der milchstrasse 2o17

wimpernwund starrten wir auf die bilder

eines unaufhörlichen märchens vom ghetto eden

und wussten wir sind auf dem stern der verbannung

büsser eines lebens das aus sich selbst das böse war

und dieses böse war abseits aus sich selbst

und dieses abseits im irren aus sich selbst

 

und wir wie epiphanien von puppen

süsslicher schrott aus den bohrungen des bluts

als ein ganzes jahr aufriss

und schien uns wie verwüstung von jahrhunderten

 

 

 

II.2o17 scardanelli

was sich erübrigt

                                                                  dasein

                                                                  dieser dauernd vorübergehende

                                                                  zustand hündischer ergebenheit

gift gift gift gift gift gift

ist der name unseres ganzen todes

wir sterben den tod des gifts

 

doch heisst verwesung nicht auch

saat und streuung unserer wesen zu sein

 

also begiessen wir mit blut

die dendriten in unseren schädeldomen

auf dass die gedanken himmelswurzeln schlügen

zu pflücken die fingerbeeren im gedicht

den uralten keil zu treiben in den ton

die stimme zu bannen in die verwandlung der schrift

 

leben erntet immerzu

was tod in unsere sinnensphäre setzt

ins dickicht der allegorischen zeit

 

säe und singe auch du

hol deinen anteil an atem

für die atem-ode des augenblicks

sinnfällig hinfällig wie ein windmund

die strophen die katastrophen hinunter

in lautloses lichtgestrüpp

 

wo etwas gegen

wartet

 

was sich erübrigt

im zustand hündischer ergebenheit

 

 

 

II.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

katá katá katá

                                                              heiterkeit des todes

                                                              lachender quell

                                                              den abgrund zu bejahen

 

die erste arche wendete die not

noah wusste noch was leben bedeutet

und vielfalt der kreatur

vertrauen in die regung der elemente

 

katá

 

die zweite arche zerbrach

am eiskristall im meer

es sank ein götze der titanen

den bauch voll tanzendem menschenfleisch

näher mein gott

 

katá

 

die dritte arche besteigt niemand

ihr bau ist virtueller wahn

der schemen einer jenseitsjacht

ein weltloser hybrid

eine gedankenchimäre die sich löst

vom schwemmland verwüsteter zeit

 

ein suizid der bestie mensch

auswurf und todessingularität

 

ein sputum für das nichts

 

katá katá katá

 

 

 

II.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

eine art ablass

                                                                  stunden gibt es

                                                                  stunden des glaubens

                                                                  ich hätte nichts mehr zu verlieren

wer segen sagt soll gesegnet sein

wer heilung sagt soll geheilt sein

wer zeichen sagt soll gezeichnet sein

vom göttlichen mund

der ihm darböte die frische des wassers

die frucht der erde den atem des alls

und die hand die der liebe des anderen gilt

 

der unendliche mantel der finsternis

soll ihn umhüllen wie eine tröstung über den tränen

der treue raum seines todes

soll ihn schützen vor den illusionen des lichts

den einöden des geistes

und löschen das feuer des endlichen verlangens

jenen traum zwischen fötus und fossil

zwischen blut und nichts

 

und aufgehoben für immer wären

wille und schrei asche und molekül seines lebens

in der sanften urne des alls

in jener vervollkommnung von schweigen

leere und wunder jenseits aller geburt

 

MARTIN LUTHER

mit dir aber will ich feiern eine art ablass

du berserker der bibel du führer der pegida

du gott der glatzen mit dir will ich feiern

den deutschen mördersinn das fest des antisemiten

fünfhundert jahre sollen die synagogen brennen

in deinem kalten rasseherz

und der stern der erlösung soll ewig glühen

in deinem christenhirn um auszulöschen

mit asche die bestie deiner barmherzigkeit

 

wer aber segen sagt soll gesegnet sein

wer heilung sagt soll geheilt sein

wer zeichen sagt soll gezeichnet sein

vom göttlichen mund

der ihm darböte die frische des wassers

die frucht der erde den atem des alls

und die hand die der liebe des anderen gilt

 

 

 

II.2o17 scardanelli

 

 

komet

 

 

 

komet

ein brocken gescheiterter zufall

ein projektil der ewigkeit auf diesseitskurs

zerschellt wie ein seelengeschoss

zwischen schlaf und schlaf

tumortod und sternenhumus

 

schmilzt auf der stahlgluthaut

auf der aschelinse auf dem schwarzen punkt

dem innersten kugelrest

der übrigblieb von diesem stern

der baumheit der blütenvokabel

der neuronalen experimente

inmitten von schönheit und gotteshaar

 

o silben der heiligen verschwendung

o grasgrünes grün der himmelsteppiche

 

. . .

 

ein komet also

flammentropfend in ein fluchvermessenes all

furchtvergessen zwischen gedanke

und blutfieberndem leib

 

ein komet also

verschlingt sich selbst

zerbröselt im mantel der finsternis

wie ein galaktischer schluckauf

 

wie eine blinde seele die man aufgegeben hat

und lichtverjährt längst

das ganze aufgegebene nichts

 

 

 

II.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

die nahrung des nichts

 

 

 

im unvollendeten mosaik

aller je zum kosmos erhobenen gebete

im unvollendeten raum

der von jeher der finsternis vertraute

wären die gezählten gestirne

wie fernste wegmarken des nichts

und wir gezeichnete ihres lichts

gelähmte einer schwerkraft und

atmeten den wind der leere

die unendliche lähmung

von schwerelosem nichtsein umringt

 

die worte aber wären gedankenwesen

archen des äussersten zurufs

für die wellen aller akkorde

und jene akkorde eröffneten wiederum

den worten das all der stimmen

aus elementarem material und den schall

und das echo aus der entfernung der gottheit

 

vollkommen und lautlos in sanftestem jubel

wären allein die chöre vom schnee

die weissen himmelspiktogramme

schwindende mosaike auf der haut deines lebens

 

die gemälde die seelenbilder der menschheit

bannten jene klänge in farben

verdichteten den raum der die zeit aufhält

gäben der sprache ihr schweigen zurück

und der gottheit ihr blindes antlitz

 

all das geschähe inmitten des gedächtnisses der erde

der neigungen von blütenkronen

geschähe im zyklischen rausch ihrer sinne

entfaltend entblätternd eine schönheit

zwischen eden und ende und geschähe

wie wille und keim für jene worte klänge

und bilder der menschheit

entsprungen dem geheimnis aller tode

dem geheimnis ihrer lust und verwandlung

 

und die schatten aller dinge der erde

kühlten das unruhige herz des menschen

 

 

 

 

und wären die schemen eines schlafs

jenseits aller namen

jenseits aller bücher und symphonien und bilder

jenseits der tränen unseres verlangens

und unberührt vom wahn aller erinnerung

von der geburt der sonne und ihrer verdammnis

vom geringen aufschub unseres seins im nichts

 

. . .

 

der mensch

der nun solches empfinge und offenbarte

durchströmt von der liebe und dem blut ihrer wunden

und wie geheilt von ihrem fieber

durch den schnee der unendlichkeit

 

dieser mensch ginge in seinen tod zurück

über den rand von furcht und vertrauen hinaus

ein winziger punkt in sich selbst

ein neues seltsam metaphysisches material

und wäre vollendet und geeint

im wort das von nun an schwiege

im klang der von nun an verhallt

im bildnis das von nun an ausgelöscht wäre

 

und ein solcher mensch wäre nun selbst

ein botenstoff aus dem unsagbaren unsäglichen

ein element aller sinne

ein teilchen jenes unvollendeten mosaiks

in der erhebung aller unvollendeten gebete

 

und wäre zugleich und für immer

die nahrung des nichts

die nahrung des nichts

die nahrung des nichts

 

 

 

III.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

full of scorpions is my brain

                                             ( shakespeare – richard III. )

 

 

einen wald voller gedichte

hab ich in meinem hirn

umgeben von stille und ausserirdischem dunkel

einen schönen rauschenden wald

einen blühenden welkenden wachsenden

fallenden hain aus dendriten

ein synaptisches wunder aus verästelungen

wurzeln und rinden silbenentfaltungen

knospen und duftenden zapfen

in meinem geheimen knochenhimmelsdom

umhüllt vom hintergrundrauschen

aller gelebten stimmen und vokabeln

 

o schöner tempel der amygdala

wo gliablüten wie sterne auf neuronenfeldern blühn

fluten eines ewigen traums

hymnisches grün eines gartens

 

und inmitten jenes waldes

diese lichtung sommerhell

mit den schatten namloser tiere

winterkristallen mit der symphonie vom schnee

überwölbt von witterung des schweigens

dem firmament einer unendlichkeit geöffnet

 

diese lichtung wiederum hält in ihrer mitte

ein dunkles warmes moorauge

schwärzestes kosmisches material

heilend satt und weich

lehm und mineral vom jenseitswort geschöpft

heilend für die biegung meines denkens

für die blicke ins nichts gelenkt

für die häutungen meiner zeit

die endlosen beugungen meines singsangs

 

und sanft während ich sinke ins auge

winken mir die blütenarme zu

die nadelkronen der wälder

die lichtschatten einst gesungener silben

 

das ist mein gedankenwald

steigende fallende blätter des hirns

dom der göttin der lust und des todes

ein galaktisches orphisches urland

 

 

 

ein grüner wogender zyklus

wurzelnd im ungrund aller vortode

fruchtend aus dem keim des unaufhörlichen

 

einen wald voller gedichte

hab ich in meinem hirn

umgeben von stille und ausserirdischem dunkel

einen schönen rauschenden wald

 

o bäume o gedichte

o seltsame geburten meiner seele

 

full of scorpions is my brain

full of scorpions is my brain

full of scorpions is my brain

 

 

 

III.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

eine regung

 

 

 

blüten blütenkronen

strahlungen der schöpfung

zögernd zu enden

in der abnahme uralten lebens

zögernd aufzuhören

in äusserstem augenblick

 

es lauschten die blüten die blütenkronen

in einer neigung nach unten

in der todeswelke

der harten vertikale entlang

den stengeln der gewesenen stunden

und alle nervatur der blätter

sinkend wie haut der leere

dem lichtlosen ungrund zu

 

wo wurzeln wie weisse knöchelchen

dem verbot der erde erlegen wären

der tiefe ihrer selbstverschlingenden glut

der umkehr der botschaft vom licht

vollendet vom schweigen der letzten vokabel

erschöpft vom galaktischen traum von einst

verfinstert vom abwesen jener blüten

jener blütenkronen

 

das göttliche aber waren die farben

und ihr verschwinden war

der ganze wille des göttlichen

 

und die reglose regung die letzte regung

wie ein unendlicher gedanke

im aufgang des nichts

 

 

 

III.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

isotopien

                                                     für uns die wir einmal aufwirbelten

                                                    den geringen staub vom galaktischen geröll

 

was aber heisst es

mit der äussersten biegung deines leibes

jenen punkt zu berühren

der immerzu dem unvordenklichen vorausgeht

wie ein vorwurf deiner seele

wie ein staubkorn jenseits der leere

todstumm blinddämmernd

wie ein gedanke der finsternis von jeher

in der verweigerung der silbe nichts

 

was also heisst es

mit äusserster anstrengung

jenen punkt zu berühren

als wäre die weisse hinter der sonne

eine andere ahnung vom all

als wäre licht kein zerfall und wille kein wahn

 

doch der traum vom rasenden stillstand

deines leibes im raum ist wahr

und du ein wundspalt eine perle blut

inmitten des fassungslosen vakuums

 

was aber heisst es

mit der äussersten mundvokabel

jenen punkt zu berühren

als stiessen als rollten wir

das schwarze auge des alls vor uns her

als müssten wir immerzu die gottheit

entfernen

 

die gottheit entfernen

 

vom äussersten gedankenrand

vom innersten schrei einer heiligkeit

die dein ganzes leben war

und jenes leben die ganze verbrauchte ewigkeit

und du ihr einziger ort im nachhinein

die haut und das blut vom wort

 

und du der schwindende einzige stein

 

 

 

III.2o17 scardanelli

 

 

 

die übereinkunft

 

 

 

jene träne

blau und einmalig

dem ersten schweigen gegenüber

als öffnete sich ein unvordenkliches auge

für die empfängnis der äussersten finsternis

 

. . .

 

es schliesst aber und senkt sich das weibliche

in frage und erwartung und war

wie ein gedanke in allem anwesen

und ruhte von jeher auf der schwelle des raums

 

es erhebt und entrichtet sich das männliche

durch antwort und gewalt und war

wie ein schrei ein wille aus seinem abwesen

stieg immerzu an den brüchen der zeit hinab

 

grund vom ungrund war das eine

ungrund vom grund das andere

und beide vereint und entzweit

im zustand der gegenwart

verneint vom glutkern im inneren der träne

 

als hielten und spannten zwei pole

das mosaik der elemente und nannten namen

für das einmalige kleid das umhüllte

die wölbung jener träne

jenes sterns blau und einmalig

 

und sei es nur

um einmal übereinzustimmen

in jenem verlangen

das dem stein und der welle entsprang

um einmal voneinander zu hören

durch die vollendung einer frucht

unter allen neigungen der furcht

 

als kämen überein

das gesetzte wort und sein entsetzen

die schönheit zyklischer verwandlung

und alle verzweiflung der lust

der unendliche gedanke der gottheit

und die verschliessung des nichts

 

 

 

und sei es nur

um einmal vorüberzugehn

im aufgang der hinwegnahme jener träne

erhört und gestillt und jenseits des lichts

 

als schlösse sich mit jenem auge das ganze gedächtnis

 

vollendet von deinem letzten laut

 

der das erste schweigen war

 

vor aller übereinkunft

 

zuinnerst wieder

 

wesenlos und

 

weiss

 

 

 

III.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

das gedächtnis

 

 

 

wie nahe du den worten warst

und sie wie riesige reiche ohne farbe

ohne historie paraphysisch

und sie wie deine worte nah

nahe dem äussersten empfinden

das das ganze bildnis von dir schuf

 

von dir für alle anderen leben

die an dich rührten

und bildnisse von diesem stern

für den gedanken vom unendlichen

inmitten des verschwindens aller tode

 

dein körper aber schwieg

schwieg und wusste nichts

von den jahrtausenden

von der verneinung einer finsternis

vom abenteuer aller sinne

im angesicht der galaxien deiner angst

 

vom auge das die welten deutete

pupille der nacht und

weisses rückgrat hoher felsgebirge

die tage deutete wie träume der verbannung

gottheiten der kriege der liebe

und echos der vergängnisse

 

wie nahe du den worten warst

und sie wie riesige reiche ohne farbe

ohne historie paraphysisch

und sie wie deine worte nah

nahe der welle dem gedächtnis des wassers

den schemen aus wirkung und licht

deinem fieber deinem zyklischen blut

das immerzu dein ich erfuhr

die maske deiner gegenwart

 

und kanntest letzthin nur die silbe schmerz

selbst diese schwieg und war

dem licht entzogen

schwieg tief in deinem sterbensleib

und jeder schrei war schon ein anderer

war wie erbarmen einer fremden kreatur

 

 

 

 

die lust die leere die blüte der schnee

waren schon andere und füllten

erfüllten wie dein wort wie deine träne

die botschaft des wassers

die gestirnte kosmische bläue

kristalle öffneten dein äusserstes geheimnis

 

dein leib hat nichts davon erlebt

dein leib verriet sich nie verriet dich nie

hatte einmaligen bestand

bis seine haut der kurzen zeit erlag

und geisteslicht und ahnungen der seele

namlos verfielen dem gesetz aus schweigen

 

und deine stimme erlosch

stimme die doch die ganze umkehr war

von stummheit fassungsloser himmelsleere

von innerster verzweiflung und

heiliger gottesklage

 

und du wie ein engel aus stein

gestürzter granit der schönheit

dem grün der erde erlegen

und dennoch überrollt von jeher

überrollt von meeren der gewalt

 

wie nahe du den worten warst

und sie wie riesige reiche ohne farbe

ohne historie paraphysisch

und sie wie deine worte nah

nahe den chimären deines nichts

im angesicht der kalten himmelskörper

 

und deine worte näher näher

der grundlosen silbe tod

same säure und kosmischer staub

für alle anderen leben

die einmal an dich rührten

 

. . .

 

so die jahrtausende dahin

 

 

 

IV.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

das notwendige

 

 

 

die grossen reiche zerfallen

die mächte geraubter nationen

mit ihnen zerfallen die morde

die maschinen die tempel der herrschaft

der namlose mensch das gift seiner welt

es zerfällt das gold seines verlangens

 

die reiche zerfallen sagt man zurecht

du liest ihre spur ihren staub in büchern

du hörst den wind über leeren schädeln

die flüche verstummt von feind zu feind

 

die grossen reiche zerfallen

die mächte geraubter nationen

du aber hast nichts was je zerfallen könnte

warst immerzu ein silbenbruch

vor allem vergessen vor aller tat

dein mund nichts als ein keuchen ins all

 

hast also nichts was je zerfallen könnte

selbst dein gedicht ist ursprung des zerfalls

unter der hand die alle werke sinken liess

ist das von jeher ungefasste

unfassbar blüht aus den vokabellabyrinthen

fremdeste schönheit empor und

feinste trümmer astraler minerale

 

das ist die seltsame losung der erde

die alle ahnung entfaltet

das zwingende licht deiner finsternis

 

auch dein gedicht also das schon zerfallene

blühte zu niemandes herrschaft und blendung

zu niemandes nutzen und ruin

die reiche aber zerfallen sagt man

wie blutigster wahn des menschenmöglichen

wie bestien dauernder nötigung

 

die blumen beugen sich leise dem wind

an ihren farben und am unmöglichen

bricht sich dein wort

in der krönung von erbarmen und anstand

verstummen die gesänge jenseits des lichts

 

 

 

 

bricht sich wieder und wieder dein wort

fallend und steigend wie engelsflügel

in der gedankenwende

der kosmischen entgegnung

den versen von liebe von tränen von tod

die das unendliche streiften

und lautlos vollziehn

 

die reiche aber zerfallen

 

und du

warst du denn

wie götterchimären

der irdischen not und allem sterben voraus

 

 

 

IV.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

die liebe

 

 

 

mit einemmal färbte sich schwarz

der walnussbaum und war erlegen

dem atem einer anderen kälte

 

da wandte er weinend sein antlitz ab und ging davon

ein leib einsam und ohne entgegnung

pflegte mühsam die brennende wunde der haut

die ausschlug blutrot ihre nassen knospen

 

und war allein wie ein sieger

murmelnd ich bin vom leben geheilt

bin einer der vom leben geheilt ist

 

es dachte aber und verführte ihn wohl

seine eigene härtere stimme

er wäre vollkommen ein fussgänger des todes

und war wohl wie vom tod geheilt

einer der vom tod geheilt ist

und war nichts als ein fussgänger des lebens

 

schlaf überkam ihn wie wunder der erschöpfung

liess ihn erwachen in seltsam hellerem licht

als wäre er im unendlich neuen morgen

ein liebender geworden von jeher

und immerzu geliebt aus der entgegnung

inmitten der fäulnis aller entzweiung

 

die wunde aber brannte und brannte

und war wie rote asche der seele

die tote krone des walnussbaumes

durchfurchte eine seltsam heller werdende

bläuliche galaxie

 

er aber allein wie ein geopfertes tier

murmelnd inmitten gescheiterter zweige

den tod habe ich nicht verraten

dem tod ging ich von jeher voraus

 

und alle liebe erschien ihm mit einemmal

 

 

 

V.2o17 scardanelli

 

 

 

 

die sinne

 

 

 

unhörbar den bruch vollziehen

den kosmischen bruch

am eigenen leib

an deiner ganzen entsetzten schrift

 

erblinden in der nacht

deiner unendlichen liebe

zu schmecken das salz jener blauen träne

im mund des alls

 

du und die erde

die dein gestirntes nichts ertastete

 

dann das schweigen lernen

vollkommen verstummen

bevor der tod kommt

 

atemlos

der geruch des äussersten

 

 

 

V.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

das lied vom schlaf

 

 

 

vor diesem baum

vor seinem geheimnis tief innen

mächtig und gelb

die krone und die ruhe

unter den himmeln aus licht

 

nicht der selige nicht der verrückte

nicht einmal sie entgehen

dem langen erdulden

dem ringen von geburt an

dem ringen und ringen weil sich

alles allem entzieht

 

nicht einmal die seele

die seele das hilflose gefäss

das unerreichbare unstillbare gefäss

nicht einmal das

 

von anfang an ein enden

unsägliches erwarten und enden

in der stille der luft

leben und leben immerzu dort

wo das gedächtnis nicht hilft

 

gehörte es gar den toten

gehört denn gedächtnis dem tod allein

und nicht einmal dem leben

 

wer lehnt sich dann

an unser sterben an

der wind die wüste die haut der schnee

strömend strömend inmitten von blüten

in heilender heiliger höhe

 

hört denn das alles wissende wasser

deinen erflehten ruf

wie spiegelnde kreise

den ungeheuren atem der zeit

 

und innen tief innen

deine unaufhörliche sprache

die dich niemals verlässt

 

 

 

 

 

dies grausame zitternde innensein

wie stumme uralte anklage

bevor bevor bevor

vor deinem leib und vor dem keim

des unvordenklichen

 

vor diesem baum

vor seinem geheimnis tief innen

mächtig und gelb

krone und ruhe

unter den himmeln aus licht

 

dort wirst du dort sollst du

nicht einmal nicht einmal

dort wirst und sollst du schlafen

 

schlafen schlafen schlafen

 

 

 

V.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

dein tod

 

 

 

vielleicht ist es ja nur der mensch

der nie der schöpfung angehörte

und deshalb die worte so dringend erfleht

die vieldeutig gebrochenen worte

den wahnsinn erfundener gottheit

 

vielleicht ist es die flora allein

und niemals die stimmen der kreatur

ist es die flora allein

die deutet das wesen der gottheit

und wäre dann ihr schweigen

heilige entsagung die uns von jeher fehlt

 

dein tod wiegt schwer

jedoch nicht er sondern das leben

war DAS GROSSE ANDERE

das leben war es das den tod durchbrach

wie flüchtige zeit den namlosen raum

 

es hat aber der tod das ganze gewicht

deiner erfüllten endlichkeit

und todesraum ist reine unaussprechlichkeit

die dauernd implodiert

inmitten der gestirnten augenblicke

die dich und deinen leib vollenden

 

und leben war DIE AUSLASSUNG DES ALLS

es schien dir immerzu es kehrte

der tod zurück wie ein gedächtnis

und durchquerte jegliche vergängnis

lichtlos den raum vor der geburt zu öffnen

in übereinkunft mit äusserstem schweigen

und welle und klang allein erhörten

die ahnung deines seins im nichts

 

dein tod wiegt schwer

er trägt und bleibt die erste ungeheure silbe

von deiner gottheit aus unendlichem

 

 

 

V.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

nachwort

                      die zeit bleibt eine erfahrung

                      die liebe eröffnet den galaktischen raum

 

das gedicht

und damit die poetische stimme der menschheit

ist eine imaginäre grösse

unseres mystisch metaphysischen gedankenlebens

ein urbild des heiligen also

jenseits der blossen wirklichkeit des physischen

jenseits des blossen artefakts

oder der klassifikationen des geistes

in der übereinkunft von unverständnis

und sterbensendlichkeit

 

das gedicht ist eine imaginäre grösse

ein urbild des heiligen also

ein gesang erster und äusserster wahrheit

an der grenze des lichts und des zeichens

und über die grenze hinaus

ein anwesen in der finsternis des schlafs

ein archipel inmitten des traumlosen nichts

 

aus modus und tonus

in der reibung am unsäglichen und unsagbaren

wird das gedicht entfacht wie ein frühes feuer

am horizont der spurlosen steppe

und mündet durch myriaden geburten

wie eine kaum hörbare kaum sichtbare quelle

in der unendlichen nacht aus sand aus meer aus schnee

und blüht in der gotteswüste

in der verwüstung des göttlichen

 

das gedicht ist reines unvordenkliches verständnis

als wäre es einem grossen gemeinsamen tod

entsprungen entnommen und zugesprochen

das gedicht schöpft aus der musik

aus der welle eines unaufhörlichen gebets

den schrei des je einen menschen zu verwandeln

für den kurzen traum vom garten der erde

in den atem des anderen

 

das gedicht ist deine einmalige spur vom tod her

 

 

 

VI.2o17 scardanelli

 

 

 

 

gnade

 

 

 

träumend manches mal

von der ruhigen kosmischen hand der gottheit

war es ihm als dränge etwas anderes

namlos aus seinem blut hervor

 

es brach ihm die stimme

und hatte sich im grunde niemandem offenbart

ein gegenstand war er geworden

eine fruchtlose form unter so vielen

sichtbar fremd dem unsichtbaren gegenüber

 

stumm überstieg ihn das leben

tief in ihm blieb der tod

ein geheimnis verborgen für immer

 

einmal erschien des nachts an einem fenster

eine schmale hohe gestalt

wie der seltsame schatten einer gazelle

und war der ganze gedanke der liebe

 

dann erlosch auch dieses licht

und finsternis vollendete allen raum

 

 

 

VI.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

psalmen der zukunft

 

 

pflege dich eines jeden morgens und abends

pflege dich für den schlaf deines lebens

der deine erfahrung des unsichtbaren ist

 

schliesse und öffne deine augen nach oben

meide die gänzliche bläue des himmels

schatten heilt und ist dein schemen des nichts

 

sei nicht müde sei nicht müde

liebe dein handwerk und die hand die schöpft

es gibt ein handwerk der stillen dinge

 

dein name aber soll ein instrument sein

erhöre deine einmalige stimme

und sprich mit den quellen der erde

 

die träne ist ein meer in deinem antlitz

trinke sie bevor deine sinne sinken

stille die träne des anderen

 

befrage den raum und nie die zeit

es gibt keine spur voraus

allein die vergängnis verlässt

 

sei spurlos sei verlässlich

ziehe an keinem strang

jegliche geschichte ist eine unterwerfung

 

zu heiligen sind die oberflächen

blüte acker haut und schnee und asche

der staub der leere ist ein kosmisches alphabet

 

sei nicht müde sei nicht müde

kranksein ist erster gedanke und traum

und kraft von der wahrheit des sterbens

 

wie grausame steine im wind der gegenwart

prallen gier und verzweiflung aufeinander

in deiner seelenöde in der wüste des alls

 

dort ruht dein tod

die gottheit des unsagbar unsäglichen

vergib ihr vergib ihr

 

 

VI.2o17 scardanelli

 

 

VIER  LETZTE  ERSCHEINUNGEN

 

 

 

I

was erschien

 

 

von wort zu wort erschien deine gedankenzeit

im raum des alls an deinem gedankenort

der selbst gedanke war vom einzigen sein

von einem  unvordenklich äussersten

 

hier also dein gedankenleib

und dort ein walnussbaum oder schnee

blüten im hohen gras und steinorte

oder das salzkorn und wellenbögen

sind nichts anderes als die gefäße

ihres eigenen gedankens und diese gefäße

sind gedankenformen ihrer selbst

und aus sich selbst

zu bezeichnen dein gedenken und die not

die nötigung und die notwendigkeit

der ganzen todesschrift von wort zu wort

 

sind schönheit schweigen ursprung ihrer selbst

vollkommen aus sich selbst

doch sind deine worte für das nichts und jenen

willen vom göttlichen

sind immerzu entzogen dem unendlichen

und ausgeschlossen dein schriftwerk

vom wunder aller todfernen dinge

vom keim ihrer ersten gedankenorte

 

sichtlos blind aber denkt dich jenes nichts

und war doch von jeher dein wortinnerstes

und wachte über die endlichkeit der sinne

und den keim aller finsternis wo alles leben

todesisolation zellzerfall bruch und trennung war

doch freude auch und farbe duft und leuchten

im aussensein im traumschlaf im hautort

 

und jeder augenblick fühlte unaufhörlichkeit

fühlte das wunder deiner gedankenzeit

vom sterben vom bersten deines willens

inmitten kosmischer elemente

parabeln der leichten kraft des göttlichen

 

 

 

 

und war doch alles verlangen dein verlangen

und war der gedanke vom verlangen

aus frucht und furcht und todesschöpfung

und deiner und ihrer einmaligkeit

und auch der tod war ein gedanke

an sich und aus sich selbst und an dich

und aus dir selbst

in nächster nähe der liebe

die die trauer und der atem des himmels war

der name und die entnahme deines rufens

deines schweigens und lust der nacht

 

und leben war in der gedankenzeit

deutung und bedeutung und duldung

und geduld gabe und hingabe

vom sein ans nichtsein das ein gedanke war

im gefäss des unsagbaren wo deine ahnung

mündete nirgendwohin

inmitten der schmerzen und weltwunden

der metamorphosen der nacktheit

wie wahnenthüllte blöße der gottheit

 

und dennoch vertrautest du

allein der eigenen stimme

im sinkenden licht der seele

vertrautest nur deiner stimme unteilbar

unhaltbar am lippenrand

den ganzen raum zu vollenden

die ruhe der leere die dir entsagte und entsprach

 

offen und vertraut und nahe und geheuer war

der gedanke der finsternis

vertrautest also nicht dem licht aus blendung

und suche und anschein

der gestirnten deutung dem zerfall der sonne

den sichtbaren ziffern deiner weltenstunde

vertrautest also nicht dem irrsinn vom ich

dem blut und dem geronnenen traum

 

. . .

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II

was erscheint

 

 

einmal sah ich mich in letzter dämmerung

ein schatten der gottheit oder

der schatten einer gottheit

und ragte wie herausgetreten aus jenem gedanken

der ich immerzu war

 

falter und flamme zugleich

und sah eine verdunkelung wie brandzeichen

den vagen vorwurf meines leibes

sah den mantel unendlichen wollens

windzerrissen über der spur in weissem staub

gebrochen und beäugt von echo und mythe

dieses weltsternenlichts masslos geflutet

dieser entheiligung eines langen schlafs im dunkeln

 

und leergehöhlt aus mir allein

die ganze seele ohne sein

und jede geburt war der vollkommene gedanke

eines todes

aufs tagwerk versessen auf glanzvermehrung

gehäuftes raubzeug des verlangens lebenslang

ein mundriss ein dämon tobend geheim

und unsäglich auf der gedankenhaut

aus irrtum liebe wasser stein

 

name und asche mosaisch ohne vergleich

ein schemen gespiegelten sterbens

dem schweigen der allnacht geöffnet

ein schatten der gottheit

dann gottlos erlöst und sinnzerschunden

vom eigenen antlitz verzehrt

gottlos erlöst und plötzlich eins

mit dem gehör des nichts

 

eins mit dem gehör des nichts

 

namlos staublos unversehrt

 

. . .

 

 

 

 

 

 

 

 

III

was erscheinen wird

 

 

ichleib

hautgeschält aufgebäumt

wie gedankenmord verheerter elemente

kleiner weicher giftiger brocken

aus schleim aus gewesenem schmerz

verdaut vom glutmutterbauch gaia

 

ichleib

kotstummes etwas todkrumm ausgeschieden

von magmagedärmen enklavisch irgendwo

und nirgendhin da oder dort oder

wie salzkrustige tränen sternstaubig

verstreut in die windhöhle des himmels

 

ichleib

winziges gigantenfleisch

blutblaffendes kriegsknötchen

tattrümmernd auf lichtsplitternde säulenglieder

weltherzzeitzerronnenes schluchzen

warst du denn deinem ersten schrei voraus

immerzu dem unsäglichen abgerungen

als wäre jegliches leben

der aufriss der rückläufigen kraft des todes

 

doch liebend und lachend und rettend auch

und träumend mit der hand die dichtete

auf der haut der tausendlust

fiebernder sich biegender proteine

 

ichleib

warst du ein nackter läufer der milchstrassen

summend entpuppte tausendfüssige himmelsraupe

ein mystiker hirnheiligen wahnkopfes

inmitten aller enthauptungen

inmitten aller lebenssinngewalt

inmitten der furchtfabriken des alls

vom grausamkeitsantlitz erschüttert

entfallen dem kriechenden ursprung

 

ichleib

du kleine metastase der leere

ordnendes orphisches galaktisches tier

von steingespinsten umgeben

eines flatternden lichtnetzes

vom je und je letzten hier und jetzt

 

 

ichleib

was käme einem entflügelten engel gleich

wenn nicht du

elemententrissene schädeldrohne

dies fallende flirrende fremde silbeninsekt

voll bluthaar voll augensturz voll allschweigen

weltentsorgt und nie entronnen

den keimen wirrester entfaltungen

 

raumsinnend ja zitternd ja tastend ja

mit wortfühlern himmelshin und blindgefetzt

mit einem letzten satz schon über dir

 

die riesige spinne des todes

 

. . .

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

IV

was erschienen sein wird

 

 

war denn äusserste finsternis die reine quelle des gedankens

nah und bewahrend von jeher und allem anfang enthoben

inmitten der jahrtausende die lebend diesen stern bedrohten

 

gaia gaia

die alles enthält

was menschheit zu tragen nicht imstande war

nie zu ertragen wusste

gaia gaia

die sich enthielt dem fassungslosen tod

und seinem unendlichen willen

traumwahr verwirkt dem los ohne losung

 

gaia gaia

auch wenn sie nicht die all-mutter wäre

deiner gedankenlabyrinthe sternenfahrten

göttlich galaktisch zerfleischt und zersagt

wird sie doch einmal deine wunde schliessen

verwandelnd die lebensblutsilben in unzerstörbares

wenn sie vollkommen erscheint

entnommen der ellipse dieses prometheischen steins

im unzähmbaren nichts

 

gaia gaia

schreiumnarbte lebenswunde

geheilt und geheiligt jenseits der detonationen

vom ungrund ungehalten dem unsagbaren entsprochen

und wie gelöscht und jeglichem abwesen entströmt

überatmet dein reines kleid aus sphärenstoffen

paradiesisch dein einmal ertragenes

dein selbstentflammtes geheimnis

 

so du erschienst

so du erscheinst

so du erscheinen wirst

so du erschienen sein wirst

am morgen aller niemals gewesenen

deiner niemals gewesenen gewesenheit

 

 

 

VIII.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

scherbe und welle

 

 

 

schweigen schweigen schweigen

ist der ganze gedanke deines gehörs

von dort kommt dein tod

die erste welle die äusserste

zu beschriften mit der silbe des nichts

den ton der aus deinem mund brach

du bist aus ihm gemacht

du bist der ganze ton

 

jenseits des fruchtbaren rollt deine träne

dem meer der endlichkeit entsprungen

zu stillen den durst deines todes

rollt deine träne ins auge des alls zurück

 

auch du wirst gestorben sein

und alle gedanken verblieben

wie vom lautlosen vollendet

verblieben den wellen der schwerkraft

den gefässen aus leere und licht

den kommenden leben die sich abermals

schöpften schufen erschufen und erschöpften

 

o wahn der menschheit

dem nichts vorangestellt dem nichts hintangestellt

wie atem aller erfahrung

wie atome allen erfindungen vorangestellt

hintangestellt sind

inmitten deiner augenblicklichen sternstunde

der dauer deines täglichen dennoch dennoch

der krümmung deiner gedanken

unter den willen aus form und schmerz

unter das gesetz aus scherbe und welle

 

o wahn der menschheit

was für ein grausames experiment

inmitten der trümmer des alls

die schönen ruinen die blüten die glieder der kreatur

wellen aus azur schweigen und stein

der ganze ungrund vom gewesenen sein

 

 

 

 

 

 

 

 

o heiligkeit des geistes o todesseele

erstes innerstes fernstes element

o öffne das auge der göttlichen kenntnis

rette den menschen der fürchtet die ganze

enthüllung des lichtlosen raums

in der verneinung des unsäglichen

der hasst das fremde gebot der galaxien

die wüste und das gold das allem verlangen dient

 

o schwebende seele auch

in deinem gedankenblut im feueratem

im krieg der metastasen

denn immerzu sanken wir in weltverwirkte

wirklichkeiten

 

o seltsame früchte im tau der nacht

o heiligkeit des geistes rette den menschen

aus blendung und knochen aus magma und mineral

o engelhaftes ungeheuer mensch

o manische ziffer deiner todeszeit

ergeben dem dämon der maschine der formel

der mutation und der vergeudung irdischer lust

sinnschreienthüllt und triebentblösst

hautwindentkleidet verwandelt vom stein

vom steinwort befallen vom staub

vom staubwort entsonnter sterne

 

o wahn der menschheit

was für ein grausames experiment

einsamster todeswille von jeher

kosmischer klang und schemen der liebe auch

isotope und rauch und heiligung des geistes

und duftende kräuter am wundrand des schnees

 

um abermals abzulassen vom sterbenswort

von jedwedem gedächtnis das die himmelsweisse

irdene fruchttragende gottheit bezifferte deutete

und ihr geheimnis berief

 

denn nichts erscheint aus unvordenklichem

denn nichts erscheint aus der unendlichkeit

nichts wird erschienen sein vom äussersten willen

in der annahme des alls jenseits des fruchtbaren

wo deine träne hinaustritt über den rand

jenes galaktischen mosaiks aller bildnisse

 

 

 

 

 

 

ins schweigen schweigen schweigen

das der ganze gedanke deines gehörs war

von dort kommt dein tod

die erste welle die äusserste

zu beschriften mit der silbe des nichts

den ton der aus deinem mund brach

du bist aus ihm gemacht

du bist der ganze ton

 

 

 

X.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

der bruch

                                                         möge geduld meine gedanken heilen

 

 

I

 

o erde

schwerelos von jeher alt

trägst schwer an meinem wurzellosen fleisch

an jenem ungewicht des seins

wo jeglicher mund maschine wird

und alles sinnwerk zu wahnwerk

in der ins blut gesenkten zeit

 

o erde

wanderndes auge

jenes einmaligen gedankens der unendlich schwebt

sanft ist das herbstliche feuer deines laubes

wie willenlos und dargereicht im fall

im heiligen schnee sanftgeträumt

die reine ernte deines himmels

 

o erde

welche kraft ist es

die mit meinem atem ringt

es haust ein fremder abgott tief in mir

aus furcht aus fetisch aus fanal

 

und unter den meeresspiegeln ist menschenfleisch

die sinkende schwarzhaut von afrika

hell ist mein sonnentag nach allen jagden

durch wüste trieb und schrei

hell ist der morgen ein ums andere mal

sind wie augen aus angst die schwarzen boote

ins saugende lockende unheil europas gesenkt

 

o erde

schwerelos von jeher alt

trägst schwer an meiner todeskraft

 

der ganzen menschheit spur und wunde

 

. . .

 

 

 

 

 

 

 

 

II

 

o erde

unendliches angebot deiner aussicht

wo meine einsicht nur verdammnis war

die leere seele von innen auszuhöhlen

 

und ich ein monstrum aus unruhe

aus unverstand

sterbliche bestie bereit zu allem

 

o erde

inmitten deiner schönheit

und ihrer farben formen früchte

ihrer waldwimpern rauschend um jene blaue

iris im all

 

o erde

inmitten der schatten deiner besänftigung

die unendlich ist

und unaufhörlich dein wille

war finsternis und war gedächtnis

 

mein wille unaufhörlich

war blendung und vergessen

 

 

 

XI.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

der schlaf

 

 

 

der schlaf ist mein ganzes vertrauen

der schlaf ist von jeher mein anderes leben

welches ich immerzu in mir trage

 

wie einen blutvorhang schliesse ich die lider

wenn meine augen der sonne müde sind

 

der schlaf ist mein sinnendunkler leib

ist meine antwort der finsternis aus ruhe

und kosmischer erschöpfung

 

ein sanfter erregender todestraum

unendlicher spiegel eines ozeans

der die welle des todeslebens schuf

meine entblössung im schweren licht

aller morgendämmerung

 

jenes ozeans auch der meine seele

gefrieren liess zu schwarzem eiskristall

über den fruchtlosen blüten der worte

 

der schlaf ist mein ganzes vertrauen

es schläft meine gottheit meinen schlaf

ich spüre ihren atem langsam und dauernd

und uralt wie fernste erste anschauung

 

der schlaf ist mein unendlicher gedanke

 

ich schlafe auf einem anderen planeten

 

 

 

XI.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

verwandlung

                                                                   schläfer erwacht am abgrund

                                                                                              (kenneth patchen)

 

                                                                    abwärts wend ich mich

                                                                    zu der heiligen unaussprechlichen

                                                                    geheimnisvollen nacht

                                                                                               (novalis)

 

meinen leib bot ich dir nicht

meinen geist bot ich dir nicht

meine seele bot ich dir nicht

 

dichten aber heisst vernichten

rasender mythischer skythe

emporjagend auf blutflammen die milchstrasse

dichten inmitten der furchtbarkeit aller erfahrung

heisst mit erstochenen augen hören

den kehlkopf trepanieren

ausspucken die schwarzwellen des alls

um das glühen dieses sterns zu löschen

den brandplanet in der höhle meines mundes

jenes feuer im aufriss meiner seele

in der lust ihrer todverdammnis

 

mein schlaf aber

berstend wie ein traumkadaver

war das ganze leben meines leibes

mein wachsein

taumelnd wie engelsbestien

war das ganze leben meines geistes

und jeder schrei erwürgt von seinem rachen

von seinem klumpen zeit

 

etwas kündete in raumschlingen

von der nacht der sonne

von urwaldrhythmen meiner knochenwirbel

vom rost stählerner alphabete

vom erstickensstaub meiner aschetränen

vom eissperma meines jenseitsgeheuls

vom äussersten gedankenecho

golderstarrt im nichts und

schwarz verdichtet schiesst durch nichts

der unendliche blutstrahl meiner iris

 

das höchste aber ist die gotteswut

ein wort unendlich sanft

aus dem granit der luft zu schlagen

 

 

 

 

für dich mein gott vibrierend

im innersten aller galaktischen metastasen

für dich allein hab ich mich schön gemacht

wie im gewand himmlischer chöre vaughan williams

im innersten des heiligen vergessens

 

das höchste aber ist die gotteswut

und dichten heisst vernichten

 

kerngeschmolzene weltbittermandel

narbenlos verschlossen vom hellen tuch der haut

vom hohn des feingewirkten anfangs

in allen nächten die vorrufe sind

zartester oberflächen

schneegeflüster blütensymphonien

flüchtig hingerissen

so flüchtig hin

 

zu allem was zusammenhing

in den unnahbarkeitsgedanken

 

meinen leib aber bot ich dir nicht

meinen geist aber bot ich dir nicht

meine seele aber bot ich dir nicht

 

wer also bist du wer bin ich

 

. . .

 

ruhigschlagend die wellenströme allsichtigen dunkels

und waren mein atem im bergwerk des herzens

immerzu von stille unendlich erweckt

jene kinderfreude am morgen den ersten schnee

sinken zu sehn aus dem erinnern der nacht

ein wunder lautlos und sanft

ein himmelszeichen allemal

denn diese freude war das ganze kurze leben

 

weiss werden die silben des todes auf weisser seite

und alle zeit war mildestes erlöschen

 

 

 

XI.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

versöhnung

                                                                      giorgio morandi gedenkend

 

 

jegliche hand möge ein heiliges hüten

sich wiederzufinden nach allen toden

in jenen worten die dich und mich

bewahrheiteten zu lebzeiten

 

wir sind voller innerer kämpfe

diese kämpfe gilt es zu bestreiten

vor den stillen gebirgen den weissen

hohen warnungen aus schönheit

aus wille aus schmerz

sie sind die wahren kämpfe des lebens

 

soldaten der eigenen seele zu sein

jenseits der wunden der äusseren welt

und ihres blutes das zur neige geht

 

geh allein

in die dunkelkammer der einsamkeit

sie ist dir von jeher vertraut

geh in die tebah

sie ist die wohnstatt deiner gottheit

zuflucht arche und verschlag

uralte warnung wie das antlitz der berge

das stumme unabänderliche

 

das unabänderliche

das auch die wohnstatt der gottheit ist

und das schweigen der liebe

jener mantel der leere die dich verbirgt

und das gefäss deines todes

das dein ganzes leben birgt

in gleichbleibendem licht

in der dämmerung des unaufhörlichen

in der versöhnung des schattens

 

du unsichtbar namlos stumm

vor der vollendeten schale

die anhielt den äussersten atem der stunde

weiss offen nahe zur neige und entleert

 

du angekommen

in abnehmendem licht

 

 

 

XII.2o17 scardanelli

 

ausklang dunkler sage

                                        ( trauer des lebens )

 

 

blut und gelächter

fluchten und gold und mord

sind die hemisphären des dritten jahrtausends

 

am abhang der zeit fault meine seele

darüber geht ein wind aus fieber

wolken wie föten der verlassenheit

 

treulos zerstör ich das wesen der liebe

aus blüten wundglänzend steigt

giftig die krankheit des leibes empor

die mich absondert vom fest des lebens

 

der turm den ich einst bewohnte

ein ausgeschriebener schacht

und sonne und mond und sterne

sind kalt und leer

 

ein atem aus asche

ich bin nicht mehr

 

 

 

XII.2o17 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

das wesen der liebe

 

 

 

lächeln seh ich die liebe

an der hand eines fremden

dort wo mit anderem willen

die strasse der welt sich wölbt

ins mittagslicht des lebens

ins verlangen der leiber

 

ich kehre mich ab

und schatten des namlosen waldes

nimmt mich auf ohne laut

verbergend meine scheu und

meinen schmerz den die zeit verriet

 

unter den blättern dämmert mein tod

wo ins offene atmet

der mund der äussersten finsternis

wie sterne sinken die silben

aus dem leeren raum ins moos

 

mein rücken trägt schwer

am glühenden vergessen der liebe

kein haar umhüllt mehr die seele

die schutzlos verbrennt

 

nackt schlägt das herz

inmitten der stämme aus schweigen

das all wie eine schwarze ballung

weit voraus

 

ein schwarzer knoten dicht in mir

 

 

 

I.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

mundus fragment

 

 

 

ein altes kaltes weib wachte

über das späte abendland

wir frassen geld und zahlten

mit den metastasen unsrer leiber

 

weltsekunde mund

 

falling man falling scream

 

photographien sind erstarrtes sprechen

 

also das unding der worte beenden

diese unaufhörlich veräusserte würde

also den dämon der sprache auslöschen

so wie man dante auslöschte

nur noch ein abgeriebenes relief

auf der rückseite wertloser münzen

 

der ureinwohner der zukunft

wird  AUTIST  sein

denn schweigen heisst auch

die sprachen der materie zu erwecken

 

das ende des mordens vielleicht

 

falling man falling scream

 

weltsekunde mund

 

 

 

I.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

vom versiegen

                                         die räume durchschritten UNS

 

 

ich kenne keine vokabel

die beschriebe die seele des menschen

gültiger als jenes wort versiegen

 

versiegen versiegend versiegt versiege

 

seit jahrtausenden arbeitet die menschheit

an ihrer philosophie des todes

doch versiegt auch diese immerzu

es versiegen die gedanken des todes

an den rändern des lebens

das schweigen und atem der liebe

die quellen der leere versiegen

die worte jenseits des nichts

 

es versiegt die allgeburt der kreatur

ihr immergleicher schrei aus lebensblut

und das unsägliche versiegt

in ungeheurer fülle des vergessens

in jener stille aus sternenstaub

 

was aber ist es was immerzu

in uns vor uns mit uns über uns

und durch uns versiegt

 

ich sage

es ist die rückläufige kraft des todes

es ist der unfassbare vektor endlichkeit

in der entgegnung

des ethos vom unendlichen

 

es ist die rückläufige kraft des todes

wo alle finsternis sich

deines versiegens erinnert

 

 

 

I.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

hinter dem wortwerk

 

 

 

blumen sind noten vom paradies

gedanken aus dem unendlichen gehör der farben

als alle sinne eins waren

und jede kreatur das auge des alls

 

was aber ist unser ringen um das absolute

es ist die unfruchtbare gottheit

die von jeher unbefruchtete gottheit

 

war nur die finsternis das ganze todverlangen

und die silben fielen wie blätter

von unseren händen

 

. . .

 

hinter dem wortwerk

das die verwandlung der dinge deutete und bedeutete

hinter der unaufhörlichen kraft der sprache

die jenen menschen rettete

der du gewesen sein könntest

in der dauer der zukunft

die niemals im raum erschien

 

hinter dem wortwerk

das das gültige antlitz der liebe

und das äusserste schweigen der gottheit

verwarf und erschuf

aus dem keim der ersten blüte

aus dem gedanken des ersten steins

der war von jeher das geheime auge des alls

 

hinter dem wortwerk

das auch dein werk war

verbirgst du deine zerbrochene kreatur

die zitternde nacktheit deiner erwartung

die sich verstreute in unendlichkeit

in furcht und wahnsinn und unerlösten traum

vom verschwinden einer schimäre

kosmisch gewölbt

die nichts als dein einziges sterben war

 

. . .

 

 

 

 

 

und dennoch

hinter jener zerbrochenen kreatur

hinter deinem unauffindbaren namen

 

dieser wille

dass unendlichkeit nichts anderes wäre

als sanftheit ohne begehren

 

und aller schlaf

ein erster gedanke der unendlichkeit

jenseits der silbe

nichts

 

 

 

II.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

blastome

                                                          sich fürchten heisst nicht wissen was kommt

                                                            angst zu haben heisst wissen was kommt

 

entscheidend war was mich zwang

 

jeder schmerz bejaht das leben

dämmernd wie leichtes rotes gewölk

in der verbergung des leibes

 

doch todesangst ist kosmische hypochondrie

die unaufhörliche entzündung der seele

denn denken heisst

undeutbar das äusserste fordern

 

sternenzystisch lauert der kosmos

 

es möge mich jemand überzeugen

dass ich am leben gewesen bin

und ich töte mich nicht

 

doch niemand kommt niemand ahnt

wie dringend ich hilfe bräuchte in allem

doch welche hilfe soll das sein

zwischen zelle und schmerz

zwischen leere und stein

 

was für zarte töne spielte ich

fiebernd astral im februar der zeit

ich weinte dunkelste akkorde

doch niemand kommt niemand ahnt

ich denke nur an den tod

und schliesse ein anderes leben aus

 

verlässt man so alle vernunft der welt

mein letzter geigenton

dämmernd wie leichtes rotes gewölk

schon mitten im gedankenraum der hölle

 

die völlig entblösste angst

 

 

 

II.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

die pastorale

                                                    ich schrieb im gehen nomadisch

                                                    im sehen im vergehen

                                                    ich schrieb

 

verlassen für immer den garten

die gedankenfrucht vom walnussbaum

verlassen so lange schon

die täler zur zeit des jungen schnees

die grossmut der gipfel

die das himmelszeichen streiften

 

verlassen die geliebten

von ihnen blieben seidene tücher

die ich um meinen hals knüpfe

bis ich zerfalle bis sie zerfallen

 

verlassen zuletzt die worte

die dunklen lieder vom anfang des gartens

vom ersten zum letzten element

vom anfang des schnees

vom anfang der liebe

vom anfang des sterbens

im licht der unendlichen pastorale

die klingt aus der ferne der seele

 

verlassen alsbald die furchtbare welt

die blutende gedankenfrucht

verlassen die schöne erde auch

traum und angst und einziges licht

 

o hohes geläut letztendliches

entatmet über dem leeren gehöft

verlassen den einmaligen zuruf

vollkommen die abwendung der gottheit

die mich jemals erfüllte

die ich immerzu war

 

ich schwieg im gehen nomadisch

im sehen im vergehen

ich schwieg

 

 

 

II.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

was sich dem auge entzieht

 

 

 

in betrachtung wilder blumen

wie flammen des unbegehrbaren

deren schönheit als schweigendes andenken

erblühen und immerzu verglühen

 

inmitten der vertrauten fremde der schöpfung

wo odysseus und sindbad eins sind

in den irrungen aller sehnsucht die verbrüderte

merke auch du dir

dass wir alle schon tot sind

tot sind auf die eine oder andere art

 

da auch du schlafend und lebend

im schwächlichen atem deines tagwerks

das sich an jeglichem abend des seins

ins stumme blau des firmaments verflüchtigte

 

da auch du zu niemand wirst

um niemandes anteil gewesen zu sein

augenblicklich zu lebzeiten

sekündlich zerrieben und verbrannt

an der wundglut deiner seelenträume

am sandgeheimnis von meeresrändern

an den gletscherbrüchen uralter gedanken

 

ein erstes äusserstes molekül

unfassbar und unbegehrbar wie wilde blumen

wie die erste und glückliche stunde

seliger schlummer nach aller geburt

 

und dann unendlicher von bitternis beseelt

von leere vergessen und nichts

in betrachtung jener wilden blumen

die sich einmal dem schwindenden auge öffneten

und nun entziehn

 

wie sich die tränen des prometheus entzogen

dem schwarzen ozean des unbegehrbaren alls

da nun die flammen jener schönheit asche sind

und wir schon tot auf die eine oder andere art

 

 

 

III.2o18 scardanelli

 

 

 

das schicksal

 

 

das grausame das göttliche

der schmerz aus der überhöhung aller substanz

das schneekristalline auch

das immerzu rinnt und abtropft

von frucht und element

von quelle und mündung

das blühende aller geheimnisse die dich entsinnen

und unerschliessbar dein eden

 

das kosmische das seine unendlichkeit

dennoch begrenzt durch deutung

und durch seine finsternis

als wäre ein jeder gedanke

vollkommen jene dunkelheit

die ganz dein innenraum war

wie eine gewissheit je und je

 

zuletzt das liebende

das liebende das seinen schmerz

wieder und wieder teilt und gebiert

weil einer vor dem anderen

weil einer nach dem anderen stirbt

in der furcht und überhöhung seines bluts

 

sie alle können nicht erduldet errungen

erfasst erfunden erweckt erwirkt

erfahren und ernannt sein

sondern nur ertragen

ERTRAGEN ERTRAGEN ALLEIN

 

und sollten die meere ein unaufhörliches

tuch der tränen sein

für unser erstes feuer der sonne entkommen

wir wüssten dennoch den namen nicht

für jenes erste salzkorn

dem tiefsten verborgenen stein entlockt

und zerrissen nomadisch von wille und welle

unter dem fernsten atem der sterne

lichtlos und stumm wie vages äusserstes begehren

 

jenseits unserer atemflügel fallend empor

und sphärisch und stumm

inmitten der stummheit der sphären

 

 

III.2o18 scardanelli

 

 

die harmonien

 

 

 

dieses genaue gebet einer blüte

um von nun an den menschen

nicht mehr zu erwähnen

 

. . .

 

warum nahm sich busoni noch einmal

des werkes von bach an

 

die antwort lautet

weil er das wundersame strahlen

im gedanken der ewigkeit fortsetzen wollte

 

das heilige inmitten des sterblichen glücks

am leben gewesen zu sein

und jener seele die  ERKLINGT

ein unendliches vermächtnis abzuringen

 

jenseits der finsternis die schwieg

in der zwietracht des menschlichen herzens

 

 

 

III.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

trost und einmaligkeit

 

 

 

einmal betrat ich die stille

es war im hohen gebirge des morgens

gemälde und schweigen der kosmischen seele

 

auge vom see haut vom schnee

glieder von tannen rückgrat vom fels

waren vollkommen versunken in ihre gedanken

gefässe und wölbungen der ruhe

entfaltet aus sich selbst

 

was war jene stille die ich betrat

wenn nicht unendliche geduld der erde

deren stoff und form aber waren

die abwesenheit jeglicher tode

waren die reine botschaft ohne tod

 

der himmel noch nicht erschienen

hielt sich wie zarteste ahnung zurück

noch nicht erschienen der mensch

der immer den tod mit sich trug

 

hohe landschaft aus sanftheit

und innerer erwartung

in tücher aus farben gehüllt

blau der see weiss der schnee

grün die tannen grau der fels

so drangen ihre gedanken als wesen

als licht durch ihre kleider

und deuteten mich

 

ich atmete nicht in dieser stille

regte mich nicht

nahm meinen namen und alles wort zurück

behielt meinen tod in meinem blut

jenen einzigen tod völlig entzogen

der schönheit des reinen materials

 

behielt jenes sein

das ein äusserstes wissen wahrte

das etwas offenbarte was nie sterben würde

geheimnis und angebot meiner tränen

meines glücks das von nun an unvergessen wäre

das dem sterben und seiner erschöpfung entsagte

 

 

 

 

jenes glück

das von nun an dem menschen zukäme

ihm von nun an gehörte

wie sein tod ihm ganz gehörte

 

jener tod

dessen erscheinung unvorstellbar blieb

inmitten der wärme der luft

inmitten der weisheit der leere

im hohen gebirge des morgens

 

inmitten der stille die ich einmal betrat

 

 

 

IV.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

was wir sind   -   fünf letzte stelen

 

 

 

I

gelbwurz labkraut salbei stille schönheit der azalee

heilige blüten der zeit

ich kenne euch ohne wort und namen

zu lieben das wunder der erde

 

trunken von indiens licht und schnee

gab ich den augen unendlichkeit

dem mund welle und wein

 

soll alle schrift ein ende haben

muss der mensch

ein mystiker des schweigens sein

 

 

II

wir sind ein wort aus raum und nichts

sind sterbensblut sind furien des lichts

feuer der seele magma vom stein

geheimnis der gottheit vom sein

zu atmen die leere die ahnend naht

 

was für ein rausch jener erfahrung

die das unendliche bejaht

 

 

III

sollen die worte bleiben

und wir im tod verschwunden

was mich einst trieb ich war es nie

was ich einst schrieb

hätten die worte auch ohne mich gefunden

 

sind sie jemals mein geistesleib

war ich einmalig ihre poesie

 

 

IV

wunden der welt

wieviele schreie unvernommen

es müssen die gedanken

mystisch alt sekündlich neu

müssen der gegenwart entkommen

 

 

 

 

V

ohne fünf vokale ohne fünf sinne

wie anders hätte ich gelebt

und fern der sehnsucht nach endlichkeit

fern der deutung von liebe und traum

näher immerzu dem todesraum

schmerzlos ohne gift dem dunkel entgegen

der offenen finsternis

 

es war uns nicht beschieden einfach zu leben

sphärisch zerstört

die grosse existenz die niemandem gehört

 

wir konnten nicht lassen

vom fieber vom licht vom kampf

von aller sterbenslust die uns entsetzt

wir konnten nicht

bis zuletzt

 

 

 

V.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

triptychon des lebens

 

 

 

I

fetzen vom nichts fetzen vom raum

die unerbittliche welt die mich verkörperte

flüche und tränen befruchten die wüste

die mein antlitz trägt und es zerstreut

in die windschrift aus same und sinn

für die nachkommen der welt

für städte goldene altäre titanisch plutonisch

uralte chimären zyklischer zukunft

 

begraben erneut unter der beugung des geistes

den ballungen der steine

die beugen erneut die botschaft vom regen

vom baum vom buch und

den metamorphosen der kontinente

beugen die geburt des schattens am lethefluss

unaufhörliche wiederkehr der wellen

aus vergängnis vergessen traum und schlaf

 

es sterben aber die wirbeltiere aus

korallen und vögel und schlangen vom paradies

es stirbt unweigerlich mit ihnen

der durch sich selbst verheerte mensch

 

voll gift sind quellen keime frucht und feld

inmitten der ewigen geduld des glücks

es schwindet das weiss vom schnee

und heilige ruhe von domen von minaretten

 

das sind abschiede von zerstörter erde

abschiede von der seele der menschheit

 

so stirbt die liebe in mir

und alles vertrauen ins wort

es bleiben mir atem und hämmerndes blut

und die geschwulst des mundes

es bleibt der mythische traum eines löwen

die maske eines entleerten dämons

ein zystisches knochenfossil

an den fremden ufern der schmerzen

von jeher dem nichts und aller geburt voraus

 

 

 

 

 

 

erkenntnis unsägliche

siehe dies zittern meiner hand

in schwächer werdendem licht

erkenntnis unsägliche

siehe die angst die meinen leib begleitet

im irrtum eines galaktischen gottes

 

und dennoch von sanftheit begütigt

vom einklang einer schwingung

begütigt vom gedanken der gnade

aus der ahnung der blüten ohne schmerz

die krönten die erscheinung des unendlichen

enthoben enthoben vollkommen enthoben

dem gedächtnis jener wüste

die einmal mein antlitz trug

 

. . .

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II

war nicht jede zelle jedes molekül

bewegung und licht

sternmineralisch rindenhäutig

dazwischen die farben der sprachen

windklänge wie boten der unendlichkeit

 

eines mongolischen abends

streiften sanfteste regenschleier

über die berge des altai herab

o atem und weide des himmels

für eine stunde erblühte die gobi

ein grün stieg ungeheuer wie göttliches empor

und war die deutung des irdenen steins

 

werden die toten sich wieder erkennen

in solch erleuchteter leere

in solcher lichtung ohne zeit

in der vollkommenheit des augenblicks

 

immerzu zögert der fuss

mein an die erde geschmiedeter schritt

schon ausserhalb jener höhle

die mich ein leben lang umhüllte

zögert der geist den abgrund zu bezeichnen

 

doch früh fand mich die dichtung

fand mein junges dasein

den sterbensmund willig sinnrissig

weltwütend trunken und entblösst

 

früh überschrieb mich die dichtung

dem wedernoch aus leere und lachen

den kataklysmen aus wunde und wunder

dem geheimnis aller blüten

mythenfern fern aller gier

überschrieb mich dem stein im all

im wagnis meines leibes aus lehm und elfenbein

den weissen himmelskristallen

den sanften symphonien den partituren aus staub

 

früh streiften liebende menschen

zwischen firnschneide und fontanelle

die haut meines einsamen begehrens

wir vergingen an den entkleidungen

dem hass der tage den nächten aus schlaf und lust

 

. . .

 

 

 

III

doch dichten ist auch

eine lange wohlbekannte krankheit

der taubheit aller schrift gehör zu verschaffen

all jene gedankenorte zu berufen

die immerzu verschwinden

die nie anwesend waren

wie alle tode wie mein tod

 

ein schuss in den kopf

fiel mir am ende alles gelebten ein

ein schuss in den kopf

was ist das für ein abschluss

inmitten des fiebers des klaren wahns

des seltsamen erregenden unglücks

am leben gewesen zu sein

am leben und am sterben

 

und leben und sterben sind auch

vollkommene siege über das

was von jeher unendlich abwesend war

 

ein schuss in den kopf fiel mir also ein

inmitten fremdester gegenwart

inmitten der freude die meine gestalt hatte

inmitten der freundschaft seltener menschen

ein schuss in den kopf

ist auch das versprechen des mörders in mir

grausame furcht der seele die ganz

und gar das unfassbare ist

 

es sterben aber die wirbeltiere aus

korallen und vögel und schlangen vom paradies

entgeht denn all dem wie wahnüberstiegen

die liebe und sprache der gottheit

 

entgehen ist ein rares wort

entgehen entgehen entgehen

 

es blieb aber kühlend vom regen

und wohlbekannt ein glanz

auf den dächern der welt zurück

 

 

 

III – V 2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

uralter ton

 

 

 

vergessen sei im uralten gesang

im uralten abschied von der höhle des seins

vergessen sei der raubmord der zeit

und ihrer gegenwart

 

wunderbare wortgestalt des engels

flügelferne unendlichkeit

o güte güte geheimnisvoll und sanft

dunkelste betörung deines wesens

entatmet dem spiegel der nacht hinzu

 

als tanzten wir schwer und dennoch erhoben

in weiten sälen des todes

welchen die liebe vollkommen erfüllte

und du und du nur noch ein nebel

schemen und glanz am einzigen morgen

unter den bäumen des lebens

 

vergessen auch du

 

 

 

V. 2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

mythos von der bergung

 

 

 

leben

von jeher inwendiges

leben unheimliches

in der vollstreckung der zucht des lichts

als hielte ein schamane in arktischem wahn

die nervenfäden des alls in händen

singend weisesten walgesang

inmitten der von anemonenarmeen versenkten angst

 

auch ich bin auf der fahrt ins furchtbare finstere

doch ist zu suchen im blutort meines fleisches

gold vom herz und gold von den gonaden

einst gesunken dem ungrund der meere zu

wie entstrahlt in salz gebunden

in die galaktische träne der unzeit

die magmafrucht der zeit

aurum muriaticum natronatum

 

krankheit aber nachlebend dem nichts

ist mein dem innersten zugewandtes gesicht

der zystische einwand des todes vielleicht

brennende arche im schnee

lichtgeschwemmte fragmente

kosmisch bestattet und knochenhautmaskiert

der sarkophag des seins

 

zu heilen ist alle geburt des todes

aus der umkehrflut der himmelswelle

wahnarktisch säureerblindet die jetztgeschwulst

inwendig immerzu sternenentstellt

geheim an den nervenfäden hinunter

an den händen den antennenseelen

blutsonnen aschenebeln

aufgebäumten fetzentrümmern

 

opfernd die eingeweide des weltkadavers

willenumwunden

schemen schwebender mutationen

die furienfratze der zukunft zu beziffern

wo unaufhörlichkeit des todes

alles vergessen löschte

jenseits unserer mordgesänge

unserer myriadenmadrigale

 

 

 

 

aurum muriaticum natronatum

als würde einmal vollkommenheit geboren

vollendung der gottheit

gattungserlöst geboren

ein feuerantlitz aus dem schwarzen mosaik

von wortvulkanen

aus gold vom herz gold von gonaden

 

unendlich langsam zerströmender stein

auf singulären totalen

härteste glut

daraus jener gesang der leere

das reine vergängnislose vollzieht

und unzerstörbar

 

den ursprung des todes

 

 

 

V.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

die unterrichtung

                                          nationalität ist bestialität

 

 

das deutsche ist eine unheimliche sprache

ihrem wesen nach eine philosophie

aus den untiefen der sümpfe

den unzugänglichkeiten dunkelster wälder

aus furcht vor pest und kriegen

aus feindschaft verhasster sippen

 

das deutsche ist eine unheimliche sprache

durchtränkt vom traum eines sonnenkreuzes

einer erlösung durch rune und licht

geschuldet den langen nächten der kälte

dem klagenden singsang in knochenkathedralen

der schwermut nördlicher winde

 

zu unterrichten ist also

von wölfischer tollwut und hexenjagd

von der tafelrunde der päderasten

den blähungen barbarossas

der fressucht bismarcks

dem popanz hans der ging allein

in die weite welt hinein

 

germania aber war nie eine schöne frau

ihre sprache entbehrt aller lust

und freude des begehrens

ihr organ ist organisation

ihre liebe ist rache und mord

die jagd und der fanfarenstoss

ein teutonischer biedermeier

 

was aber bleibet stiften

auschwitz und die metaphysik der sitten

der schaum vom schwarzen bier

das stinkende geschlecht der walküren

soldatenkaiser märsche im dreivierteltakt

der schwülstige dialekt hegels

die spitzelmundart goethes

was bleibt ist luther der nazi der ersten stunde

meine kutte mein kampf mein apfelbäumchen

alle synagogen sollen brennen

ist das heilige lied der deutschen

 

 

 

 

 

 

dazwischen schrebergärten

konzentrisch gelagert

inquisitionen kolonialwarenläden

mythen vom berserkertum

feldzüge des kapitals die wacht am rhein

das sturmgewehr am hindukusch

myriaden völkischer zwerge bereit

jedwedem eindringling den stiefel

ins gesicht zu treten

 

manchmal operettenlust

manchmal wallungen künstlicher ausgänge

manchmal propyläenpracht

die ganze impotenz aus provinziellem intellekt

die lederhose martin heideggers

aufgehängt an haken und kreuz

im zwielicht im dickicht der holzwege

 

ewige sauberkeit

das tausendjährige reich der seife

gesiedet aus asche hebräischer knochen

 

. . .

 

das deutsche ist eine unheimliche sprache

böhme hölderlin trakl kolmar sachs celan

heine kleist und lenz gingen an ihr zugrunde

in flucht in sucht in abbitte in wahnsinn

und im suizid

 

frau holle und das herrentum

hygiene hysterie heroin haldol

dort blüht die blaue blume der sentimentalität

dort blüht die melancholie von mördern

die schande der pflicht die gier des pöbels

ein feste burg ist unser gott

die seele europas

 

der ewige antisemit

 

 

 

VI.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

das unvollendbare

                                            in zusprache adama und chewwa

 

schöpfung schwebende

unverwundbar jene kraft aller kreatur

aus deinem und meinem innersten allein

gabe und empfängnis in einem

du und ich

schwebende gestalt und wesenlos in einem

 

und ist der ort des todes der ort der gottheit

das mögliche das immerzu das ungeheure ist

und ohne bestimmung

die dem nichts entäusserte seele

das der seele entäusserte nichts

 

und ist von liebe zu sprechen

jenseits der alphabete der gedankenorte

vereint in der verneinung

du und ich

verneint in der vereinung

sind wir jenes augenblickliche dazwischen

das das unsagbare voneinander überträgt

in unbestirnten raum

 

. . .

 

das göttliche allein wahrt seinen ort

leichter und näher gesprochen

gott also bleibt von jeher wo er ist

 

sanfte haut himmelsatmende unaufhörlich

haut des lichtes und der nacht

über dem marmor dem ton und metall

den hellen ruinen die das antlitz

der jahrtausende formten

zwischen meer und schnee und staub

und unauffindbar

zwischen deinem und meinem namen

 

schall und tagwind

uraltes rauschen der muschel

überschäumend die steingewordenen

laute der lust

bruchstücke mosaischer perlmutt

über dem handwerk dem weltwerk

das unvordenklich das ganze vergessen füllt

mit dem gedankenbildnis seiner selbst

ort des abwesens und seiner vollendung

 

 

gott also bleibt von jeher wo er ist

bleibt diese einzigartige silbe

von mund zu mund intim und lapidar

lautlos der wunde gegenüber

dem wunder deines und meines seins

 

silbe die ihr geheimnis hütet

wie eine nie gesehene blüte

in der offenbarung jener nacktheit

die nicht sterben soll an der erwartung

entfaltend den unendlichen gedanken

vom begehren

in einem garten jenseits der zeit

jenem garten dessen stille keines alls

und keiner leere keiner verneinung

keines glaubens keines todes

keines schmerzes keiner erlösung bedarf

 

und alles göttliche wahrt seinen ort

wie rares gold aus den gonaden

unsichtbar fast

die von schönheit verhüllte erregung

und atemwellen uferlos entströmt

von dir von mir

aus deinem und meinem innersten allein

 

duftenthüllt sind unsere worte

die scheu und die entblössung

raumhin enthoben

den äussersten knospen der bäume

kühlend einmaligen traum und schlaf

 

und die gedankenstille

aufscheinend im tau schwindend

und aufscheinend im tau auf den leibern

den archipelen aus wille und blut

den flügeln bebender finsternis

die niemandem gehört und

inwendig dir und mir an göttlichem ort

 

ahnung erkenntnislos allemal

gewaltigkeit und ruhe im seltenen herz

das stirbt zwischen verstörung und versöhnung

dennoch von heiliger wildnis umhüllt

und unverlassen weltlos geheim

galaktisch genährt und rein

 

 

 

 

 

seltenes herz das stirbt

und dennoch jahrmillionen schlägt

da du und ich sich erheben

im glanz eines einzigen morgens

wo der zyklische mensch sich erhob

wie eh und je

in himmelsatmender sanfter haut

 

aus innerster kraft zu wahren

was uns überdauert

 

das unvollendbare

 

 

VI.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

zeitschriften

                              christel fetzer zugeeignet

 

 

 

berlin zwölfter august zweitausendachtzehn

den geflochtenen hut auf dem kopf

mein tägliches nikotin gib mir heute

die zeit und ihre schrift

ein wimpernschlag im all

 

die sonne viereinhalb millionen jahre alt

der mensch zweihunderttausend

zehntausend jahre der erste acker

zweihundert jahre das erste öl aus dem stein

 

es tobt der alte krieg von neutron elektron

proton und ihrer antiteilchen

wir aber sind nur überschuss von jenem material

welches die energie vom chaos übrigliess

vom nichts des unlebbaren alls

 

nackte wesen auf splitterndem stein

sehnend und suchend über der magmaglut

die geistesangst und das verlangen

da gedeiht das geld und waffen und

grausamster missbrauch der gedanken

 

da denkt der darm das vage seinsgefühl

das hirn in seiner schale verdaut den zweifel

den schmerz die pole von ich und du

da sind ausgeworfen ins blut die nervennetze

die geisternetze treibend in ozeanen

burgen aus sand stehn an den ufern der welt

 

inmitten der furcht und pflicht der heimat

brennt in waldsassen quarz soda eisen kalk

und kobalt nickel silber gold

der sanfte atem eines menschen bläst

ins unendliche ein göttliches glas

für die metamorphosen des lichts

für das leuchten der himmelsdome

 

 

 

 

 

 

 

 

 

afrika begräbt seine ermordeten kinder

raketen und drohnen steigen auf

tödliche viren über jemen und syrien

mördervögel mit dem mörderblick der herren

verborgen in den palästen der feigheit

 

lautlos fast in der heisser werdenden luft

die thorarollen und uralter singsang

vom heiligen staub vom wahn des göttlichen

vom aschestern und den fragen der weisen

von der ersten scherbe des moses am sinai

 

ikarus aber blieb im all

sein satellitenauge sichtet den flug der zugvögel

die zyklen der elemente

die regungen aller bedrohten kreatur

 

ich kühle meinen tee aus zitronengras

belege ein sandwich mit mangold und knoblauch

heute weht ein leichter wind wie ein erinnern

an das ernste lachen meiner violine

an die fremd gewordenen geliebten

an die gingkobäume vor der bar der seligen

an das vatergrab auf sanftem hügel

über dem bodensee

träumend vom schnee japanischer berge

so fern so nah wie worte vom tod

 

dennoch soll unser altern güte sein

und ruhend in reiner geduld die willenslust

wenn uns die sinne schwinden

auf die grosse finsternis zu

 

berlin zwölfter august zweitausendachtzehn

den geflochtenen hut auf dem kopf

mein tägliches nikotin gib mir heute

 

die zeit und ihre schrift

 

ein wimpernschlag im all

 

 

 

VIII.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

gestalt und gedanke

 

 

 

gehe und sprich und handle

nicht mehr als ein baum je

handelt und spricht und geht

 

dies könnte eine erste weisung sein

 

allein ins offene ragend

den regen zu empfangen

in seltenen lauten die rauschenden

kronen vom wortwerk der blätter

deutend jeden morgen der erde

als rückkehr der schönheit

 

dies könnte ein kommender mensch sein

 

mit der hand tief im erdreich

bergend kraft und geheimnis

mit der seelenfrucht stillend

alles begehren in der lichtglut der zeit

und dann die gedankenzweige empor

immerzu der himmelsluft entgegen

den verwandlungen aus same und keim

 

obschon die ahnung der leere

sich nur des unsichtbaren entsinnt

als andere sanftheit womöglich

weltentzogen und wundlos und

jenseits deines und meines mundes

ihrer irdischen sinne

die sterben allemal

in der verneinung zuletzt

 

denn alles ist entzug

das all entzieht sich

wie ein staubkorn sich entzieht

wie zellen wie willen wie tode

wie jegliche gedanken sich dir

und mir entziehen und allem

 

bewahre gedenke entfalte erblühe

sind also gebote des kommenden mystikers

des unendlichen willens der innen bleibt

ein äusserstes wahrnehmend

 

 

 

 

und ruhend im schatten der gottheit

deren wesen vollkommene durchdringung ist

bis zu den myriaden mündungen des lichts

und der unsäglichkeit des nichts

 

zu trinken von nun an

von jeher zu trinken

aus dem unerschöpflichen gefäss

des schweigens

 

könnte die seltene nähe des friedens sein

 

 

 

VIII.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ausblick

 

 

 

langsames wetterleuchten

dahinten

wo horizonte in jahrmillionen sinken

entlang der lidschläge

 

langsames wetterleuchten

als zögerte die gottheit

in der unendlichkeitsfermate

zögerte unsere lichtzuckungen hinaus

 

langsames wetterleuchten

dahinten

wo leben eine feuersbrunst war

entfacht vom schweigen des nichts

 

krachend hochgeschürt

unseren haufen scheitern und furcht

mord und tanz um einen funken lust

 

und dasein

knapp entkommen dem unsichtbaren

entrissen sich selbst

und der todfinsternis

 

ein steinwurf im raum

glutwelle inwendig magmabrei

lehmig blutiges klump

knochenschädelig umwölbt

in leichtem tränenregen

vorüber und aussen

 

langsames wetterleuchten

es pochte noch das herz ins leere

war denn atmen der eigentliche wahn

hinein hinaus und dünn und

unfasslich dahin

 

und die sternbrocken

schon im grossen entzug

unhörbar immer weiter ins all hinaus

 

 

 

IX.2o18 scardanelli

 

 

 

der abort

 

 

 

wie ein zäher klumpen frass

hinuntergewürgt ins hautinnere

bluthin ein druck ins unsichtbare

 

deine seele

 

entzündet vom gift eines

unaufhörlichen verlangens

tief in den eingeweiden

den blinden krümmungen

deiner sterblichkeit

 

deine seele

 

isoliert mit gebrochenen lauten

wie aus katakomben ein rollen

ein dumpfes vibrieren womöglich

von einem anderen stern

 

dann ausgeschieden den dreck

den geballten gestank

lehmiger rest eines golems

die erscheinung der kotgestalt

deines gedankenstamms

 

abscheuliche seele

ausgeschieden wieder und wieder

in den saugenden schlund der welt

einer flutenden wasserwelt

an deren rändern hängen fetzen

gleiten dem abgrund zu

 

leergewölbtes porzellan

schädelweiss wie eine nasse stirn

dein auge den uralten ekel gewohnt

folgt dem würgen ins nichts

etwas ovales hartes schlägt drauf

als wäre es dein lidschlag

 

seltsame stille

nach dem verschwinden deiner seele

vager schmerz aus blut und verlust

 

 

 

 

 

etwas diffuses wie scham oder vergehen

quillt den leib entlang

steigt erneut auf

drängt sich erneut in die erschöpfung

ins hautinnere bluthin

 

das echo unaufhörlichen verlangens

 

deine seele deine seele

 

hirngeboren und wiederum hinunter

und hinauf den nervenschacht

furie chimärisch und untilgbar

unstillbar erlegen den todeszyklen

der sterbenskreatur

 

und ihrer illusion letzter erlösung

 

 

 

IX.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ein schnitt

 

 

 

nach einem halben jahrhundert leben

bleibt mir zu sagen

vom ersten gedanken an

war ich ohne vertrauen

die gottheit fürchtete mich

 

nunmehr gehöre ich niemandem an

meine liebe und mein tod

sind ohne verantwortung

die wunder all dessen was je erschien

und je erschienen sein wird

vollzogen sich ohne mich

ohne das zutun der ganzen menschheit

 

auch die höchste symphonie der seele

die letzte zerspaltung von gott und tod

verkamen zu plumpem schrei

zu zorniger klage des geistes

angesichts der schönheit und stille

dieses einzigen paradieses im all

dieses sterns der mein einziges leben

zu besinnen je imstande war

 

und das einzige urteil nahm ich an

ein heiliger zu sein der das heilige berief

inmitten der todeswirrnis und der triebe

der geliebten die krank wurden

in wort und seele

und ich wie weltenthauptet

ein infiziertes tier himmelsenthäutet

 

nun berührt mich niemand mehr

niemanden vermag ich zu retten

zu trösten niemanden berühren

 

vollkommenheit des firmaments

das ist die äusserste grenze

darunter sanft treibende wolken

frei von sphäre deutung gesicht

und nichts mehr darüber hinaus

 

 

 

 

 

 

 

keine erhörung gibt es

und kein besinnen

akkorde astralen schweigens

verschliessen mir den mund

ich weiche den worten aus

den lockungen der logik

den taten der mörderischen vernunft

 

ein nachtfalter landet am rande des lichts

zart und staubig und zitternd

wird er schlafen und verschwunden sein

am morgen während der einsame mensch

am rande des lichts wacht und denkt

 

was soll die stunde des sterbens bedeuten

nach aller lebensfremde

begraben zu sein heisst doch

nicht mehr den ort wechseln zu müssen

willenlos ruhen und ohne vorwurf

inmitten der erlösung

unantastbar entfühlt entfühlt

im elementaren dunkel des ursprungs

 

auch dieser tod muss enden

wie das leben enden muss

in der täuschung aus name und licht

in der täuschung aus namloser finsternis

und jenem äussersten imperativ

 

entsinne dich vollkommen

entsinne dich ganz

entsinne dich

entsinne

ent

 

 

 

IX.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

vollendet

                             als könnten wir niemals vergessen

 

 

im schwinden deiner sinne

willenlos

nimmt stunde um stunde

die einsamkeit zu

 

ragt jener gedanke

einmal am leben gewesen zu sein

in rufnähe des nichts

 

verstummen die dichotomien

am wundrand des geistes

wie eine lange krankheit

die sich spurlos verbraucht

jenseits aller geschichte

 

toderhoben frühmorgens

ein kind zwischen zwei atemzügen

im schwinden der stimme

die ohne gedächtnis blieb

wölbt sich der lebensraum

in weisse finsternis

 

wo sich das unaussprechliche vollzieht

 

 

 

IX.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

eine warnung

 

 

 

weltweit ist die lust am genozid wiedererwacht

wir werden mehr denn je von mördern regiert

die nur drei dinge kennen

das geld die waffe und die strategie

 

die heisser werdende sonne

wird auch unsere hirne verwandeln

wenn der hunger das abendland überfällt

und mit ihm die hysterie der massen

 

zu warnen ist vor dem geist der extreme

vor dem grinsen der kanaille die gewinnt

zu warnen ist vor jenem gedanken

der unaufhörlich einen feind sucht

 

weltweit ist die lust am genozid wiedererwacht

das alte spiel der auslöschung

der dreiste wahn des antisemiten in uns

das blutopfer für einen gott des krieges

 

ein würgender ekel beschleicht das herz

doch der mut der vision und das heilige

und menschliches handwerk und freundschaft

sind das was ansteht

 

sie allein sind dein und mein anstand

sie sind die lust der leib der leichte sinn

sind das vertrauen in den anderen

sie bleiben von jeher das wahre wort

 

 

 

X.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

liebestod

                                              und wäre empfängnis

                                              erste anrührung des unendlichen

 

niemals und immerzu

hab ich den königlichen

den göttlichen gast erwartet

in meinem raum aus einsamkeit

 

dennoch und deshalb

hab ich die gläser zum glänzen gebracht

die teller vergoldet den staub gezählt

das bett bereitet den leib gewaschen

der liebe mein todeswort vermacht

 

wohl um dem nichts zu dienen

jenem traum vom leib aus moos

als sich entfaltete schönheit vom schnee

dem atem aus ungeduld und weigerung

zu dienen mit unendlicher reinheit

und reiner erwartung

 

niemals und immerzu

 

 

 

X.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

bögen

 

 

 

firnschneide der himmelskristalle

hoher grad an weisse

entschieden allein aus sich selbst

 

ein gedanke vom licht sinkt ein

wirbelt als seltsame welle

in die windtiefe

 

bergung und splitternde form zugleich

in welchen sich dein leib erschöpft

geschärft von der äussersten stunde

wundlos enthoben dem kosmischen stein

 

bleibst du immerzu

vom atem der leere umhüllt

bleibst

die unendliche besänftigung des todes

 

 

 

X.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

rimbaud

 

 

 

mir widerstrebt die legende von einem

der mit achtzehn zu schreiben aufhörte

es ist die legende für literaten

für schwätzer die ein idol brauchen

zu genialischem schweigen verdammt

 

rimbaud hat weitergeschrieben

heute wäre er eher ein diplomat

ein geopolitischer kenner

mit dem hang zu elementaren bildern

zu seltenen landschaften

 

ein einzelgänger durchaus

forscher universaler konklusionen

ein kluger vater seines kindes

das den mythen aus afrika lauschte

den reisen eines mutigen mannes

der denkend nach hause zurückkehrt

 

er starb unter grausamen schmerzen

brach ab im sieg der verzweiflung

ein nomade der moderne

der aufschlug im feuer seines blutes

das leere buch einer zukunft

die ihn nicht kennt

 

 

 

X.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

genealogie

                                                               isola mundi

 

 

vielleicht ist es die menschheit allein

die den galaktischen gedanken des todes

ersinnen und ertragen muss

auf diesem einen stern

 

das gedicht entfernt sich immerzu

von jener menschheit von einem

der es schrieb mit seiner sterbenshand

die vernimmt die wirklichkeit vom licht

enthalten in der finsternis ihres vergessens

 

das gedicht nimmt namen der erde an

den fels die frucht den stamm die blüte

den unhörbaren atem den schneekristall

dies ist die ernte der dinge von jeher

dies ist der ganze leib der lust

 

doch dann verschwindet das gedicht

wie sanfter schemen vom gedanken

löst es sich vom menschen

entrückt von der träne im all

von der erschöpfung eines seltsamen traums

hält es zu auf ein äusserstes

 

das gedicht gehört von nun an dem unendlichen

dem unaufhörlichen inmitten der galaxien

todüber todabhanden dem geheimnis des lichts

überschattet und enthoben

von allabweisendem gedanken

 

und wäre dieses

ein jenseits der geburt des nichts

 

 

 

X.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

die andere seite des narziss

 

 

 

was mich beruhigt an mir

ist dieses traurige tier das wartet ohne erwartung

sein blick der sich nach innen schärft

jenseits der blindheit eines alls

in weites unsagbares wellenland

dringt mein urvertrautes lauschen

von keiner gottheit irrgeglaubt

wenn sich nur eine blume neigt

am rand des nichts

vom windgeheimnis hin zu jenem leib

der immerzu ich ist

in sanftem rauschen ergeben

dem schmerzlosen schwinden des lichts

 

was mich beruhigt an mir

ist dieses traurige tier

in übereinkunft mit den bäumen

deren zeit als schatten und tau verrinnt

ist dieser schlaf so nah so milde

wie das lächeln einer frau

besonnen in träumen zu hüten den feuersinn

steinort laubwort quelle der deutung

zeichen der milchstrasse entnommen

singsang für ein gestilltes kind

 

was mich beruhigt an mir

ist dieses traurige tier meiner liebe

die nicht am gift des verlangens vergeht

seltsamer atem besänftigten mundes

der über dem zorn des begehrens steht

und wie entgangen der täuschung des todes

 

was mich beruhigt an mir

ist dieses traurige tier das bestimmend

von jeher sein haupt erhebt und neigt

wie eine weisung vom spiegel der seele

und ausserhalb von blut und zeit

den ethos wahrend aus lichtung stille

glut und schneefrucht wie die nahrung

für meine träne vollendet im gedanken

der unendlichkeit

 

 

 

X.2o18 scardanelli

 

 

dankbarkeit

                                                     für daniela meierkord palme

 

 

seltsam jener tumor

der in einer knochenhöhle blüht

dem schweigen des mundes entgegen

sich unhörbar und schmerzlos

ins gedächtnis meiner worte glüht

 

ein zeichen zystisch und geheim

wie wenn in einem gegenleben

ein ungrund und sein todeswille wachten

 

doch zu widerstreben ist mit grauen

den hippokratischen metzgern

die heillos allen leib betäuben

um ihn dann zu schlachten

 

noch gibt es jene weisen frauen

die das gold im herz und in gonaden finden

um fern von pathos einen dichter

namlos und geheiligt

an sein lebenswort zu binden

 

 

 

X.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

grosser abgesang

 

 

 

und ich spürte die sehnsucht

nach den letzten tagen des lebens

 

etwas verschloss mir für immer die augen

als das lachen der götter verhallte

als ihr ethos und wunder der allegorien

verschwanden und ins vergessen sank

das dunkelstes raunen der wälder

 

und die nebel nimmermehr stiegen

und keine farben vom schnee

und keine flockenfreude der kinder

 

die hohen türme des geistes

weniger als ein versunkener traum

die frische des morgens

ertrunken in einem schrei ohne erwachen

 

und ich spürte die sehnsucht

nach den letzten tagen des lebens

 

wer aber soll uns befreien

wenn die bestie der vernunft nie schläft

wer soll die mythen ersetzen

die lust der himmlischen geister

wer soll minotaurus in schranken verweisen

 

grosser ja grosser abgesang

 

doch eines ist sicher

die sinne täuschten uns nie

säulen und arme der wälder antworteten uns

der steine deutungen wogen schwer

bergung und grund wenn wir wohnten auf ihm

blüten entfalteten tänze des wunders

der sand sang die spur des nomaden

schnee besänftigte die höhen der erde

wer wenn nicht wolken nannten namen

für eines engels kleider

o reine farben unsere stunden anzuziehen

 

es öffnet die braue aus gras das auge der quelle

und dann der schemen dianas

der faden der ariadne über dem nebeltuch

fackeln vom feuerzeug des prometheus

 

 

sisyphos ein dandy der gut und gerne vögelt

der dem todesgott den ersten schlaf verpasst

im drogenrausch und in den wogen tobend

poseidon mit seinen ungestümen töchtern

was für ein herrliches lachen

 

heute fischt triton mit stählernen haien

die namlosleichen aus dem mare nostrum

und der da fischt in wellen aus panischem fleisch

ist jener götterlose spättyp im auflösungsmilieu

wie gottfried benn ihn erstmals nannte

 

ja grosser abgesang grosser grosser abgesang

 

etwas verschloss mir die augen

als das lachen der götter für immer verhallte

und ich spürte die sehnsucht

nach den letzten tagen des lebens

 

dann einmal für immer beschloss ich

nur noch nach innen zu schauen

vom geisteslicht in mystische schwärzung

hirngewunden durch blutschlünde hinab

den dunkelsten aller götter zu wecken

den eigenen gedankenleib die enge der angst

das grausame phantasma der ersten seele

die mich entwirft ins finstere ins nichts

 

entrissen bin ich nun entsagt entsetzt

entstellt dem buch vom paradies

vom wort der schönheit und des leidens

vom antlitz jenes anderen

dessen unendliches auge mich rettete einst

kein bergender raum der himmlischen leere

kein leichter sinn der liebe die ins offene kam

 

was sog mich ins blut meines eignen dämons

welch innerste irrsal und wirrsal trug mir auf

die gottheit meiner selbst zu werden

den wahnsinn meiner selbst zu schöpfen

den unstillbaren durst wortloser furien

in der verdammung aller quellen

in diesen brennvorgängen ziffernnetzen

die der code sind für das unauslöschliche

strahlende mutationen transhumaner masken

 

 

 

 

 

 

was ist es was ist es was sind wir nun

 

und ich spürte die sehnsucht

nach den letzten tagen des lebens

als mir das schweigen der götter

für immer die augen verschloss

und uralte sinne der freude

die uns träumte die uns sang und hielt

 

grosser ja grosser abgesang

 

und vieles von unserem todesleben

wird unsagbar und unaussprechlich bleiben

dies gilt für alle kreatur und alle zeit

 

selbst das wenige das zählt

uns im gedächtnis bleibt wenn wir es sagen

wie ein erflehtes wachen jener götter

und ferner schon in einer handvoll märchen

selbst das will ins verschwinden

jenseits unsrer gebrochenen tode

 

und mystisches wort ist äusserstes alleinsein

ein auferstehn aus dunklen archipelen

ein sein des anderen todes

ein wurf ein wesen aus unlösbarkeit

und wollust der menschheit aus feindschaft

und ich mir selbst wie bannung wie verschwinden

als innerste unendlichkeit und immerzu

vor der gewalt mein göttliches zu nennen

 

es nimmt seinen lauf

es nimmt seinen lauf

es nimmt seinen lauf

 

und ich spürte die sehnsucht

nach den letzten tagen des lebens

 

 

 

X.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

vermächtnis

 

 

 

ergründe und erwähne jene welle

die einst dich erhob und überrollte

 

du sahst ihr schönes ungeheures blau

ihr tödliches gefälle

 

ergründe und erwähne die unendlichkeit

wir weinten dieselbe kosmische träne

 

wo alles leben sich vollenden wollte

im vakuum aus licht und zeit

 

 

 

X.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

am todesgrund

 

 

 

etwas wie wahrheit zerschellt

in meinem letzten beben

in meiner äussersten sekunde

 

grausame gottheit die das urteil fällt

ich löse mich von meinem munde

unvernommen vom geliebten leben

 

ich entstelle mich vollkommen

bevor das leben mich entstellt

 

 

 

X.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

vaterliebe

 

 

 

ich darf es nicht sagen

darf es nie sagen

wie sehr ich an meinen kindern hänge

wie sehr ich die kraft und

das alleinsein ihrer mutter kenne

 

unendlich ist der schmerz

der zwischen kreatur und schönheit gründet

ich darf es nicht sagen

weil es in stummen wahnsinn mündet

 

ich war nicht gemeinsam

daran zerbreche ich

zerbreche an verwirktem sein

 

du aber scherbe meiner seele

lass mich verbluten von innen

lass mich unsichtbar verrinnen

lass mich verschwinden im vergessen

um die kinderleben ewig zu bewahren

um sie am unaufhörlichen zu messen

 

du scherbe meiner seele

sag wie lang soll ich verharren

in solchem todesleben qualbesessen

als kältester kristall im all

wo sich sterne in hässlichkeit vergeuden

 

sag welches gift erstickte mich

war kein gericht war kein gesicht

ich war

nur finsternis aus unerreichten freuden

 

 

 

X.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

einmündungen enthebungen

 

 

 

seltsame schande des dichters

als könnte er hören vom sein des todes

sterbensworte zu sagen diesseits des nichts

wie ein letzter nachruf aller endlichkeit

 

seltsame scham des dichters

als könnte er hören vom nichtsein des lebens

das äusserste zu berufen jenseits der dinge

wie ein erster vorwurf der unendlichkeit

 

seltsame schuld des dichters

aus dem rasenden sichselbst seiner gesalbten sichtung

als entsagte er von jeher dem logos eines leibes

als entspräche er immerzu dem wahn einer seele

und alle erfindungen bedeuteten jegliche zeit

und alle erfahrung deutete jenen randlosen raum

unsägliche ahnung aus ahnender unsäglichkeit

 

als fiele ihm alles entgegenkommende zu

als käme ihm aller zufall entgegen

als entgegnete er allem zufällig kommenden

 

seltsamer dichter seltsam sich selbst

als wäre sein denken dauernder verschluss

in himmelsfiebernder sternenkrankheit

als wäre er dennoch der geburt aller tode voraus

und urvertraut von solchem sagen solchem hören

seine verdichtung die das unvordenkliche

mit jener finsternis bergend umhüllte

die sich selbst idee war enthüllend verborgen

und allem lichtgedanken gegenteilslos voraus

 

und dann ein klang ein seltsamer klang

der ein erster kern wäre

aus jenen silben vom sein des todes her

nur klang und niemals licht vom nichtsein des lebens her

klang unerinnerbar vergessensloser klang

den ein raumloser raum von raum zu raum wölbte

richtungslos raumlos aus sich selbst

und ohne sich und ohne selbst und

niemals ein walten sondern nur wahrung des gehörs

das sich selbst und unaufhörliches einander ist

schöpfung der stille und stille schöpfend gestillt

aus innerster entbehrung

 

 

 

dieses voneinander des einen vom anderen

als lauschte ein allgewölbtes ohr im überall

den unaufhörlichen partituren der milchstrasse

fuge an fuge fügend von stille füglich gestillt

fermaten lautloser leere

noten des tonlosen neurons

unbezifferbar deutungslos

schuldlos schamlos schandlos

in der verdichtung von welle und weisheit

 

haut der gottheit mythenlos mühlos enthäutet

mund metagalaktisch der ins lautlos formte

den sechsten vokal der alles vollkommen verwandelt

neu deutend das diesseits der dinge

den atlas vom all eines anderen seins

das von unendlicher umkehr beseelte nichts

die umkehr unendlicher seelen zum nichts

und umkehr der seele zur seele

und umkehr des nichts zum nichts

deutend die umkehr des in sich gekehrten dichters

zum an sich verkehrten gedicht

 

seltsame schande des dichters

von neuem stammelnd das sternenumwürgte etwas

atemumkapselt in der windballung

unmündig mündungslos wiederum und von neuem

gegenwartend während kralliges nervenendendes

blutgeäst kosmisches wetterleuchten illuminiert

die seltsamen schädeldomwölbungen umrundend

 

seltsame scham seltsame schuld wiederum

die nach innen gestülpten sinnstürze von neuem

diese ungeheure blamage einunddesselben

jenes labyrinthischen ohnehin von alpha und omega

diese ungeheure blamage aus einunddemselben abc

von frucht und furcht in der geschlossenen anstalt

des weltwiderspruchs der ihn hinhält

 

ihn den seltsamen dichter

in der sinnwelt seines sterbens

ihm hinhält metallisch metastatisch megaloman

das echo das icho von mythen maschinen mutanten

das vakuum das ihn füllte kybernetisch

katarthisch kataklystisch karzinogen

so seltsam so seltsam so seltsam entseelt

so seltsam so seltsam gequält

ich lass ihn vom winde verwehn

 

 

 

XI.2o18 scardanelli

vier aspekte der arche

 

 

 

krieg ist in der kleinsten hütte

während die paläste feiern

einmal aber soll

das gebet der sterbenden dir heilig sein

als ginge jegliches wort über den tod hinaus

 

I

leugnend die gewalt

steht uns die unflat bis zum mund

und dieser ist ohne erbarmen

 

welche arche aber wäre zu besteigen

mit blossem lebensatem

um der bestie mensch zu entkommen

und ihrer entheiligung des todes

 

II

kein vogel kein blütenzweig

unter solch geschwärztem himmel

kein zugang zum licht

das erleuchtete die seelen von einst

 

und kein gedanke von jeher

nur dieses untrügliche gefühl

als hätte ein grausames nichts

die letzte pforte des alls verschlossen

 

dann nah und unendlich die finsternis

erstickt von der vollkommenheit

und die vollkommenheit von finsternis

 

III

von welch anderer art aber

sind jene archen

die über europas mythenmeer treiben

von wimmern und schreien

von kindern und müttern und männern

angehäuft und die körper gekrallt

und eingebogen ins sinkende holz

dem schwarzen ersticken entgegen

 

 

 

 

 

 

 

wo keine taube keine luke zum himmel

ein neues leben ein neues land öffneten

wo sich die leuchtenden häfen des

abendländischen menschen schliessen

wie ein entsetzenstraum

der das kurze leben der namlosen war

 

IV

würde ein mensch ein allerletzter

im äussersten ende ausstossen

jene unendliche silbe gott

wie einen irren schemen ins leere

wie eine hülse gehöhlt ins nichts

 

wäre dann endlich alles vergessen

 

als ginge kein wort über jeglichen tod hinaus

 

 

 

XII.2o18 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

erhebung

 

 

 

unsichtbare sekunde

schönheit des wenigen

schwindend darin der schnee

mein geringer tod

 

im zimmer der armut weiss ich

die glut des palo santo zu schätzen

göttlich glimmendes holz

herb und heilig sein duft

 

seltsamer hauch eines anderen seins

als ahnte ich den atem

atmete die ahnung des unendlichen

 

will nur heissen

begeisterung und genuss

halten den raum der seele frei

vom lieblosen vom abfälligen

 

reinheit der sphäre des wortes

botenstoff und teilhabe des machtlosen

des unwissenden

an der trauer des tiefen jahrs

 

glücklich aber sind gedichte

deren weisheit noch auffängt ein dunkelstes

 

schönheit des wenigen

schwindend darin der schnee

mein geringer tod

 

die unsichtbare sekunde

 

 

 

I.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

wahrung des dunklen fächers

                                                                  kosmisches anders zu denken

                                                                  steht uns der logos im weg

 

nachsinnend

in der unsäglichen übereinkunft

von leere und schweigen

 

nachsinnend

jenem schatten eines gedankens

der sich dir überwarf zaubrisch

wie eine zumutung aus wahn

 

nachsinnend

weltfern und sinnverhüllend

einem nie zuvor gehörten satz

 

die engel sangen nur einmal

die engel sangen nur einmal

 

wie furchtbar aber entstellte

und unnachsinnbar fast

dein erster schrei der geburt

jenen gesang aus unendlichem

 

ahnung stellar wie warnende botschaft

war da noch ein anderes sein des todes

die ungeheuere erwirkung

im äussersten unvordenklichen

 

nur einmal früheste weitung

in der unermesslichen zunahme des atems

übereinkunft von quelle und mündung

als entfaltete sich ein fächer aller zeiten

in der entblössung des unstillbaren raums

 

und erste offenbarung eines firmaments

im morgen vor allen vergängnissen

als beflügelte einmaliger gesang

ein anderes sein des lebens

und starken verstand

 

und jene engel

wären noch unerhörte namen

vor aller ankunft von leere und schweigen

von leid und lied

und strahlungen des nichts

milchiges tuch aus seide und plutonium

 

 

 

doch allemal stehst du

noch diesseits solcher besinnung

mit leeren händen da

stumm nackt in rufnähe des logos

und sterbend die dauer des verschwindens

 

unter den flügelfedern der bäume

im radschlag allwissender vergängnis

entrauscht beseelte täuschung

werk aus verhängnis frucht aus vergessen

träne im blut erinnerter empfängnis

wo furien des hungers und

lichtgierigen goldes den todsesleib begehrten

vermehrten entehrten und verzehrten

im mund der ausgeschrieenen finsternis

 

und über dir

nachsinnend dem schatten eines gedankens

schlösse sich nun von jeher

in der unsäglichen übereinkunft

von traum und verrat

von haut und nacht

von minne und mineral

 

jener fächer silbenregnerisch

fassungslos entschieden

einmal von jeher und

scheidend für immer

 

 

 

I.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

milder winterabend

 

 

 

ja über uns selbst hinaus

wenn rauch und blut und weltenfluch

wenn asche der gottheit fern sind

 

lauschend der 1.symphonie vaughan williams

entziffere ich die grünen ameisenkinder

des malers und sklaven bill traylor

ertaste die gedanken unter den wolken

des dichters philippe jaccottet

 

wie blüten wie schneekristalle

kommen mir die tränen

denn rein und würdig sind jene menschen

 

ich aber vermag nichts mehr

während zwetajewas phönix

mit schwarzen flügeln schlägt

bewache ich mein fieber

stütze den federlosen kopf

damit er nicht vornüber fällt

und mit seiner glut

die armut meines zimmers entflammt

 

ja über uns selbst hinaus

 

jack mein alter freund kämpft mit dem krebs

abwesend wie ein kind wie eine mumie

in einem zwiegespräch mit seinem tod

warten die wellen des rio de la plata auf ihn

unendlich sanfter traum

 

mein herz steht still

 

heilige schönheit ist fernvertraute ahnung

ihr mut und ihre kraft sollen unvergessen sein

ihre chöre erfreuen uns todlebende lebenstote

auf diesem geistesstern

an diesem milden winterabend

im hinterhof des dritten jahrtausends

 

über die asche der gottheit

und über uns selbst hinaus

 

 

 

I.2o19 scardanelli

 

sechs umnachtungen vom buch der bücher

 

                                                       das was gedichte nie werden sollten

                                                       protokolle der vernichtung

                                                      raumlos flüchtende flüche

                                                     kraftlos verzweifeltes verwirktes zeug

                                                    die ausgelöschte unbesonnene saat der zeit

 

1. umnachtung

vom wesen des lebens

 

du

wie ein zufall herausgegriffen

aus nichts aus völliger verneinung

durch jenen einen drängenden schrei

in dein durchblutetes fleisch geformt

 

antlitz und frucht und verlangen

einer vergängnis jenseits des todes

gesichert mühsam von deiner haut

die altert zittert schmerzt und zerfällt

 

und leben hiesse dann

ein schneller unaufhörlicher verlust

im vakuum der gegenwart

die auch du niemals verlassen hast

 

und leben hiesse dann

diese eine atempause im all

und das all jenes sternenverliess

von chaos zufall und vernichtung gestillt

 

jenes verliess das uns den schnellen traum

von schönheit liebe und erwachen

von schrecken und tod vergönnte

doch teilnahmslos unberührt von unserem sein

 

oder wäre denn die eröffnung anderer paradiese

jenseits aller kosmischen tode

wahn und verheissung zugleich

wahn und verheissung die dem wesen

vom unendlichen geheimnis und

von deinem durchbluteten herz

zugleich entsagten und entsprächen

 

. . .

 

 

 

 

 

2. umnachtung

vom wesen des träumens

 

ist nicht jenes seltsame rauschen

vor deinem erwachen

ein rauschen aus erfüllter ohnmacht

ein weicher schmerz vom nebel

eines dauernd nahenden morgens

eines nebels der der atem der toten ist

bevor sie das sein des todes verlassen

um wiederum zu sterben

im aufgang eines neuen vergessens

unerreichbar dem vergessen der lebenden

 

ist nicht jenes seltsame rauschen

vor deinem erwachen

trost und erfüllter wahnsinn in einem

als strahlte ohne den sonnengedanken

unaufhörlich ein anderes licht

ins innerste der ersten nacht

der nacht jenes menschen der sich betrachtet

den schmerz des äusseren leibes zu spüren

wenn das gift seines ungestillten verlangens

ihm die glieder füllte mit wasser seiner selbst

 

und unter qualen dann anstiege

die letzte flut bis zum herz empor

und zögerlicher nun die schläge der tage

wiederkehrten in erneuter blendung des lichts

erneuter angst der nacht

und träumen hiesse dann nichts anderes

als von erwachen zu erwachen gehn

und niemals über den rand

jenes seltsamen rauschens hinaus

welches das unerreichbare leben wäre

 

. . .

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3. umnachtung

vom wesen des deutschen

 

über mein volk aber ist nichts zu singen zu sagen

es hat seine taten vollbracht

und diese sind unsäglich und werden es bleiben

wie märsche ins verderben

 

mein volk liebt seine musik mehr

als es seine worte liebt

weil die musik alles gewissen beruhigt

und jenes grauen übertönt das dieses volk verübt hat

und immerzu verübt im nachklang

des verweigerten andenkens

 

berserkertum barbarei auslöschung

luthertum die pflicht der grausamkeit

vergasung endlösung rasse bombe stahl

das grinsen und der hohn des herrischen

sind namen meines volkes

um heute mit gemeiner macht des geldes

die krankheit zu erniedrigen

armut zu schänden und fremdes antlitz

und ethischen gedanken zu töten

im abgesang der metaphysischen seele

 

vielleicht kommt solchem volk

gebot und angebot glücklich zu sein nicht zu

weil das glück allein jener seele entspringt

welche die not wendet

jener bescheidenen seele also

die meinem volk nicht innewohnt

eingedenk der zugefügten leiden

fortan der freude des anderen zu dienen

seinem unendlichen gespräch vom leben

 

die poesie ist auch deshalb eine eigene sprache

um nicht die sprache ihres volkes

singen und sagen zu müssen

und könnte nicht jegliche gegenwärtige seele

ein archipel vom gedanken der wahrheit

und ihres erbarmens werden

 

um fortan um ein unendliches ruhiger

der unaussprechlichen nacht des todes

zu begegnen

 

. . .

 

 

 

4. umnachtung

vom wesen der oper

 

graziles werk vom weiblichen anteil in uns

elphamisches licht und

frauliches geheimnis der kreatur die empfängt

seltene sehnsucht aus der synästhesie des raumes

und aller zeit entnommen

 

wo reinheit das mädchen ist

und metamorphose die künstlerin

und tanz und lust die kurtisane

vereint in jener figur der stella

jenes so fernen sterns

den hoffmann in seinen erzählungen

illuminiert und erfleht

in den wunderbaren fügungen offenbachs

 

klage und phantasie und hymnischer schmerz

sind der vollendete psychismus der oper

traum wahn liebe trunkenheit

sind unendliche räume jenes rauschens

das weder im leben noch im tod seinen ort findet

sondern der eine unerfüllbare leib

aus pathos und sehnsucht ist

 

wo alle geister zutritt haben und das sterben

so nahe ist wie ein engelsgesang

wie faunisches begehren wenn umherirrend

der flüchtige mensch zuflucht findet

und zugleich in äusserster gefahr ist

unter den dämonen der feigen gegenwart

die seine einsame seele bedrohen

zwischen kaschemme und paradies

 

die zeit flieht und nimmt für immer

unsere zärtlichkeiten mit

singt giulietta in hoffmanns erzählungen

 

ich aber

wort um wort verzögernd meinen zerfall

während die liebe blendend wie ein schemen

die leere form einer vision umhüllt

schreibe mich unweigerlich an meinen tod heran

im schwinden meiner sinne bin ich

ein vertrautes geheimnis zwischen den elementen

 

 

 

 

 

allein mit den masken der sinne

setze ich mich tag für tag

der dunklen wunde der musik und ihren

verwandlungen aus

den wellen ihrer lichtjahre

den solitären gedanken wie findlinge

berührt vom diskreten schein elphames

der fernen innersten schönheit

seele des weiblichen werkes

gebet aus farben und traperien und lippen

darüber ein lächeln ariels hinweggeht

 

und manchmal reisst mich die liebe dahin

unteilbar und alles verschlingend

auf der barke der lethe

wo ich dem unbekannten ufer entgegentreibe

 

. . .

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

5. umnachtung

vom wesen des tragischen

 

langsames enden aller lebenskürze

wie quellen des universums versiegen wir

im geschwärzten abbruch der worte

auf der weisse der aufgeschlagenen seite

des morgens

 

war denn das wesen der schöpfung

reine erwartung

und diese war haltung und wunder

 

war denn das wesen des menschen

unendliches verlangen

und dieses war wille und obsession

 

verbarg sich hinter der silbe gott

jener ganze wille jener ganze unglaube

der verrat und die verzweiflung

an aller schöpfung

wie umnachtung aus unsäglichem

 

unvordenkliche ahnung

als streifte ein äusserster wind

unsere wirklichkeiten und blüten

voll stiller schönheit auf den gräbern der zeit

 

als warteten wir festlich gekleidet

im kosmischen museum der vergangenheit

als wäre uns am sein des todes

allein der gedanke der unendlichkeit unerträglich

weil er von jeher unserer sterbenszeit nicht erschien

abhanden wie eine grausame verheissung

von schweigen versiegelt

 

finsternis der finsternis

schatten vom schatten vorausgegangener angst

die uns einmal empfinge

jenseits von wille von wunde von wirrung

mit allen bildern der abwesenheit

 

und jedes leben

nichts als die geburt des ganzen todes

 

. . .

 

 

 

 

 

6. umnachtung

vom wesen der verdammung

 

jegliches wort aus menschenmund

zeugt von der vernichtung edens

von den qualen unerlösten seins

 

jegliches wort ein dunkler ausstoss

der ruinen der einsamkeit hinterlässt

chimären galaktischer zerrüttungen

und mosaike des grausamen grauens

im nebel schwindender bildnisse

 

atemlos farblos und ohne duft

wühlt das wort in den höllischen eingeweiden

der menschlichen liebe die stirbt

 

nur blüten und nektar und anmut der quellen

nur frischer gesang der vögel erinnern uns

an das seltsame licht eines paradieses

ohne schrecken ohne erkenntnis und gegenteil

garten der seine leere hütet

seelenlos und unendlich dämmernd

in der sinnfernen zuflucht ohne gedanken

 

auf dass keine menschliche stadt

kein stein gewordener schrei unseres ursprungs

je gründete in solcher ursprungslosigkeit

zu besänftigen unsere angst

und alles blut der endlichkeit

 

stösst denn mein atem allein die gottheit aus

und saugt sie rasend ein

weil seele nichts als nackter tod

und sein ersticken wäre

äusserste finsternis jenseits des elysiums

und seiner unlebbaren schönheit

die meinen wahn nicht kennt

 

welche macht erzwingt

das unaufhörliche zu sagen

von nacht zu nacht von wort zu wort

und jedes ich ein buch im buch der bücher

wo jeglicher stern an einem gedanken

wo jeglicher gedanke an einem stern

zerschellt

 

 

 

I.2o19 scardanelli

 

in abrede

 

 

 

gedankenpoesie wie die meine

ist nichts als rohe abweisung des daseins

und aller trost für unser kurzes leben

liegt jenseits solch entstellter worte

 

gedankenpoesie wie die meine

bleibt fremd dem tagwerk vertrauter vernunft

lässt uns im leerraum zwischen schmerz

und unendlichkeit keinen fluchtpunkt

für jene empathie und jenen intellekt

die immerzu dem innigen geschwätz

ein und derselben wirklichkeit dienen

der zähen alles verlangenden hoffnung

 

wahrheit aber ist ein anderer raum

grausame vision und seele des steins

kalter wille ringend um nichts

und unauflösbares erbarmen

 

gedankenpoesie wie die meine

von den chimären der angst entführt

scheitert am neutralen urteil des

äussersten kosmischen materials

wo die sterbensworte dünn werden

atemlos blutlos sinnlos fast

bruchstücke vom sternengeröll

botenstoffe kryptisch und unvordenklich

 

gedankenpoesie wie die meine

ist blindes wagnis inmitten prosaischer vergängnis

ist der schrei einer sekunde wenn die stimme

in rufnähe des einmaligen todes gerät

und wie umhüllt von sphärischem gift

am wundrand der stille zögert

vor der rückseite dieses paradiesischen sterns

den unser kurzes leben begehrte und besprach

 

gedankenpoesie wie die meine

ist wahn verworfener sinne

unmut anmassung und scheitern

das stottern moses vielleicht

das stottern des mystikers

inmitten der dämonien aus geld maschinen

aus wille trieb und aus atom

 

 

 

das stottern moses also

kläglicher singsang über dem traum des sinai

über der wüste der menschheit

vom licht ihres verlangens verführt und

verglüht bei anbruch der kosmischen nacht

 

denn das göttliche kennt keine versöhnung

 

. . .

 

wohin aber gelänge ein  mensch

der einmal durchquerte in völliger umkehr

die ungeheuren einöden des menschenvergessens

als wäre er immerzu

dem gedächtnis des todes voraus

 

. . .

 

das göttliche kennt keine versöhnung

 

womöglich war sprache der falsche weg

 

 

 

II.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

das gebet der sprachen

 

 

 

präambel

 

vielleicht ist das gebet der erste innerste impuls

jenes je und je eine innerste stammeln

des je und je einen menschen

und damit ursprung und eingang

ins göttliche aller sprachen

 

erste bestimmung für das grosse neutrale

für den sphärischen entzug des unfassbaren

von jeher jenseits aller paradoxien

die unseren sterbensgedanken entsprangen

in der kurzen spanne des seins

inmitten der myriaden schläge des herzens

 

. . .

 

gott

du tröstliche silbe

unendlich gewölbtes dennoch

höchstes echo über den schneefahnen des himalaya

den furien eines kalten willens

über den glühenden kronen von urwäldern

der verbrannten haut einer schlange

in den wellen der ersten wüste

 

gott

du tröstliche silbe

die früh mein mund formte

zu jenem tumben laut der du bist

ausgestossen in die leere des himmels

geheime silbe die mich dichter bleiben liess

im metaphysischen wunder

in der wunde der menschheit je und je

im bruch aller zerstörten zyklen

im licht der schönheit und eines jeden

begehrten morgens

 

gott

du tröstliche silbe

als gäbe es die unaufhörliche wiederkehr

eines weissen punktes von seltener reinheit

der rührte im voraus an das unberührbare in mir

 

 

 

 

gott

du tröstliche silbe

nahvertraut die unendlich übrigblieb

vom spirituellen geheul der menschheit

 

gott

mein geist unwissend gewiss

will dir danken für die seltsame erfüllung

dessen was nie wesen wurde

will dir danken

wenn ich am ausgang meines lebens

mein letztes gebet suche

den abgebrochenen fluch und

äussersten gedanken der meinem erdenleib

verbleibt und entgeht und mit ihm

verschwindet wie eine enttäuschung

von aller täuschung erlöst

 

fäulnis und humus unter den toten

dieses wundersamen sterns

unter dem vergessen der lebenden auch

und ihrer furchtsamen todesliebe

 

gott

du tröstliche silbe

die mir übrigblieb von allen alphabeten

und ohne gestalt und ohne erscheinung

danke ich dir

denn dein schweigen

jene tiefste ruhe meines geistes war es

die mich all jene chöre oratorien litaneien

schalmeien säulenschatten kuppelbögen

geheiligter räume finden und lieben liess

 

und ich erschauerte vor solchem wahn

 

gott

du tröstliche silbe

beruhigung und diskretion meines nichts

fern allen glaubens ist mir dein tonloser ton

wie ein starkes galaktisches holz

das ich ergreife auf dem fluss ins unvordenkliche

ein lethetrip ein kristallines zeichen

in der sterbensfinsternis

 

 

 

 

 

 

 

gott

du tröstliche silbe

für das unsäglich irrgewordene in mir

für die angst für die totgesagte seele

für all jenes unsichtbare herrliche

im denken im sagen der sinne

die es von da an nicht mehr gibt

 

wenn die hohe quelle versiegt

die mich den regen der welten

die glänzende haut aller lust geniessen liess

wenn ich nun am ausgang des lebens

einmal verstumme

für immer

 

 

 

II.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

vorsätze

 

 

 

einen schritt vor den anderen setzen

um noch einmal zu erblinden

in der dämmerung des seins

noch einmal den staub in schranken zu weisen

um jene kleider zu waschen

für die reisen der armut im halbschlaf

die landschaften der träume halsbrecherisch

aus asche und kristall und immerzu

den windungen der hirnrinde entlang

 

und sonntags dem requiem tristanos lauschen

jenem blinden j.s.bach aus chicago

und sonntags ein schweizerbrötchen essen

mit appenzeller drauf und meerrettich

damit die wunde weiter brennt

 

. . .

 

schön wie die rose von jericho

blüht mein ekzem auf weissem schenkel

rose im menschenschnee

daraus leuchtet das auge der gottheit

und öffnet sich ins innere

ins innere wo nichts emporsteigt

ausser die so schwere geburt jenes gottes

der man selbst war und ist und sein wird

ungeheuer und schweigsam gebieterisch

und lächerlich auch

der eigene gedankengott

mein einzig hab und gut

 

und jener gedanke vielleicht

dass das schöne und unendliche so berauschend war

berauschend ist und sein wird

wie die galaktische lust selbst

wie die chöre alfred schnittkes

wie das requiem tristanos

lust die den fernsten schmerz durchdringt

jene ahnung des furchtbarsten von jeher

des unaufhörlichen verschwindens des seins

 

o armut o staub o hunger o mord

o glut des alls o leichnam o leichter name

 

 

 

 

sinkt denn von jahr zu jahr mein mut

das schicksal zu ändern

zwischen schrecken und sehnsucht

um doch niemals das heilige in händen zu halten

das heilige das nur blinder wille ist

 

. . .

 

doch die blüten die blüten die leuchtenden

farben der blüten werden sich auch

auf diesem blutigen jahrhundert entfalten

auf resten von schnee von städten

von grünendem haar von knochenäckern

auf resten von liebe von gebeten und gesang

fast wahnsinnig geworden

am verrat des heiligen des heiligen

des heiligen inmitten ruinöser sprachen

inmitten der neuen seele des krieges

eines transhumanen robots

 

um weiter und weiter einen schritt

vor den anderen zu setzen

wenn die stunden der zellen der gräber

wenn das lächeln der welt gezählt ist

und erstarrt und verzerrt die freuden des daseins

wie irrsinn eines kindes ohne menschheit

ohne menschheit

 

die blüten aber werden sich entfalten

gewiss gewiss gewiss

 

was aber ist das heilige

wenn nicht die symphonien der menschheit

die schönen die grausamen die einsamen chöre

aus allen toten vergangenheiten

die fotographien der nackten blutenden begehr

und dass sich das unendliche erbarmen möge

offenbaren und erbarmen

ja es möge sich das unendliche offenbaren

und erbarmen

dieser wahnsinn diese sich sehnende verzweiflung

auch sie sind das heilige das heilige

wie sterne wie liebende völlig isoliert

diese besänftigung des nichts

dieser zarte traum eines engelsmundes

dieser tiefe schlaf eines lebens in der sonne des morgens

auch das ist das unermesslich heilige

 

 

 

 

das blüht und blüht und blüht

schön wie die rose von jericho

im schwindenden vakuum meines atems

meiner wortrose aus der leuchtet

das auge des todes ins äusserste ins äusserste

 

o ihr hohen berge meiner jugend

glänzende schamlippen meiner erregung

dome hügel sanftestes haar

namen und atem des herrlichen geheimen

hohe schneegrate dolent combin aarhorn

mount cook dhaulagiri und nie darüber hinaus

o stöhnen am eisrand der nächte

am schweigen des sterbens

inmitten der stratosphärenstürme

 

. . .

 

einen schritt vor den anderen setzen

um ein letztesmal zu erblinden

in der dämmerung des seins

ein letztesmal den staub in schranken zu weisen

und die kleider zu waschen

für die letzte reise der armut im halbschlaf

immerzu den windungen der hirnrinde entlang

 

und sonntags dem atem der geliebten lauschen

dem requiem des leibes der enden muss

und noch einmal ein schweizerbrötchen

mit appenzeller drauf und meerrettich

damit die wunde weiter brennt

das seltsame wunder aller erwartung

das scharfe schwert der tage die da kommen

die noch kommen noch kommen

 

noch kommen

vor dem schwarzen spiegel des nichts

am ufer eines ozeans aus splitterndem obsidian

 

wo sich die spur ins unvordenkliche verliert

 

 

 

III.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

enthebungen des todes

 

 

 

eine handvoll worte

will ich noch zusammenklauben

aus den welken blütenfeldern

den hirnfarnen verstummt

unter den wäldern gefällter gedanken

 

eine handvoll worte

aus dem surrealen glitzern der maschinen

die die kraft der männer waren

der rasende traum von etwas das existiert

doch niemals zu leben vermag

 

auch metaphonien füllten mein ohr

sphärische märsche und hohes weinen

und schläge des herzens dumpf

in die einsamkeit meiner vergangenen form

ein dröhnen ein bersten zerschlug meine becken

inmitten der zeitalter des mordes

wo mythen der nationen nach und nach

ihre eigenen völker auslöschten

 

eine handvoll worte

wie im nachhinein dahingesagt

in dämmerungen des vergessens

als wäre die spur zu entziffern

im meer der ruhe im aufgang des mondes

als wäre ich schon meines lebens entnommen

enthoben entsagt und wie im nachhinein

will ich nun sprechen

schon jenseits meines leibes

dessen unendliche namen ich nicht kannte

partikel des unsichtbaren und unvordenklichen

das weisse mark ohne erinnern

 

über den faulen blüten dem bruch der stämme

schien es mir manchmal

wir hätten hier nur unser sterben verwaltet

auf erden auf inseln auf blauem kosmischem auge

will ich also sprechen

vom so fremden unendlichen wesen der liebe

 

 

 

 

 

 

 

jener liebe die von jeher und immerzu

als stille in uns wohnte

als schlafender tod der sich selten regte

und dennoch der ganzen erde

und unsichtbarer seele ausdruck verlieh

 

jene liebe also

wie deutungslose gesten in unseren augen

die nicht alterten im licht aller wunder

im wunder der poesie die zerbrach

an der dauer menschlicher aufruhr

da der mensch unentwegt

seine geister beschwörte

die verruchten riten aus lust und krieg

wo alles reichtum raub und plünderung wurde

wo die liebe als tod von myriaden erwachte

ein furchtbarer wille zum blut

 

im wunder jener poesie also

die mir entglitt aus zitternder hand

ein schmales buch des lebens

dessen unendliche namen ich nie kannte

poesie die meinen schwindenden geist

verzehrte trieb und zwang zum äussersten

und mich dennoch beruhigte sättigte stillte

im innersten unfassbar und randlos

als wäre sie das heilige und vernichtende in einem

mich also stillte und sättigte

mit jener wahrheit deren gedächtnis

auf ein dunkles zentrum der angst gerichtet schien

 

wahrheit also

die der vollkommene raum meines todes war

der äusserste innerste blinde allsehende

und das unantastbare tier meines willens

abwesend wie nichtsein wie unsein

das schwarze vakuum meiner unsäglichkeit

 

und war nicht das meer das ganze gedächtnis des alls

die vollkommene atemlose fülle der tiefe

und zugleich das sehende auge der galaxie

und rollten nicht die ozeane jenes ganze gedächtnis

aller jemals gesagten alphabete

den ganzen betäubenden chor aller je gelebten leben

an das ufer meiner erinnerung

als sanfte wellen als weisser schaum und singsang

 

 

 

 

 

um auf schwarzen zungen wiederum

mehrend den sand zehrend vom sand

meiner einzigen gedankenzeit

zurückzufallen wie grausames geflüster

in den steinerollenden rausch der zermalmung

und gier und atem und gischt standen

in der wölbung der nacht wie antworten

aller stimmen und welten

auf die je eine frage eines menschen

der vor sterblichkeit bebte

 

eine handvoll worte also

will ich noch zusammenklauben

und die reste jener flügel

die die farben der blüten waren

das geheimnis aus schönheit und stille

eine handvoll worte nur

und das unendliche der liebe

das jene stille war in mir und in allem

 

je ernster aber ich meine stimme fasste

desto mehr gewann mein tod an leben

und die farne die wälder des unvordenklichen

blühten auf und leuchteten auf den feldern

der verheerten menschheit

und die farben wuchsen noch einmal zu flügeln

zu flügeln der himmelsträume

die alle namen der gottheiten trugen

 

mit jener stimme aber die immerzu meine war

verlieh ich dem tod ausdruck bei lebendigem leibe

seinem unendlichen schweigen

seinem von angst geschwärzten all

 

ein stammeln blieb

eine zunge ein schmaler gedanke

im hinterland der schwarzen materie

der sternenverschlingung der wortverdichtung

und wurde mein letztes ganzes ich

und wie umsorgt von reiner leere

schon jenseits meines leibes

und aller namen die mein geist einmal erschuf

 

es blieb mir jener gedanke

dass das innerste weltlos war

und das äusserste war es auch

 

 

 

IV. 2o19 scardanelli

 

gedächtnis vom abriss der gottesrede

 

 

 

es will dein tod nichts anderes als deinen leib

der dir nie angehörte

leib mit den kinderaugen je und je

mit dieser haut die fröstelte

als es spät war und die welt zur neige ging

 

und zwischen same und testament

die wahrheit spät und gottesnah

aufkeimte wie eine stumme hand

ins dunkel ins namlos empor

nie zu verstehn was du erkanntest

nie zu erkennen was du verstanden hast

inmitten der schreie des wahnsinns

des willens der nicht kehrtmachte

vorm nirgendwo vorm überall

vorm anderwärts der jenseitssilben

 

und der gedanke deines todes

war nichts anderes als die vorwegnahme

vollendeter vergangenheit

der du nie angehörtest

bilder eines unaufhörlich geschichteten traums

 

und der gedanke deines lebens

war stillstand in rasender dauer des jetzt

war das was immer gegenwartete

in innerster bergung des morgens

inmitten der raumzeit des nichts

der leere aus ahnung und unendlichkeit

 

doch tod war anderwärts schlingende regung

blut das vom delta zur quelle stieg

lust die alles verlangen erschöpfte

ein shaker kosmisch und atomar

frozen fire von seele und geist

die deinem leib nie angehörten

dem zeitraum aus sinn und sein

dem atemholen zwischen ruine und kadaver

du furie des zweifels

du sterbensfossil

 

 

 

 

 

 

 

und zwischen same und testament

die wahrheit spät und gottesnah

nie zu verstehn was du erkanntest

nie zu erkennen was du verstanden hast

inmitten der schreie des wahnsinns

des willens der nicht kehrtmachte

vorm nirgendwo vorm überall

vorm anderwärts der jenseitssilben

 

und jener seltsam anderen gedanken

unauslöschlicher archipele

fern aller antipoden der bestimmung

den hohlformen des lichts entrissen

der innersten klage deines herzens

unsäglich und entsagt und

fassungslos und fast befreit

von heiliger erfahrung jenes echos

jener welle jener gottheit

die so lange schwieg

 

 

 

V.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

was ich noch tue – a true song

 

 

 

was ich noch tue

ist nur ein aufbäumen sanft

und verzweifelt am ende des zweifels

wo kein garten mehr ist

wo dennoch die brennessel blüht

treue begleiterin aller menschheit

wo die amsel unter dem farnbüschel singt

im hinterhof meines lebens

 

was ich noch tue

jene freunde zu besuchen

die ihr zimmer nicht mehr verlassen

ihnen beim atmen beim sterben zusehn

in ruhe und ernst und innerstem schmerz

dem nächtlichen abgesang lauschen

dem schweigen im abbruch der stimme

 

was ich noch tue

über den staub zu streichen im dunkeln

über die armut der gestorbenen dinge

die die ganze gelebte welt des vertrauten sind

 

mich zu fragen

wer wird an meiner seite sein

wortlos am bettrand meiner letzten atemzüge

ist einerlei

vielleicht nur ein grausamer schemen

ein zucken der gottheit in meinem auge

und schon vorbei

 

unendlich schwer wird es mir

dies kurze leben zu verlassen

den sinnlichen willen

die seide der luft

den tau auf dem kontinent des leibes

die erfahrung vom schwinden des lichts

von jenem geheimnis

das wir immer noch sind

in der erregung der freuden und tränen

in der verwandlung eines gedankens

vom nichts

 

 

 

 

 

 

jedoch was ich auch tue

von jeher lebt mich etwas zutode

wir leben uns alle beständig zutode

und haben uns dennoch nötig

allein die amsel scheint nicht im unglück

und nicht der fächer des farns

und die so treue brennessel

 

was ich also tue

ist kaum noch ein aufbäumen

müde bin ich und ich winke zum abschied

es winken die freunde zum abschied

oder sie schlafen schon

sanft und zweifelnd im übergang

zu ergreifen jenen so anderen

unendlich vertrauten gesang

 

 

 

V.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

treibgut  -  sience fiction

 

 

 

ich aber wie ein traumhybrid

dem schwemmland enthoben

dem dauernden abtrieb des ICH

will ja nur heissen

ich verzichtete auf alle gegenwart

entsagte der zeitgenossenschaft

und sprach mit einem von jeher

vergangenen tod

und war die grundlose welle ins nichts

 

. . .

 

gigantische ernten allemal

aus den eingeweiden der tiefsee

gase diamanten und seltene erden

auch grausam gemordetes getier

und wir in den untiefen verfangen

süchtige forschende immerzu

in den unaufhörlichen anfängen aus 0 und 1

den rasenden bohrungen den implosionen

 

und keine ankunft kein hafen kein ort der ruhe

nur überall diese titanischen wracks von seelenfängern

von endlosen schlachten ums material

virtuelle matrosen mit sklavenkräften

köder des sinnentstellten verlangens

zum ersticken verdammte triebe

zum erstarren verdammte maschinen

 

gigantische ernten gigantische netze

ein riesiges treibendes etwas

ein metastasenmuster oder knotenarchipele

ungeniessbare kadaver weltgetrieben

von der sucht zwischen verrottung und einsamkeit

symptom und ursache zugleich

verstrickt herabgesenkt ins meer fruchtlosen seins

die blinden fahrten ins nirgendwo

 

gross ist das gebet der irre chor dem monotheos zu

dem neozyklop dem neodemiurg

der die formeln der retortenhoffnungen erbricht

zersetzt und begattet von seiner selbstverschlingung

ein transhumaner weltdämon

 

 

 

 

öffnend sein kosmisches wahnauge

kopfunter weltunter allunter

und aufgewölbt die glutmeere

wie ödeme wie nervenhaufen entfesselter gezeiten

 

es sinkt zu hunderttausenden

das fliehende das fliegende

das uralte gedächtnis der haie

es sinken leichname palimpseste aus haut

dem lichtlosen ungrund entgegen

den gierigen anemonenfeldern

den knochendomen bestialischer epochen

den götterruinen dem weltenmüll

aller unaufhörlich ausgespuckten alphabete

dem ungeheuer einer absoluten stille

 

und überall in stammelnder einsamkeit

in den särgen den archen unserer endlichkeit

leuchten die blue screens des verklumpten wissens

die geheimen codes allen verrats

die identity cards namloser horden

überall dröhnen die synthetischen sounds

entseelter mutanten weinende fürchtende

fiebernde entzündete verrottende vergiftete

mordende bettelnde ertrinkende horden

in der dauernden fäulnis ihrer moderne

 

. . .

 

ich aber ein traumhybrid

dem schwemmland enthoben

dem dauernden abtrieb des ICH

in der grellen illusion dieses augenblicks

als verzichtete ich auf solche gegenwart

als wüsste ich von solchem verhängnis

als spräche ich mit einem von jeher

vergangenen tod

 

jedoch es bleibt nur dieser tod zu bewahren

der je eine tod der so scheue diskrete tod

und dieser mein tod ist die erste vernunft

die einzige die unendliche vernunft

der erste keim die äusserste entfaltung

die stille seele jeglicher zelle

und jene letzte silbe

die mit mir ins offene entkommt

 

 

 

 

V.2o19 scardanelli

hymnos

 

 

 

hohe ahnung der erde allgebannt

inmitten sternzersprengender sinne

 

hohe ahnung der erde

schön wie die rose von jericho

im tau eines morgens erblüht

ausrollend über der wüstenwelle

dem titanischen schrott der lebensstätten

wo alle augen der menschheit

mechanisch das äusserste absuchten

die ränder des fassbaren horizonts

 

hohe ahnung der erde

wenn alle meere und ströme

einmal das vollendete auge der gottheit füllen

kosmische träne auf ihrer elliptischen bahn

träne der einzigen grossen erkenntnis

dass wir das schöne sahen und vergingen

die liebe fühlten und den dämon des göttlichen

 

um unter den grünen wimpern der wälder

den wolkenlarven ersonnener gifte

zu trinken am ende der lichtjahre

aus dem schwarzen becher der unendlichkeit

zu stillen das verlangen der sterbenssinne

den durst einer ewig glühenden frucht

einer grausamen furcht vor dem nichts

verdammt und verlockt von unserem schrei

nach dem leiden unaufhörlicher lust

 

hohe ahnung der erde

ichgebannt ein gottverlassener hohler wahn

inmitten sinnzersprengender sterne

entfesselt vom blutschlag des herzens

von zelle logos und atom

vom nachhall aller masken und foltern

den christlichen fälschungen des todes

den kreuzen hakenkreuzen sichelmonden

vom stern aus asche und hybris

von den silbenzerstäubten stimmen

die äonenlang ins phantasma

ihres vergessens stürzen

 

 

 

 

 

rohe warnung der erde

dürreste wurzel in der kosmischen schneeschmelze

den hungerwüsten den halden brennender früchte

weltbrüchiger lavaspeiender ball

eingerollt in sich ins nervengestrüpp

und hingeschmettert der leere der winde

wo von wüste zu wüste

von gemetzel zu gemetzel

wo wahnrollend der spurlose massakergott

seine blindheit zermalmt

und erstickt an hunger angst erschöpfung

seiner kadaverendlichkeit

 

teilnahmslose erde

tiefste höhlung des nichts aller monstranz

aus gold aus handel aus schwarzem blut

aus entheiligtem buch aus leichenbränden

in der glutgefrörnis der kosmischen nacht

wo nach und nach aus rachenräumen

die mundworte wie entzündeter same verschwinden

grausame echofetzen der menschheit

fetzen vom gebetsschrei  des immerzu einen todes

 

hohe ahnung der erde

hymnos erfundenes loblied heiliges geheul

elende preisung von etwas das ins gegenteil triftet

vom grundlosen spiel aus dem schlund

dieser ersten und letzten höhle voll schleim

diesem aufgerissenen dom ins nichts

aus welchem wieder und wieder

wie galaktische schwärze

die namen aller geburten quillen

 

geimpft mit dem uralten lautlosen schrei

eines höllischen ungenügens

einer wütenden verzweiflung

einer schmutzigen askese

abscheuliche öffnung aus der alle gewalt entstieg

und eindrang hinabgewürgt

in ein blutiges organisches inneres

in ein wahngekröse in einen dampfenden gestank

verkabelt injiziert infiziert

bemessert verstrahlt mutiert betäubt

die krankheit leben

 

. . .

 

 

 

 

 

dann

wie ein unendlich ferner traum

in paradiesischem park aus schneeblüten

unter lieblicher neigung von bäumen

jenes sorgsame einfache erste lächeln

 

das lächeln eines kleinen mädchens

eingehüllt in die erste freude seiner selbst

glücklicher anteil und schwester aller schöpfung

dieses lächeln vollkommen innig

versonnen allgebannt und ganz für sich

ein augenblick im licht des todvergessens

ein augenblick nur

die erscheinung eines engels im garten des alls

 

und dieses lächeln

war das lächeln aus unendlichkeit

das gott und allem weltgedanken fehlte

ihm fehlte von jeher

 

. . .

 

noch einmal

hohe ahnung der erde

inmitten sternzersprengender sinne

auch du entschläfst nach aller verklärung

in der knochenurne gedachter universen

erde auch du

dem kältesten schweigen verfallen

der bannung des immerzu unsäglichen

das sich auslöscht von anbeginn zu anbeginn

 

. . .

 

entseelte trauer

auge des nichts

 

 

 

V.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

schlaflied I

 

 

 

schlaf ein o glut

o blut schlaf ein schlaf ein

 

mein leben ist ein doppellauf

zwei blüten liebe ich

und beide öffnen ein ums andere mal

ihre so fremd vertrauten paradiese

die frucht im himmelsschnee

die frucht im meeressand

 

weisung und kündung endlicher lust

darin wie roheit die entfernung meines leibes

im spiegel rückwärts sinkender gedanken

 

unendlich erschöpft von schönheit

und vom schlaf jener zwei blüten

deren duft undeutbar bleibt

im spalt des eigensinns

im lidschlag meiner trüben augen

 

ist atmen nur ein selbstvergessen

zwischen ursprung und ruinen des erbauten

inmitten einer nacht aus transzendenz

und traum und mord und müll

 

schlaf ein o glut

o blut schlaf ein schlaf ein

 

so nahe das nichts meiner seele

und so gering dass es platz hat

in meinen zwei leeren händen

wie doppelter blütenstaub verlässt mich

täglich die hälfte des lebens

verlässt mich die hälfte des todes

 

welche finsternis umhüllt dies alles

in der nacht der sterne in der nacht der sonne

schmerzenslust seltsam grausam ist

ihr schweigen das mich eint und trennt

in anderes schweigen hinauf

 

 

 

 

 

 

 

mein leben ist ein doppellauf

zweimal beschriftet vom echo der paradiese

vom glühen vom blühen vom geheimnis

der gedächtnisse die einmal vollendung sind

vollendung der liebe jenseits der worte

 

der liebe von jeher

 

schlaf ein o glut

o blut schlaf ein schlaf ein

im glühen im blühen schlaf ein schlaf ein

 

 

 

VI.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

schlaflied II

 

 

 

komm aus nacht ins licht

nur einmal komm du motte mensch

 

erleuchtung ist dein gott

im flug deiner gedanken

im leben jener quintessenz des seins

im tod der quintessenz des nichts

 

verbrenne an der glut allsichtbar

am geheimnis zarter silbenflügel

flatternder geist verlockt von irre

himmelsbestäubt dein sanfter leib

aus mythos und aus gift

 

von polyphem zum polymer

geht deine kurze reise

dein unendliches verlangen

von der null zur eins und

willenlos zurück ins finstre

götterlose formellose von jeher

 

komm aus nacht ins licht

nur einmal komm du motte mensch

 

ein blinder wahn der sinne schlägt unentwegt

ans fassungslose glas der sphären

 

wer hat dich so vollendet

brennend vor namlosem tod

wenn nicht jener tod vor aller geburt

und jener solitäre schrei nach liebe

in deiner ausgelöschten nacht

auf deinem unerlösten stern

 

o welle aus reinheit und schweigen

 

komm einmal nur aus nacht ins licht

komm einmal nur

 

 

 

VI.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

wassersprache

                                                                    jegliche lebensform entspringt

                                                                    einer todesform

 

schau ins himmelsinnere

umgeben von jenem garten eden

den alle erwartung entfaltet

 

wie selten lebtest du

die ruhigen stunden der gotteszeit

die zögerte ein leben lang in dir

 

und war doch das unerschöpfliche

war deine gedankensaat

die kam von jeher der welt zuvor

 

vielleicht ist alleinsein im äussersten

der ganze mut des todes

vollkommenheit deiner erfahrung

eines einzigen tages im all

 

unendlicher gesang der ströme

so fern aller fassaden der geschichte

ist sinnlichkeit der ursprungssinn

die wahrnehmung des eigenen

 

es ist die quelle selbst die spricht

vom himmelsinneren von frische trunken

wie eigensinn der blüten der bäume

der steine der tiere und ihrer stille

inmitten einer lichtung

am ufer deines schlafs

 

so sinngestillt und offen

dein augenblick einmalig

den alle entfaltung erwartet

 

 

 

VI.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

something was happen to me

 

 

 

today - beyond the 55th year of my life

when unreaded inside my lost book

in the middle of  that way

round a distressed murdering century

my poetry arrived sadly by chance page 203

 

today - beyond the 55th year of my life

I KILLED MY OWN DEATH

I suddenly abandoned each manner of writing

breaking perfected the sense of my rotten mind

I immediately swallowed the whole thing of speech

 

from now on I never will read a book

fucked up by this flesh of a lethal mortal tongue

by that myriad of coldblooded thoughts

I never will talk again

 

from now on in the middle of canonized peaks

I will become a farmer

where forever an unspeakable god (a farmer possibly too)

eternaly understood that snow`s surviving silence

inside a spacegarden`s unprethinkable tranquility

in human rhyme still called nihility

 

what a strange dream outside a worldmachine

what a calm pain among such curing by rain

 

today - beyond the 55th year of my life

in the middle of that way

round a distressed murdering century

never vulnerable vulnerable nevermore

rarely clear an unbearable heaven suddenly appeared

beyond my stillborn breath

 

that`s all what was happen to me

when from now on like a strange brute

I WENT ON KILLING MY OWN DEATH

spelling dumbly his last letter

my first abyss a nameless fruit

terrible of total mystery

 

 

 

VI.2o19 scardanelli

 

 

 

landgesänge des matrosen

                                                             bedenkend die untergänge

                                                             sollen sichtbar die segel den ufern sein

 

wie in blindem verschwinden der horizonte

immerzu der grundsee schwarze grausamkeit

der gezeitenwellen giftige jade

aufwühlende alles verschlingende

geistesmacht dem stillen raum zuwider

 

so halten mit den gierigen überfahrten

der menschenfischer fossilen räuberbrut

so halten die furchtbaren meere

plötzlich einzug ins gedicht

das wir kennen frühsingend und stimmig

halten einzug in flehende irdene sprache

in botschaft die atmen wollte

und auferstehn als neuer kontinent

aus allem versunkenen sein

 

und nicht mehr raubend hassend

erstickend ertrinkend saugend

ungrund und untiefen aushebend

auslotend elementare schätze

ausbotend oder küstenlos untergehn

 

grünendes erdfundament dichtendes

göttliche farbe der flora

jenseits der jade flutendem gift

gärten also die bleiben die blühen

sind andere archen des alphabets

und jenseits des plastozäns

seiner grundsee fremdester grausamkeit

polypheme polymere und irre namen sind das

und anstrandungen einer neuen fäulnis

 

es soll gesang wie heller jubel in den häfen sein

wo leichter sinn der liebe

das sterbliche herz bettet und rettet

fern von blutschlingender flut

gebrüll stahlbäuchen waffen und müll

 

schäume wie todeswolken decken

die meeresbewohner zu

seltsamen schnee schneit es in tiefseegräben

wie in weltumkehr gierender vernunft hinunter

senken wir ölbilder für ein riesiges ungetüm

in umgebogene spiegel ab

 

 

 

oder maschinenfutter in wasserohnmacht

in blindem verschwinden der horizonte

hält immerzu der grundsee schwarze grausamkeit

einzug ins gedicht in frei gesungene wahrheit

 

aber die verse sollten unsere seelen bewahren

in vertikalen himmelsatmend

wie bäume auch und höhere ahnung

vom schneegebirge vom lärchenduft

früchte in sanftem raum das angebot des atmens

jenseits der giftigen jade der see

des in schlingernde furcht stechenden willens

 

hier zu bewahren landzüngelnd anlandig

die sprachen der seelenländer überall

und festen grat und steinaugen feldfurchen

darauf sich sehend unendliches liest und erntet

und unseren gottesgründen zukommt

 

das eigene holz und die bucht uferblickend

sind wie die hügel die sanften senkungen des leibes

sind unser aller vertrauen und nicht der aufriss

ins erdinnerste meertiefste implodierend

oder flügellos ins himmelsleere hinauf

wo das meiste wissen sich vergreift und welten zermürbt

 

auch wenn wir das grün und das lebenslob erstottern

die hand die wurzel der knochen ist uns sehr nahe

mühsam durchaus die regung im mühen der werke

sterblich im göttlichen und todhin auch

schönheit ruhe und schmerz und liebende anschauung

die sich dennoch ruhig und erfahren begegnen

zu lernen die botschaft brüchig uralt

ein mosaik von anfang an doch voneinander allemal

und nicht den netzen verfangen den leichenzügen

als wollten wir absenken alles gestirnte

in kaltes atemloses eingetrübtes tätlich besessnes

in ungreifbarkeit und sichtlose verschleppung

 

kein steigen kein ruhen kein entkommen darin

soviel ist doch schrecklich gewiss

getrost soll meine gestammelte einfalt belächet sein

dennoch entgeht sie aller umdunkelung steigender meere

und stürzt nicht vor und zurück haltlos

im zustrom einer überall verstörenden gewalt

 

 

 

VII.2o19 scardanelli

 

 

im fieber der nacht – lsd 25

 

 

 

caratillo soma chandra agni

mare tranquillitatis adé

hoffmanns lsd mein weisser himmelsrauch

 

das all ist ein friedhof und die kunst ist es auch

traurig wie ferne schatten hörte ich sagen

und sah einen filzhut einen strohhut

ein abgeschnittenes ohr in amsterdam

 

das all ist ein friedhof und die kunst ist es auch

caratillo soma chandra agni

mare tranquillitatis adé

was ich unter kunst versteh

ist schreiben über den tod

das ist mein einziges portrait

 

nach allen versen die ich las

sollte ich sagen in dieser armut sei

mein leben dennoch geglückt

wer aber hat in früherer armut

jene früchte gepflückt die ich aß

 

caratillo soma chandra agni

mare tranquillitatis adé

 

ich aber denke kenne sehe nichts

was nicht aus worten erbaut wäre

im fieberlied schwillt mir die zunge

die mandel fängt feuer und rötet sich

in der verstummten furcht der nacht

die mich umgibt wo ich allein zu boden sinke

 

in der gewohnten kammer meines schlafs

erwacht wieder das todesurteil

ungeheuer die finsternis unendlichkeit

ich atme schwer meinen geruch des alters

den fremden leib in fremder zeit

ich trage keinen namen mehr

 

wer denn im beben dieses sterns vermochte

sich völlig zu erheben über alle angst

die absolut und kosmisch war

 

 

 

 

 

ich hörte keinen gottgedanken

der mich von sterben zu sterben gebar

ich hörte kein gebet

jenseits von rasse von geschlecht

jenseits von schrei und alphabet

geriet mir die weltenstunde ins wanken

 

wer liess mich durch wüsten ziehn

durch hohen schnee und blutendes abendrot

wo aller wille reine leere schien

und ihre stille unhörbarer als mein tod

 

caratillo soma chandra agni

mare tranquillitatis adé

hoffmanns lsd mein weisser himmelsrauch

die kunst ist ein friedhof und das all ist es auch

 

o menschenerde

ein lied aus meiner fieberlunge

und tiefste liebe träumten dich

es schwillt mir die zunge

es schwärzt die letzte mandel sich

 

 

 

VII.2o19 scardanelli

 

 

 

 

 

 

 

 

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